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Anorexia nervosa
Die Anorexia nervosa, auch Anorexia mentalis oder Magersucht genannt, ist eine psychische Störung aus dem Bereich der seelisch bedingten Essstörungen[1]. Anorexia nervosa ist nicht gleichbedeutend mit dem Begriff Anorexie, welcher lediglich ganz allgemein eine Appetitlosigkeit beschreibt, gleich welcher Ursache. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
ÜberblickDie Anorexia nervosa (griech./lat.: etwa „nervlich bedingte Appetitlosigkeit“) wurde erstmals 1873 von Ernest-Charles Lasègue und William Gull beschrieben, und ist somit die am längsten bekannte Essstörung. Die meist jungen weiblichen Patienten leiden an einer Körperschemastörung, d. h. sie nehmen sich trotz eines bestehenden Untergewichts als „zu fett“ wahr. Anders als andere Menschen erlangen sie ihr Selbstwertgefühl nicht aus allgemeinen Leistungen in Beruf, Hobby oder Privatleben, sondern ausschließlich aus ihrem Gewicht bzw. der Fähigkeit, dieses zu kontrollieren. Die Anorexia nervosa ist mit einer geschätzten Prävalenz von 0,7 % unter weiblichen Teenagern zwar seltener als die Bulimie, zeigt jedoch einen deutlich ungünstigeren Verlauf, nicht selten mit schweren körperlichen Komplikationen. Die Erkrankung beginnt am häufigsten im Teenager-Alter, wobei eine Diät, die anschließend außer Kontrolle gerät, ein Einstieg sein kann. Die Krankheit kann jedoch auch bei Erwachsenen oder bereits vor Eintritt der Pubertät auftreten. Nur einer von zwölf Erkrankten ist männlich[2]. SymptomeDas Kennzeichen der Anorexia nervosa ist die selbst herbeigeführte Gewichtsabnahme, die in der Regel durch vermindertes Essen erreicht wird, wobei besonders Nahrungsmittel, die als „fett machend“ angesehen werden, weggelassen werden. Manchmal wird die Gewichtsabnahme unterstützt durch Missbrauch von Appetitzüglern, Verwendung von Klistieren, Laxantien oder Diuretika, durch selbst ausgelöstes Erbrechen oder exzessive sportliche Betätigung. Auf psychischer Ebene sind die Gedanken der Betroffenen eingeengt und kreisen stets um die Themen Ernährung und Gewicht.
Körperliche FolgenDie Magersucht ist eine schwere, unter Umständen tödliche, körperliche Erkrankung. Die körperlichen Folgen werden hauptsächlich durch das extreme Untergewicht verursacht.
Die Patienten sind erhöht gegen Kälte empfindlich, auch ihre Körpertemperatur kann erniedrigt sein. Weitere Symptome sind Schwindelgefühle und Ohnmachtsanfälle. Des Weiteren kann es zu trockener Haut und zur Lanugobehaarung an Rücken, Armen und Gesicht kommen. Bis zu 15 % der Erkrankten sterben[5] — entweder durch Komplikationen wie den plötzlichen Herztod oder Infektionen, oder aber durch Suizid. Ein Teil der überlebenden Patienten leidet zeitlebens an chronischen Zuständen wie Osteoporose oder Niereninsuffizienz. DiagnoseDie Diagnose ergibt sich aus einem ausführlichen diagnostischen Interview, das offen oder mit Hilfe von Checklisten erfolgen kann. Im Anschluss daran erfolgen weitere Tests, z. B. ein EKG und ein Bluttest, um körperliche Begleiterscheinungen des Untergewichts zu erfassen. Besteht der Verdacht, dass andere Ursachen das Untergewicht verursacht haben (siehe Differentialdiagnose), werden weitere Untersuchungen veranlasst.[6] Die nachfolgenden Kriterien müssen für eine Diagnose erfüllt sein, wobei für Deutschland der ICD-10 entscheidend ist.
KrankheitsentstehungHeute weiß man, dass für die Entstehung der Magersucht eine erbliche Komponente und verschiedene Umweltfaktoren nötig sind. Generell tritt die Krankheit bei Frauen in westlichen Gesellschaften gehäuft auf. Die Zwillingsforschung hat eindeutig eine familiäre Häufung der Erkrankung nachgewiesen, die genauen Gene konnten allerdings noch nicht gefunden werden. Die Forschung konzentriert sich zur Zeit besonders auf Gene, die im Zusammenhang mit dem Neurotransmitter-System von Serotonin stehen. Hinzu kommt eine Reihe von individuellen Umweltfaktoren. Allgemein sind dies Erfahrungen, die die überwiegend jungen weiblichen Patienten besonders auf ihr Aussehen und Gewicht sensibilisieren. Dies können kritische Kommentare von Familie und Freunden über das Essverhalten, Gewicht, etc. sein. Der kulturelle Druck auf Frauen schlank zu sein gehört auch in diesen Zusammenhang (Schönheitsideal). Eine Diät ist daher häufig ein Einstieg in diese Erkrankung. Ein schwaches Selbstbewusstsein und Perfektionismus sind Persönlichkeitszüge, die häufig schon vor Ausbruch der Erkrankung vorhanden sind. Das Zusammenwirken all dieser Faktoren nennt sich „psychobiologisch-soziales Modell“ [7]. Der Hauptgrund für Magersucht ist heute laut der Mehrzahl der Therapeuten in der Familie zu suchen[8]. In den meisten Fällen handelt es sich um eine unauffällige bürgerliche Familie. Sie stellt sich selbst gern als absolut „intakt“ dar, die Meinung von Außenstehenden hat höchste Priorität — insbesondere in Bezug auf die Patientin. Sind Jugendliche betroffen, kann oft ein erhöhter Leistungsdruck von Seiten der Eltern festgestellt werden. Sollte dieses Bemühen enttäuscht werden, wird dies in vielen Fällen nicht mit offensichtlichen Strafen geahndet, sondern mit dem Vorwurf des enttäuschten Vertrauens in das Kind. Das Bild der „eiserne[n] Faust im seidenen Handschuh“[9] vermittelt dies eindrucksvoll. Beachtung sollte zudem die „Vermaschung“[10] finden. Gemeint ist damit die Inbesitznahme des Lebens des Patienten durch die Eltern sowie das Fehlen jeglicher Privatsphäre. Natürlich gibt es trotzdem nicht die anorektische Familie. Auch konnte in der Biographie von Essstörungen überdurchschnittlich häufig sexuellem Missbrauch, allerdings besonders bei der Bulimia nervosa gefunden werden. Es ist allerdings nicht eindeutig geklärt, ob dies tatsächlich ein ätiologisches Merkmal ist[11]. Magersucht kann auch Begleiterscheinung von Depressionen oder selbstverletzendem Verhalten sein, oder wie alle Essstörungen auch als eine seiner Formen interpretiert werden, oder aber selbst von diesen Störungen begleitet sein. Des Weiteren neigen Patienten mit Anorexia nervosa zu zwanghaftem Verhalten bzw. Perfektionismus in allen Lebensbereichen. Für die Patientin ist die Magersucht in erster Linie eine Abwehr von Fremdbestimmung. Die Kontrolle über den eigenen Körper (z. B. durch Kalorien-Zählen) ist das Einzige, was noch bleibt, da alle anderen Lebensbereiche fremdbestimmt werden. Die Magersucht ist fast immer nur ein Symptom eines tiefer liegenden psychischen (und sozialen) Problems, das behandelt werden muss. Eine Symptomtherapie (wie z. B. mit Pharmazeutika) ist niemals ausreichend. So steht auch das Schlankwerden oft nur zum Anfang im Zentrum der Krankheit, die sich zunehmend verselbstständigt und gerade von langjährig Betroffenen als Sucht erfahren wird. Die kognitiv-verhaltenstheoretische Sichtweise sieht die Angst vor dem Dickwerden und die gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers als motivierenden Faktor an. Hier spielt sowohl die Kritik von Gleichaltrigen als auch der Eltern sowie das von den Medien transportierte Schlankheitsideal eine große Rolle. Die gezielte Gewichtsabnahme reduziert die Angst und macht so das Abnehmen zu einem wirkungsvollen Verstärker[11]. Die psychoanalytische Sichtweise sieht die Hauptursache von Essstörungen in einer gestörten Eltern-Kind-Beziehung. Aufgrund einer gestörten Mutter-Tochter-Beziehung lehnt die Betroffene ihre weibliche Identität und damit auch die weiblichen Formen ab. Die Beherrschung des eigenen Körpers wird zu einem Mittel, Wünsche nach Autonomie, im Gegensatz zu der Angst vor der Trennung mit der Mutter, die in der Adoleszenz wiederaufleben, zu verarbeiten. Das aggressive Streben nach Autonomie, das sich häufig in der Adoleszenz zeigt, wird somit über den Körper ausgedrückt. Äußerlich zeigen magersüchtige Mädchen häufig ein sehr angepasstes, perfektionistisches Verhalten [11] [12] [13]. TherapieDie Therapie umfasst neben einer Stabilisierung des Essverhaltens in der Regel psychotherapeutische Betreuung. Bei kritischem Untergewicht (bei einem BMI von 13 und weniger besteht akute Lebensgefahr) ist eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus mit einer parenteralen Ernährung notwendig, d. h. dass der Patient über einen venösen Zugang mit Nährstoffen/Elektrolyten versorgt wird. Diese Zwangsmaßnahme ist wichtig und lebenserhaltend, doch ohne weiterführende psychotherapeutische Behandlung nicht dauerhaft wirksam. Oft werden systemisch-familientherapeutische Behandlungen empfohlen, die problematische Interaktionen in der Familie der Betroffenen für die Störung als Auslöser und als aufrechterhaltender Faktor als ursächlich ansehen. In diesem Kontext erscheint der anorektische Patient als Symptomträger einer Familie und ist demnach nicht alleine behandlungsbedürftig. Ebenfalls kommen psychoanalytische Behandlungsansätze zum Einsatz. Diese sollen unbewusste Konflikte, die zur Entstehung des Symptoms geführt haben, bewusst machen und so eine weitere Reifung der Persönlichkeit ermöglichen. Interessant ist, dass durch die psychodynamischen Therapien häufig eine Verbesserung der Symptomatik erreicht wird, ohne dass in der Therapie das fehlangepasste Essverhalten thematisiert wird [11]. Auch kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlungen werden oft angewandt, die zum Ziel haben, die verzerrte Körperwahrnehmung der Patienten zu beeinflussen, die Einstellungen zum Essen zu verbessern und Wege für eine bessere Konfliktbewältigung sowie soziale Kompetenzen zu vermitteln. Psychopharmakologische Therapien zeigten bisher aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht und der daraus resultierenden mangelnden Bereitschaft, an einer Therapie mitzuwirken (Compliance), keine positiven Effekte. Eventuell führen auch die Nebenwirkungen vieler Psychopharmaka, die oft mit Gewichtszunahme verbunden sind, zu einer mangelnden Compliance. DifferentialdiagnoseZunächst ist die Anorexia nervosa von dem Symptom Anorexie abzugrenzen, das bei verschiedenen Erkrankungen auftreten kann. Dann muss die Anorexia nervosa vor allem von anderen Essstörungen unterschieden werden. Hierbei ist die Bulimia nervosa von besonderer Bedeutung. Im Gegensatz zu bulimischen Patienten weisen Anorektiker beider Subtypen einen erheblichen, manchmal lebensbedrohlichen Gewichtsverlust auf, auch wenn die Anorexia nervosa vom Purging-Typus ähnliche Verhaltensweisen beinhaltet. Die genaue Abgrenzung verschiedener Essstörungen voneinander ist nur im therapeutischen Kontext, im Rahmen einer aktuellen Therapie und ihrer momentanen Ziele sinnvoll, da oft beobachtet wird, dass Patienten während ihrer Entwicklung verschiedene Formen aufweisen. Oft findet man in der Vorgeschichte von Bulimikern eine Episode von Anorexia nervosa. Manchmal kommt es auch vor, dass Personen, die unter Adipositas litten, eine Anorexia nervosa oder Bulimie entwickeln oder umgekehrt. Affektive Störungen wie Depressionen oder bipolare Störungen können auch zu erheblicher Gewichtsreduktion führen. Die Betroffenen weisen jedoch keine verzerrte Körperwahrnehmung auf. Physiologische Störungen können ebenso zu Gewichtsverlust führen, beispielsweise ein Hirntumor oder Stoffwechselerkrankungen wie die Hyperthyreose. Die Magersucht ist auch abzugrenzen von Fällen, bei denen Menschen freiwillig in den Hungerstreik treten, etwa in Gefängnissen oder als Form des politischen Widerstandes. Magersucht in Kunst und Musik
Siehe auch
Fußnoten
LiteraturFachliteratur
Erfahrungsberichte und Belletristik
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Anorexia_nervosa aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |