Die manuelle Therapie (s.a. Manuelle Medizin) dient in der Medizin zur Behandlung von Funktionsstörungen des Bewegungssystems (Gelenke,Muskeln und Nerven); sie ist der von Physiotherapeuten mit einer speziellen Weiterbildung durchgeführte Teil der Manuellen Medizin (aus Anlage zum Vertrag gemäß §125 SGB V über die Versorgung mit physiotherap. Leistungen). Sie beinhaltet Untersuchung und Behandlungstechniken. In alternativmedizinischen Behandlungsformen darüber hinaus auch die Behandlung von vielfältigen Beschwerden anderer Körperregionen und von generalisierten Befindungsstörungen. Von der ärztlichen „Manuellen Medizin“ unterscheidet sie sich darin, dass sie in Deutschland keine ruckartigen Techniken, sog. Techniken mit Impuls (Manipulation) an der Wirbelsäule , anwenden darf.
Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
Geschichte
Im klassischen Altertum wurden Rückenschmerzen mit bestimmten Griff- und Massagetechniken behandelt. Hippokrates beschrieb neben den traumatischen Ausrenkungen auch leichte Wirbelverschiebungen und gab an, wie diese zurechtzurücken seien. Im Mittelalter waren zahllose Laienbehandler ("Knocheneinrenker", "Gliedersetzer") unterwegs, um die von den konkurrierenden Ärzten vernachlässigten Schmerzen zu behandeln. An präparierten Skeletten hatte man die Vorstellung von Verrenkungen und Verklemmungen vor allem der Wirbelgelenke entwickelt, die von der heutigen Medizin nicht bestätigt werden konnte.
In den USA war das so genannte bonesetting seit dem 18. Jahrhundert sehr verbreitet. Seit dem 19. Jahrhundert wurde es in verschiedenen Spielarten und unter zahlreichen Bezeichnungen auch in Europa wieder eingeführt, zunächst von Heilpraktikern, seit dem zweiten Weltkrieg auch zunehmend von orthopädisch oder hausärztlich tätigen Ärzten. Die schulmedizinische pathophysiologische Theorie richtet sich anstelle auf die Knochen-"Verrenkungen" vorwiegend auf muskuläre Verspannungen und Imbalancen, die von Fehlbelastungen ausgelöst werden. Die Biomechanik muss die unterschiedliche Form der Gelenke und die komplexen Ansatzpunkte und Ausrichtungen der Muskulatur berücksichtigen, was eingehende anatomische Kenntnisse voraussetzt.
Im 20. Jahrhundert entwickelten alternativmedizinische Manualtherapeuten den Anspruch, außer den einfachen belastungsbedingten Schmerzen im Bewegungsapparat auch andere Krankheiten und Befindungsstörungen zu beeinflussen. Dazu werden - ähnlich wie bei der Akupunktur - nervliche, reflektorische oder "energetische" Verbindungen der Knochen und Gelenke mit dem übrigen Körper postuliert, deren Existenz allerdings nicht belegt werden konnte. Neben Magen-Darm-Beschwerden sind vor allem psychische Beschwerden, Angstneurosen, Depressionen und Entwicklungsstörungen ein häufiges Ziel manualtherapeutischer Interventionen. Das KISS-Syndrom (kopfgelenkinduzierte Entwicklungsstörungen von Kindern) ist ein Beispiel für eine häufige alternativmedizinische Diagnose, die durch manuelle Therapie behandelt wird, aber in der wissenschaftlichen Medizin keine Entsprechung hat.
Bezeichnungen
Hauptrichtungen
- Chirotherapie ist in Deutschland seit 1976 eine geschützte Zusatzbezeichnung für Ärzte, die manuelle Behandlungen anbieten. Die in der evidenzbasierten Medizin anerkannten Verfahren basieren auf passiver Mobilisation und aktiven Übungen an Gelenken und der Wirbelsäule und verzichten auf esoterische Krankheitsvorstellungen, etwa Meridiane oder "Energieströme". Zum Führen der Zusatzbezeichnung ist für Ärzte eine von der zuständigen Landesärztekammer anerkannte Ausbildung nachzuweisen. Unter "Manuelle Therapie" im engeren Sinne versteht man die Anwendung der von den Chirotherapeuten entwickelten Techniken durch speziell fortgebildete Krankengymnasten. Deutsche Krankenkassen bezahlen diese Therapie im Gegensatz zu den von Nichtärzten angebotenen Behandlungen, sofern sie von entsprechend ausgebildeten Manualtherapeuten auf ärztliche Verordnung durchgeührt wird.
- Naprapathie (ein Diagnose- und Behandlungssystem der Neuro-Skeletomuskulär-Medizin) ist in Schweden seit einigen Jahren ein geschützter Berufstitel für s.g. Doctors of Naprapathy oder Doctors of Naprapathic Medicine, D.N. oder DN, (leg. Naprapat) die orthopädisch-manuelle Medizin anbieten. Um praktizieren zu können, benötigen Naprapathen in Schweden eine staatliche Lizenz (Legitimation). Sie stehen unter der Aufsicht der staatlichen Gesundheitsbehörde und haben eine autonome, diagnostische Verantwortung für neuro-skeletomuskuläre Dysfunktionen. Die Ausbildung zum legitimierten Naprapathen, D.N. dauert 5 Jahre. Viele Naprapathen sind tätig in der Sportmedizin und in den Nationalmannschaften. Naprapathie ist die größte Form der orthopädischen Medizin in Schweden. Viele leg. Naprapathen haben Zusatzausbildungen, z.B. in Nutrition oder Akupunktur. Es gibt Ausbildungen in den USA, Finnland und Schweden.
- Osteopathie, englisch Osteopathy ist eine alte Bezeichnung; begründet von dem US-amerikanischen Arzt Andrew Still um 1870. Still bezog sich auf eigene Erfahrungen und überlieferte volksheilkundliche Traditionen der amerikanischen Landbevölkerung. Spezielle Lockerungs- und Grifftechniken sollen „Bewegungseinschränkungen“ der Knochen und Muskeln aufheben, welche für Schmerzen, Verdauungsprobleme, Menstruationsbeschwerden und andere Symptome verantwortlich seien. Noch heute berufen sich fast alle Manualtherapeuten auf Still als ihren ersten neuzeitlichen Vorgänger.
- Chiropraktik (oder -praxis, englisch chiropractic) (von griechisch mit der Hand gemacht) stammt von dem US-amerikanischen Alternativmediziner Daniel David Palmer, ca. 1897: "Verrenkte" Wirbel werden durch Druck und Zug gerichtet, dazu kommen Entspannungs- und Dehnübungen der Arme und Beine. Chiropraktik soll nach Ansicht ihrer Vertreter eine Weiterentwicklung darstellen, indem außer der Wirbelsäule auch die übrigen Gelenke behandelt werden. In der heutigen Zeit sind die erbitterten Rivalitäten der Osteopathen und Chiropraktiker des 19. und frühen 20. Jahrhunderts kaum noch nachzuvollziehen.
- Cranio-Sacral-Therapie ist eine ebenfalls aus den USA stammende Entwicklung des Osteopathen William Sutherland (1936). Sie hat deutlich esoterische Komponenten; insbesondere soll ein angenommener "Energiefluß" der Hirnflüssigkeit wiederhergestellt werden, indem Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule behandelt werden. Die heutige Bedeutung der CST ist geringer als die der Osteopathie und Chiropraktik.
Regionale Varianten
- Dorn-Therapie eine von dem süddeutschen Heilpraktiker Dieter Dorn seit ca. 1975 vertretene Methode, die Fehlstellungen und Blockierungen von Wirbeln mit Beschwerden des Rückens, der Atmung und Verdauung in Verbindung bringt.
- Biokinematik ist eine von dem Freiburger Arzt Walter Packi seit ca. 1990 betriebene Methode, die den Anspruch erhebt, eine mathematisch-physikalisch vollständige Analyse der Bewegungsmuster des Körpers zu verwenden.
- Vitalogie, auch Atlasologie genannt, sind aktuelle Bezeichnungen von deutschen und schweizerischen Behandlern für chiropraktische Behandlungen am ersten Halswirbel (Atlas).
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