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Melodische IntonationstherapieWeiteres empfehlenswertes Fachwissen
Die AnfängeDie ersten Ansätze, Gesang zur Behandlung von Aphasikern einzusetzen, wurden bereits 1904 von dem amerikanischen Neurologen Charles Mills entwickelt. Basierend auf der Beobachtung, dass Menschen, die in ihrer Sprachproduktion schwer geschädigt sind, aber dennoch fähig sind, den Text ihnen bekannter Lieder mit instrumentaler Begleitung oder im Chor zu singen, ließ Mills seine Patienten einfach solche Lieder singen, während er sie am Klavier begleitete. Es stellte sich aber heraus, dass diese Art von Therapie die Patienten nicht dazu befähigte, Wörter aus den Liedern, die sie im Singen tadellos aussprechen konnten, auch für propositionale Sprache verwenden zu können, da sie zu stark mit der Melodie des Liedes verbunden seien. Deshalb fällt es auch nicht-aphasischen Patienten schwer, den Text eines bekannten Liedes fortzusetzen, wenn er ihnen irgendwo mitten im Vers beginnend vorgegeben wird. Es besteht scheinbar ein großer Unterschied zwischen motorisch eingelernten Bewegungen der Artikulatoren und dem Ausdrücken von Gedanken in propositionale Sprache. Als erster kam auf die Idee, einzelne Wörter aphasischen Patienten in zumindest rhythmischer Form vorzusprechen, kam der amerikanische Sprachpathologe Ollie Backus 1945. Die Melodische Intonationstherapie (MIT) aber im wesentlichen in der Form, wie sie heute existiert, wurde 1972 von Robert Sparks, Martin Albert und Nancy Helm erarbeitet. Melodische IntonationstherapieKandidatenPatienten, für die eine MIT Fortschritte erbrächte, sollten folgende Symptome aufweisen: Das Gehirn darf nur einseitig, nämlich in der linken, sprachdominanten Hemisphäre, überwiegend im Bereich des Broca-Areals geschädigt sein. Die Sprachausgabe ist nicht flüssig und undeutlich artikuliert, Stereotypien und Recurring Utterances treten ebenfalls auf. Das Nachsprechen funktioniert selbst für einfache Wörter kaum bis gar nicht. Das Sprachverständnis hingegen sollte wenigstens mittelmäßig vorhanden sein, der Patient sich seiner sprachlichen Fehlleistungen bewusst und somit auch fähig zur Selbstkorrektur sein. Wie bei den meisten Therapien sollte auch bei MIT der Patient gut motiviert und emotional stabil sein und eine große Aufmerksamkeitsspanne besitzen. Menschen mit einer Wernicke- oder transkortikal-motorischen Aphasie, bei der die Sprachproduktion zwar beeinträchtigt, das Nachsprechen aber erhalten ist, können in manchen Fällen die MIT absolvieren, tragen aber keine merklichen Verbesserungen für die Alltagskommunikation davon. Meistens haben Aphasiker, bevor sie mit MIT behandelt werden, mehrere Monate erfolgloser Therapie hinter sich und ihre Krankheit hat bereits ein chronischen Stadium erreicht. VorbereitungDas Corpus an zu präsentierenden Items sollte aus mehrsilbigen Wörtern, Phrasen und Sätzen bestehen, die aus der Alltagskommunikation stammen und eine hohe Benutzungshäufigkeit aufweisen. Dass dieses meist individuell für den Patienten angepasst werden muss, ist klar. Eine große Auswahl an Items ist auf jeden Fall erforderlich, um die Bandbreite an Stimuli weit zu halten und so Perseveration zuvorzukommen. Jedes Item wird mit einem Melodiemuster belegt, das seiner natürlichen Prosodie entspricht und sich über drei bis vier Tonhöhen erstreckt, wobei es nicht auf exakte Notenwerte, sondern auf die Unterscheidbarkeit von Hoch- und Tieftönen ankommt, und darauf zu achten ist, dass die Melodiemuster zu keinen populären Liedern allzu ähnlich klingen. Abschließend sind die Items nach steigender Komplexität zu ordnen, das heißt in bezug auf Silbenzahl, Syntax (z. B. sind Imperative leichter zu verarbeiten) und Visualisierbarkeit der Laute (z. B. bilabiale, wie /o/, /b/ oder /m/, sind in den ersten Phasen der MIT zu bevorzugen), und in bezug auf Struktur und Melodiemuster in der Reihenfolge abzuwechseln. Zusätzlich kann für jedes Item ein Bild gewählt werden, das dem Patienten jeweils vorgelegt wird. DurchführungDer Therapeut sitzt dem Patienten gegenüber und geht nacheinander das Trainingscorpus über mehrere Levels, die im folgenden erklärt werden, durch. Jedes Item wird, sofern nicht anders verlangt, durchgehend stimmhaft, überdeutlich und langsam gesungen. Der Patient soll so die Möglichkeit haben, die Struktur und das Lautbild des Gehörten zu erfassen. Dies wird noch dadurch unterstützt, dass der Therapeut leicht auf die linke Hand des Patienten den Rhythmus und die Betonung des Items schlägt. Mit der anderen Hand gibt der Therapeut die Zeichen zum Sprechen oder zum Zuhören, denn während und zwischen dem Intonieren von Items darf nichts sonst sprachlich vermittelt werden, da dies den Patienten aus dem Rhythmus bringen könnte. Zusätzlich zu den Einzelsitzungen kann es auch Gruppensitzungen geben, die die soziale Interaktion, Sprechinitiative und Spontansprache fördern können. AufbauDie Therapie ist in drei Levels aufgebaut, die jeweils aus vier bis fünf Schritten bestehen. Alle Items, die nach steigender Komplexität den Levels zugeteilt sind, sollen innerhalb ihres Levels alle Schritte durchlaufen. Erst wenn der letzte Schritt erreicht ist oder der Patient nicht die notwendige Leistungssteigerung erbringt, wird zum nächsten Item übergegangen und wieder bei Schritt 1 begonnen. Für die erfolgreiche Absolvierung eines Schrittes werden Punkte vergeben, von denen im Durchschnitt 90 Prozent erreicht werden müssen, um den Patienten in das nächste Level aufsteigen lassen zu dürfen. Im folgenden, vorgestellten MIT-Modell beziehe ich mich auf das von Sparks und Holland (1976), das vier statt drei Levels besitzt. Die übrigen Modelle weichen nur geringfügig von diesem ab (z. B. dahingehend, dass sie das beschriebene Level 1 nicht als eigenes Level angeben, sondern als einen einzelnen Schritt). Level 1 Dieses Level dient der Einführung des Patienten in die außergewöhnlich anmutende Therapieform. Der Therapeut summt lediglich einige Melodiemuster vor und schlägt den entsprechenden Rhythmus dazu. Währenddessen und zwischendurch hat er den Patienten durch Handzeichen dazu zu ermutigen mitzumachen, das heißt mitzusummen und den Rhythmus mitzuschlagen. Sobald dieser sich an die Therapie gewöhnt hat, sich recht sicher fühlt und eifrig teilnimmt, kann zum nächsten Level übergangen werden. Bis dahin werden selbstverständlich noch keine Punkte vergeben. Level 2 Das zweite Level besteht aus fünf Schritten.
Level 3 Dieses Level besteht aus vier Schritten. Unter den Items befinden sich mehrsilbige und phonologisch komplexere Wörter und Phrasen.
Level 4 Level 4 besteht aus fünf Schritten. Items können auf diesem Level bereits längere, wenig frequente Sätze sein. In diesem letzten Level soll der Patient zur normalen Sprechprosodie zurückfinden.
Die MIT ist abgeschlossen, sobald vom letzten Level im Durchschnitt 90 Prozent aller Punkte pro Item erreicht worden sind. Es ist zu erwähnen, dass es bei anderen Autoren oder in früheren Abhandlungen über dieses Thema leicht abweichende Formen der MIT gibt. So schreibt Nancy Helm-Estabrooks in „Manual of Aphasia Therapy“ (1991) vor, dass Items vom Therapeuten maximal viermal wiederholt werden dürfen. Sparks, Helm und Albert (1974) präsentieren eine Form der MIT, bei der Level 1 zum ersten Schritt von Level 2 und Level 2 und Level 3 zu einem Level zusammengefasst wurden. Das Therapiemuster ist aber allen gleich: steigende Komplexität der Items über die Schritte Vorsingen, Mitsingen und Nachsingen mit langsamem Übergang von Melodie zu Sprechprosodie gegen Schluss der Therapie. MIT mit KindernMIT kann auch für Kinder angewendet werden, die eine Sprechapraxie aufweisen. Allerdings ist die pediatrische Version in ihrer Struktur etwas lockerer und verlangt auch mehr individuelle Anpassung an den Patienten. Es gibt drei Levels mit fünf bis sechs Schritten jeweils. Dem Kind wird es im ersten Level (Level 1 in der Form nach Sparks und Holland (1976) existiert nicht) möglichst einfach gemacht und es wird möglichst wenig verlangt. Der Therapeut bietet ihm vielmehr die Stimuli (auch visuell, durch Bilder unterstützt) solange dar, bis das Kind von selbst einsteigt. Der Rhythmus wird auch nicht durch Handschläge vermittelt, sondern durch lautsprachbegleitende Gebärden. Erst in Level 2 fängt der Therapeut an, Pausen zwischen den Items zu machen, sowie leiser zu werden und den Patienten alleine weitersingen zu lassen. Level 3 soll das Kind zu normaler Prosodie auf ähnliche Weise wie bei Erwachsenen zurückführen: durch die Anwendung von Sprechgesang.
ErgebnisseIn den meisten Fällen stellt sich bereits nach wenigen Wochen eine Verbesserung ein, die bei vorangegangen Therapien nicht eingetreten ist: Nach Abschluss der MIT können diese Patienten verständliche, propositionale und vor allem selbst-initiierte Sätze produzieren und sind somit wieder fähig, Konversationen zu führen. Vollständig geheilt sind die Patienten jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es treten häufig noch phonematische und verbale Paraphasien und bei allen ist weiterhin Dysarthrie feststellbar. Dies liegt daran, dass MIT weniger die motorischen Aspekte der Sprachproduktion behandelt. Es ist deshalb weitere Therapiebehandlung unbedingt erforderlich. Von folgenden drei Fällen rechtshändiger Aphasiker berichten Albert, Sparks und Helm (1973): Ein 67-jähriger Mann, bei dem 18 Monate lang das Sprachverständnis kaum, die Sprachproduktion jedoch schwer beeinträchtigt war: Eine dreimonatige Aphasiebehandlung erbrachte keine Verbesserung. Bereits zwei Tage nach mit MIT konnte er schon einige Worte hervorbringen, zwei Wochen später waren es dann fast einhundert. Nach eineinhalb Monaten MIT konnte er bereits kurze, bedeutungsvolle Konversationen führen, die er auch selbst initiierte. Die Artikulation hatte sich hingegen kaum verbessert. Ein 65-jähriger Mann mit ähnlichen Symptomen: Nach zwei Wochen MIT konnte dieser erstmals seit den 14 Monaten seiner Erkrankung wieder verständliche, teils auch grammatikalisch korrekte Antworten auf Fragen produzieren. Eine 48-jährige Frau mit eingeschränkter Sprachproduktion, aber intaktem Sprachverständnis: MIT erleichterte die Produktion propositionaler, bedeutungsvoller Sprache nach nur drei Therapiesitzungen. Nach eineinhalb Monaten schaffte sie Vier- bis Fünfwortsätze, deren grammatische Struktur korrekt war. Hauptproblem blieb Dysarthrie. Sparks, Helm und Albert (1974) beschreiben drei Gruppen von Patienten vor und nach MIT. Die erste Gruppe, bestehend aus vier Aphasikern mit stereotypienhaftem, bedeutungslosem Jargon, aber klarer Artikulation mit Melodiemustern, konnte nach der Therapie bedeutungsvolle, kurze, aber noch dysarthrische Sätze produzieren. Die zweite Gruppe, bestehend aus Aphasikern mit ähnlichen Symptomen wie die erste Gruppe aber ohne Stereotypien vor MIT, konnte zum Zeitpunkt der Beendigung der Therapie nur Ein- bis Zweiwortsätze produzieren, deren linguistische Qualität aber ausreichend war. Die dritte Gruppe beschreibt Patienten, die sich trotz Therapie kaum verbessert haben. Im Unterschied zu den Patienten der beiden anderen Gruppen waren diese aber beim Nachsprechen von einzelnen Wörtern nicht behindert, und sie waren auch nur wenig motiviert. Neurologischer ErklärungsanssatzBei rechtshändigen Menschen werden der linken Hemisphäre des Gehirns sprachliche Aspekte zugeschrieben und der rechten musikalische. Die rechte scheint aber ebenfalls auch sprachliche Bereiche abzudecken, denn es wird zum Beispiel bei Sparks, Helm und Albert (1974) von einem Patienten berichtet, der trotz Fehlen der gesamten linken Hirnhälfte Lieder singen konnte. Weiters konnte in bildgebenden Verfahren festgestellt werden, dass eine linke Dominanz für melodische Aspekte in Sprachen existiert, bei denen Melodie ein integraler Bestandteil der Sprache ist, so etwa im Thai. Eine Schädigung der linken Hirnhälfte schadet auch nicht dem Verständnis von Bedeutung, die durch die Sprachmelodie oder Betonung vermittelt wird. Da Musik in der rechten Hälfte verankert ist, wird diese beim Verarbeiten der melodischen Anteile von Sprache involviert, während die endgültige Zusammensetzung oder Zerlegung von Propositionen in der linken Hemisphäre geschieht. Albert, Sparks und Helm (1973) vermuten, dass es in der rechten Hemisphäre Sprachareale geben muss, die nicht verwendet werden, aber durch MIT aktiviert werden. Auf diese Weise wird die Dominanz der linken Hälfte in bezug auf Sprachproduktion verringert. Referenzen
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Melodische_Intonationstherapie aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |