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Konrad Lorenz
Konrad Zacharias Lorenz (* 7. November 1903 in Wien; † 27. Februar 1989 ebenda) war einer der Hauptvertreter der so genannten klassischen vergleichenden Verhaltensforschung. Er selbst nannte dieses Forschungsgebiet bis 1949 „Tierpsychologie“ und wird im deutschsprachigen Raum als dessen Gründervater angesehen. Der „Spiegel“ bezeichnete ihn einmal als den „Einstein der Tierseele“. Ihm wurde 1973 gemeinsam mit Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin „für ihre Entdeckungen betreffend den Aufbau und die Auslösung von individuellen und sozialen Verhaltensmustern“ [1] zugesprochen. Zusammen mit Rupert Riedl und Gerhard Vollmer gilt Lorenz als Hauptvertreter der Evolutionären Erkenntnistheorie, für die sein Zeitschriftenbeitrag „Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie“ aus dem Jahre 1941 richtungweisend wurde. [2] In seinem von ihm als Hauptwerk verstandenen Buch „Die Rückseite des Spiegels“ rundete Konrad Lorenz seine Vorstellungen über das Zusammenspiel genetischer und zivilisatorischer Einflüsse auf das Erkenntnisvermögen des Menschen ab. Im hohen Alter äußerte er sich zudem als zivilisatorisch-ökologischer Gesellschaftskritiker und wurde in Österreich zu einer Leitfigur der Grünen-Bewegung. Weiteres empfehlenswertes FachwissenJugendzeit und akademische AusbildungKonrad Lorenz war der zweite, sehr spät geborene Sohn des angesehenen Orthopäden Adolf Lorenz. Adolf Lorenz war fast fünfzig, als sein Sohn zur Welt kam; seine Mutter Emma (geborene Lecher) war bereits 43. Sein älterer Bruder Albert (der wie sein Vater ein erfolgreicher Orthopäde wurde) war zu diesem Zeitpunkt achtzehn Jahre alt. Anfang des 20. Jahrhunderts war sein Vater ein weltbekannter Mediziner, der nicht nur in Wien, sondern regelmäßig auch in New York über viele Jahrzehnte praktizierte und unter anderem im Weißen Haus durch Theodore Roosevelt empfangen wurde. Ab 1909 besuchte Konrad Lorenz die Volksschule und ab 1915 das Wiener Schottengymnasium, wo er 1921 die Matura mit Auszeichnung ablegte. 1922 begann Konrad Lorenz auf Wunsch seines Vaters ein Medizinstudium an der Premedical School der Columbia University in New York. Er kehrte jedoch schon 1923 nach Wien zurück und setzte dort bis 1928 sein Medizinstudium an der Universität fort. 1927 heiratete Lorenz die Medizinstudentin Margarethe Gebhardt, mit der er seit seinem dritten Lebensjahr befreundet war und deren späteres Einkommen als Ärztin ihm bis 1951 den finanziellen Rückhalt für seine Studien gab. 1928 folgte, gleichfalls in Wien, die Promotion zum Doktor der Medizin (Dr. med. univ.). Im selben Jahr und – nach einer Unterbrechung – von 1931 bis 1935 war er als Assistent bei Prof. Ferdinand Hochstetter am II. Anatomischen Institut der Universität Wien beschäftigt, der ein Magnet für deutsch-nationale und völkisch gesinnte Studenten war. Hochstetter ermöglichte es Lorenz, nebenher auch seinen ethologischen Forschungen nachzugehen. [3] Von Hochstetters Nachfolger wurde ihm die ethologische Forschung dann aber verboten, weshalb Lorenz seine Assistentenstelle aufgab und seinen Interessen in Altenburg ohne Gehalt als „Privatgelehrter“ nachging. Hintergrund war, dass damals in Wien „aus Gründen der Weltanschauung der herrschenden Kreise die Biologie eher unerwünscht als erwünscht“ war, „und ganz besonders die Richtung, in der Lorenz so trefflich arbeitet.“ [4] Schon 1931 war Konrad Lorenz in Berlin erstmals persönlich den Ornithologen Oskar Heinroth und Erwin Stresemann begegnet – ein entscheidendes Ereignis für seine gesamte folgende wissenschaftliche Laufbahn. 1933 war er in Wien zum zweiten Mal promoviert worden, diesmal zum Dr. phil. im Fach Zoologie. 1936 wurde Lorenz habilitiert, sodass ihm ab 1937 die Lehrbefugnis für „Zoologie mit besonderer Berücksichtigung der vergleichenden Anatomie und Tierpsychologie“ an der Universität Wien erteilt werden konnte; es war dies die erste akademische Lehrbefugnis ihrer Art in Österreich. Stipendiat der „Notgemeinschaft“Aufgrund der Ablehnung seiner ethologischen Forschung durch die Mehrheit der Wiener Professorenschaft beantragte Konrad Lorenz 1937 im Ausland – bei der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, dem Vorläufer der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) – die Finanzierung seiner Studien über angeborene Bewegungen bei Entenvögeln; dieser Antrag wurde jedoch, wie aus den bei der DFG erhaltenen Akten hervorgeht, trotz eines hervorragenden Gutachtens von Erwin Stresemann abgelehnt. Grund für die Ablehnung war, dass „vor allem die politische Gesinnung und die Abstammung von Herrn Dr. Konrad Lorenz in Frage gestellt“ wurde. [5] Unterstützt durch den Botaniker Fritz von Wettstein und weitere Akademiker reichte Konrad Lorenz wenige Monate nach der Ablehnung erneut einen Antrag auf Projektförderung in Deutschland ein. Wettstein bescheinigte Lorenz nunmehr ausdrücklich, dieser habe „aus seiner Zustimmung zum Nationalsozialismus niemals ein Hehl gemacht. (...) Auch seine arische Abstammung ist in Ordnung.“ Otto Antonius schrieb ebenfalls in seinem Gutachten, Lorenz habe „aus seiner Bewunderung für die neuen Verhältnisse in Deutschland und die Leistungen auf allen Gebieten nie einen Hehl gemacht“ [6] In gleicher Weise bestätigte der Wiener Professor Dr. med. Alexander Pichler:
Im zweiten Anlauf war Lorenz' Gesuch um ein Forschungsstipendium erfolgreich. Er arbeitete ab 1938 über Störungen des Instinktverhaltens durch Domestikation an Wildgänsen und Kreuzungen von Wildgans und Hausgans. In den folgenden Jahren – bis 1944 – übertrug Lorenz seine Erkenntnisse über domestikationsbedingte Änderungen der Verhaltensweisen von Tieren in zunehmendem Maße auch auf den Menschen. Karriere im NationalsozialismusIm März 1938 war der Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich erfolgt. Bereits wenige Wochen später, am 28. Juni 1938, stellte Konrad Lorenz einen Antrag auf Aufnahme in die NSDAP. In diesem Aufnahmegesuch bestätigte er die Stellungnahmen der Gutachter seines Forschungsantrags an die „Notgemeinschaft“ und vermerkte handschriftlich:
Professor in KönigsbergAm 31. August 1940 wurde Konrad Lorenz zum Professor am Lehrstuhl für Psychologie der Philosophischen Fakultät der Universität Königsberg ernannt. Jede Berufung von Hochschullehrern war um 1940 ein Politikum, aber bei Lorenz paarten sich fachliche Kompetenz und „politische Qualifikation“ nachgerade optimal, da Lorenz gegenüber dem NS-Regime genügend große Vorleistungen erbracht hatte und auch in Biologenkreisen anerkannt war. Die Berufung erfolgte „auf Intervention des Ministers Rust gegen den Widerstand der Fakultät.“ [9] Befürworter der Berufung waren vor allem Eduard Baumgarten und Otto Koehler, aber auch der Soziologe Arnold Gehlen. Dieser hatte 1936 gefordert, Kant, Hegel und Fichte zur Basis des Rassenverständnisses im Nationalsozialismus zu machen. 1938 übernahm Gehlen den renommierten Kant-Lehrstuhl an der Universität Königsberg, auf dem ihm Konrad Lorenz nachfolgte, nachdem Gehlen an die Universität Wien gewechselt war. Rust, der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, griff diese Argumentation auf und entgegnete Kritikern seiner Entscheidung, dass Lorenz durch seine Forschung über „angeborene Formen der Erfahrung“ in bester Weise an die Erkenntnistheorie des deutschen Idealismus anknüpfe. [10] Aus dieser Zeit (1941) stammt auch der Artikel von Konrad Lorenz über „Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie“, dessen Gedankengänge er in den 1960er-Jahren zur Evolutionären Erkenntnistheorie ausbaute. Erbbiologische „Studien“ im besetzten PolenDie Lehrtätigkeit von Konrad Lorenz in Königsberg endete bereits ein Jahr nach ihrem Beginn, denn im Oktober 1941 wurde er als Soldat zur Wehrmacht eingezogen. Nach kurzer Grundausbildung wurde er 1942 als Heerespsychiater und Neurologe in ein Lazarett in Posen versetzt. Dort wurden ihm bis heute nicht völlig geklärte Aufgaben übertragen; er selbst hat sich über diese Zeit nie geäußert. Belegt ist lediglich seine Mitarbeit an einer rassenkundlichen „Studie“ an Posener „deutsch-polnischen Mischlingen“ und Polen, die im Rahmen des Arbeitskreises „Eignungsforschung“ innerhalb der Reichsstiftung für deutsche Ostforschung durchgeführt wurde. [11] Ziel der „Studie“ war es, die im „Reichsgau Wartheland“ (einer von deutschen Truppen eroberten und unter dieser Bezeichnung ans Deutsche Reich angegliederten Region Westpolens) lebenden Menschen auf ihre „erbbiologische“ Eignung hin zu untersuchen, weiterhin in ihrer Heimat verbleiben zu dürfen. Im Wartheland sollten deutsche Zuwanderer aus den baltischen Staaten und aus dem Reichgebiet angesiedelt werden; Ortsansässige, die aufgrund einer psychologischen Begutachtung als „asozial“ oder „erbbiologisch minderwertig“ galten, sollten hingegen in Konzentrationslager überführt werden. Lorenz nahm an dieser „Studie“, deren praktische Umsetzung bereits seit 1940 in Gang war, ehrenamtlich teil. [12] Im April 1944 wurde Konrad Lorenz zu einem deutschen Kampfverband in die Sowjetunion versetzt, wo er kurz darauf in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet, aus der er erst 1948 nach Österreich entlassen wurde. Von der Ethologie zur RassenkundeAus Lorenz' Berufungsakte zum Professor in Königsberg geht hervor, dass er schon kurz nach seinem Beitritt zur NSDAP „Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP mit Redeerlaubnis“ war, also im Sinne des Nationalsozialismus agitieren durfte. [13] „Verfallserscheinungen an Volk und Menschheit“1939/40 hatte Lorenz zudem mehrere Aufsätze geschrieben, deren ideologische Nähe zum rassistischen Gedankengut des NS-Regimes derart auffällig war, dass sie schon damals von seinen „nächsten und treuesten Freunden“ als bewusste Anbiederung und als „Selbstgefährdung als Wissenschaftler“ empfunden wurden. [14] So beklagte Lorenz in der vor allem von Lehrern herangezogenen Zeitschrift „Der Biologe“:
Eine weitere Veröffentlichung von 1940 kann noch eindeutiger als wissenschaftliche Unterfütterung der rassistischen Gesetze der deutschen Nazi-Regierung gelesen werden. In dieser erörtert Lorenz u. a. die Notwendigkeit einer „Ausmerzung ethisch Minderwertiger“ und sagt voraus:
Diese Wortwahl griff Lorenz 1973 wieder auf:
„Der rassische Gedanke als Grundlage unserer Staatsform“Die US-amerikanische Wissenschaftshistorikerin Theodora Kalikow bezeichnete 1980 Lorenz' ideologische Nähe zum NS-Regime als „bewussten Opportunismus“, deren fachlich-biologisierende Basis beschrieb sie so:
Lorenz war von einem tiefen Kulturpessimismus geprägt und beklagte wiederholt die „Verhausschweinung des Menschen“ als Folge des Wegfalls von natürlichen Selektionsmechanismen in den zivilisierten Gesellschaften:
Anders als Oswald Spengler, der den Untergang des Abendlandes pessimistisch voraussagte, entwickelte Lorenz aus den Erkenntnissen der Genetik und der Verhaltensbiologie eine – aus seiner Sicht – optimistische Perspektive:
Lorenz nannte keine Instanz, die diese „Ausmerzung“ vornehmen sollte, beschrieb aber die politischen Verhältnisse des Jahres 1940 in Deutschland als vorbildlich:
Karriere nach 1945Erst vier Jahre nach seiner Gefangennahme durch die Rote Armee, im Jahr 1948, wurde Konrad Lorenz freigelassen und konnte nach Altenberg in Österreich zurückkehren. Die von ihm gezogene Schlussfolgerung, krankes Erbmaterial müsse zur Erhaltung einer lebenstüchtigen Zivilisation ausgesondert werden, bildete bis zu seinem Tode den Kern seines biologisch determinierten Gesellschaftsverständnisses – erkennbar u. a. daran, dass seine 1943 veröffentlichte, umfangreiche Begründung dieser Anschauung [23] noch in den 1960er-Jahren auf der Einbandrückseite seiner populärwissenschaftlichen dtv-Bücher als „Hauptwerk“ bezeichnet wurde. Seine Mitgliedschaft in der NSDAP leugnete er mit dem naiven Hinweis, er habe nie einen Mitgliedsausweis besessen und räumte allenfalls ein, sich in seinen Aufsätzen der 1940er-Jahre „in der uns heute mit Recht verhaßten Sprache des Naziregimes“ ausgedrückt zu haben. In einem Gespräch mit der Wiener Abendzeitung betonte er 1973 aber zugleich die Kontinuität seiner Grundüberzeugungen:
Die von ihm beobachtete wachsende Jugend-Kriminalität deutete er in seinem Buch Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit als Zeichen eines genetischen Verfalls (siehe Zitat oben). 1988 zeigte Lorenz gar eine offenbar evolutionsbiologisch motivierte „Sympathie für Aids":
Die US-amerikanische Wissenschaftshistorikerin Theodora Kalikow kam daher zu dem Schluss, dass die grundlegenden ideologischen Elemente von Lorenz ungebrochen in die Nachkriegszeit transferiert wurden: „Somit haben jene Ethologen, Soziobiologen und populärwissenschaftlichen Autoren, die sich Lorenz‘ biologistische Anschauung der Gesellschaft zunutze gemacht haben, auch – bewusst oder unbewusst – ihre totalitaristischen Implikationen akzeptiert, daß nämlich die erfolgreiche Gesellschaft genetisch und politisch manipuliert werden muß.“ [26] Wiederbeginn in AltenbergIn Altenberg bei Wien gründete Konrad Lorenz 1949 ein „Institut für vergleichende Verhaltensforschung“, das zur Österreichischen Akademie der Wissenschaften gehörte. Ebenfalls 1949 veröffentlichte er sein bis heute populäres Buch „Er redete mit dem Vieh, den Vögeln und den Fischen“ – zwecks Finanzierung seines Lebensunterhalts und seiner Forschung. Eine Professur in Graz, für die sich u.a. Karl von Frisch einsetzte, wurde ihm 1950 nicht zuerkannt; dies lag teils an seiner Vergangenheit im Nationalsozialismus, teils an den in Österreich noch immer großen Vorbehalten gegenüber einem Biologen, der das Verhalten des Menschen und der Tiere primär als angeboren betrachtete, also aus dem Blickwinkel der Evolutionslehre. [27] Direktor im Max-Planck-InstitutStattdessen richtete 1950 die deutsche Max-Planck-Gesellschaft in Buldern/Westfalen eigens für Konrad Lorenz eine „Forschungsstelle für Vergleichende Verhaltensforschung“ ein, als Außenstelle des Max-Planck-Instituts für Meeresbiologie Wilhelmshaven, u. a. um Abwerbeversuche aus Oxford zu kontern. Dort hatte Nikolaas Tinbergen 1949 einen Lehrauftrag angenommen und umgehend wieder Kontakt mit Lorenz aufgenommen. 1953 folgte die Ernennung von Konrad Lorenz zum Honorarprofessor an der Universität Münster. 1955 begann die Max-Planck-Gesellschaft den Bau des Max-Planck-Instituts für Verhaltensphysiologie am Eßsee in Oberbayern; später erhielt diese Örtlichkeit den Namen Seewiesen. Dort wurde Lorenz stellvertretender Direktor unter Erich von Holst und nach dessen frühem Tod ab 1961 und bis 1973 Direktor. 1957 folgte die Ernennung zum Honorarprofessor für Zoologie an der Universität München. Im Jahr 1963 erschien sein Bestseller „Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression“, zehn Jahre später (1973) kamen zwei weitere Bestseller von ihm heraus: „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“ und das philosophische Hauptwerk „Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens“. 1973 wurde ihm zusammen mit Karl von Frisch und Nikolaas Tinbergen der "Nobelpreis für Physiologie oder Medizin" für Entdeckungen zur Organisation und Auslösung von individuellen und sozialen Verhaltensmustern verliehen. Seine Bekanntheit steigerte sich 1978, als Konrad Lorenz unmittelbar vor seinem 75. Geburtstag zur Galionsfigur des erfolgreichen österreichischen Volksbegehrens gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf wurde. 1988 erschien dann sein letztes großes Werk: „Hier bin ich - wo bist Du?“, eine genaue ethologische Beschreibung von Graugänsen als Zusammenschau von rund 60 Jahren intensiver Verhaltensbeobachtung. Lorenz' innovativer Ansatz in der Verhaltensbiologie der TiereHauptartikel: Instinkttheorie Konrad Lorenz gilt heute als einer der Mitbegründer der Biologie des Verhaltens und als ihr wichtigster Vorkriegstheoretiker. Als wegweisend für die verhaltensbiologische Forschung im deutschsprachigen Raum erwies sich Lorenz' 1935 im Journal für Ornithologie erschienener, epochemachende Aufsatz „Der Kumpan in der Umwelt des Vogels“. Lorenz bündelte in den 1930er-Jahren die Tierbeobachtungen diverser Forscher in einer griffigen, physiologischen Theorie der Instinktbewegungen und bahnte so ab 1937 vor allem den Weg für das Vergleichen von Verhaltensweisen auch zwischen unterschiedlichen Arten; 1937 forschte Lorenz erstmals und mehrere Monate gemeinsam mit Nikolaas Tinbergen (an Graugänsen) in Altenberg bei Wien. Der Begriff vergleichende Verhaltensforschung weist darauf hin, dass dieser Forschungsansatz die Verhaltensweisen der Tiere in ähnlicher Weise als erblich ansieht wie die Vergleichende Anatomie den Körperbau der Tiere. Konrad Lorenz setzte weniger auf Experimente, sondern auf genaue Beobachtung und Beschreibung des Verhaltens von Tieren in ihrem natürlichen Umfeld. „Der grundlegend neue Ansatz, den Lorenz mit dieser Theorie in die Verhaltensforschung hineingetragen hat, liegt in der Annahme, dass sich in den vielfältig und variabel erscheinenden komplexen Verhaltensabläufen der Tiere gleichartig aufgebaute Grundbausteine des Verhaltens, die Erbkoordinationen oder Instinktbewegungen, identifizieren lassen. (...) Im Gegensatz zu der Anfang der dreißiger Jahre noch weitgehend akzeptierten Ansicht, dass tierisches Verhalten rein reaktiv sei, betont Lorenz die Spontaneität tierischen Verhaltens, speziell der Instinktbewegung.“ [28] Lorenz selbst sah in Oskar Heinroth den Urvater der Ethologie, und in Nordamerika wird diese Rolle William Morton Wheeler zugeschrieben. Die genaue Beschreibung aller beobachtbaren Verhaltensweisen in Ethogrammen und die exakte Protokollierung ihrer Häufigkeiten und Abfolgen ermöglichte den Vergleich von Verhaltensweisen zwischen unterschiedlich nah verwandten Arten. So konnte Lorenz – speziell bei Enten- und Gänsearten – bestimmte Verhaltensweisen der einen Art als Modifikationen von Verhaltensweisen einer anderen Art „erklären“ – ganz ähnlich der vergleichenden Anatomie, die häufig ebenfalls erst aus dem Vergleich bestimmter körperlicher Merkmale verwandter Arten deren Entstehen im Verlauf der Stammesgeschichte dieser Arten nachvollziehen kann. Auf dem Gebiet der Verhaltensforschung ist diese Vorgehensweise die einzige Möglichkeit, die Evolution des Verhaltens nachzuvollziehen, da fossile Belege hierfür weitgehend fehlen. Lorenz' Bedeutung liegt ferner darin, dass er, deutlicher als andere Forscher vor ihm, in seinen wissenschaftlichen Arbeiten den Blick auf zwei genetische Besonderheiten gelenkt hat: auf angeborene Auslöser für Verhaltensweisen („Schlüsselreize“ und „angeborene Auslösemechanismen“, AAM) sowie auf eine bei diversen Tierarten nachweisbare Entwicklungsphase, in der eine gleichsam unwiderrufliche Prägung möglich ist. Zur Veranschaulichung seiner Grundüberzeugung, das Verhalten der Tiere werde vor allem durch innere Instinkte und weniger durch äußere Auslöser gesteuert, entwickelte Konrad Lorenz ein (gegen Reflex-Theoretiker und gegen behavioristische Anschauungen opponierendes) anschauliches und daher Jahrzehnte lang akzeptiertes psychohydraulisches Instinktmodell: Instinktenergien können sich diesem Modell zufolge – ähnlich wie das Wasser in einem Wasserleitungsnetz – in bestimmten Bahnen ausbreiten, aufstauen und überlaufen. Heute gilt diese Theorie unter Verhaltensforschern allerdings als überholt und wurde u. a. ersetzt durch soziobiologische, verhaltensökologische und an der Computertechnik orientierte Modelle. Lorenz' wissenschaftliche Bedeutung liegt aber mindestens ebenso darin begründet, dass er ganz wesentlich dazu beitrug, die Verhaltensbiologie (er selbst nannte das Gebiet bis 1949 oft auch „Tierpsychologie“) als eigenständiges Forschungsgebiet an den deutschen Hochschulen zu etablieren und diese Fachrichtung überdies ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Hierzu trugen vor allem seine diversen, seit 1949 erschienenen und auch heute noch gut lesbaren Tiergeschichten bei, in denen er versuchte - anders als die meisten Sachbuchautoren vor ihm - das Verhalten der Tiere aus ihrer jeweils eigenen Sichtweise zu schildern, statt ihr Verhalten aus dem Blickwinkel des Menschen zu schildern. Seine Instinkttheorie des Verhaltens regte zwischen 1935 und 1970 zudem zahlreiche Wissenschaftler zu Forschungsarbeiten an, da diese Theorie ein Erklärungsmodell bot, das man in empirischen Studien überprüfen konnte. Sein früherer Schüler Irenäus Eibl-Eibesfeldt wurde zu einem der weltweit meistgeachteten Forscher auf dem Gebiet der Humanethologie. Viele Deutungsversuche von Verhaltensweisen der Tiere, die Konrad Lorenz veröffentlichte, halten heutigen wissenschaftlichen Kriterien nicht stand, und seine Instinkttheorie wird heute nicht mehr von Verhaltensforschern als Arbeitshypothese benutzt. Schon seit Mitte der 1970er Jahre rückten immer mehr Forscher von Lorenz' Instinkttheorie ab und wandten sich zunehmend verhaltensökologischen und neurobiologischen Fragestellungen zu. Zur Abwendung von Lorenz trug auch bei, dass er zeitlebens das evolutionsbiologisch anfechtbare Konzept der „Arterhaltung“ verteidigte. „Die Rückseite des Spiegels“Hauptartikel: Die Rückseite des Spiegels 1973 veröffentliche Konrad Lorenz sein von ihm als Hauptwerk bezeichnetes Buch „Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens“. In diesem Buch erörtert er das Zusammenspiel von genetischen und zivilisatorischen Einflüssen auf das Erkenntnisvermögen des Menschen. Er versucht, systematische Beziehungen, Wechselwirkungen und Gesetzmäßigkeiten zwischen der biologischen und der soziokulturellen Evolution aufzuzeigen, also zwischen dem genetisch bedingten, instinkthaften und dem gelernten, kulturellen Verhalten. Ziel seiner Analysen ist eine umfassende Erklärung des menschlichen Verhaltens und – hieraus abgeleitet – vielleicht sogar eine Voraussage der weiteren kulturellen Evolution. Das Buch gilt heute als die erste größere systematische Fassung der Evolutionären Erkenntnistheorie, die danach von dem Physiker Gerhard Vollmer und dem Meeresbiologen Rupert Riedl ausgebaut wurde. Die literarischen ArbeitenKonrad Lorenz wurde in den 1950er Jahren weit über die Grenzen seines Fachgebietes hinaus bekannt, als er seine Studien (u. a. an Graugänsen), verpackt in unterhaltsame und anekdotenreiche Tiergeschichten, auch für naturwissenschaftliche Laien, ja sogar für Kinder zugänglich machte. Seit den 1960er Jahren stieg seine Bekanntheit durch diverse engagierte populärwissenschaftliche Publikationen – u. a. „Das sogenannte Böse“ (1963) und „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“ (1973) – weiter an: mit der Folge, dass er in der Öffentlichkeit zunehmend als Kulturpessimist und Philosoph wahrgenommen wurde; geprägt sind diese Schriften von seiner tiefen Überzeugung, dass auch das Verhalten des Menschen sehr weitgehend durch biologische, stammesgeschichtliche Vorgaben bestimmt wird. Immer wieder und heftig kritisiert wurde Konrad Lorenz, weil er häufig einzelne Phänomene aus der Tierwelt unmittelbar auf menschliche Handlungsweisen übertrug und gleichzeitig menschliche Eigenschaften in Analogie zu einzelnen Phänomenen aus dem Tierreich gesetzt habe (Anthropomorphismus). Kritisiert wurde auch, dass seine zahlreichen humananethologischen Veröffentlichungen nicht durch eigene Experimente unterfüttert waren. Bekannte Lorenz-SchülerBekannte Lorenz-Schüler sind der Verhaltensforscher und Humanethologe Irenäus Eibl-Eibesfeldt, der Wildbiologe Antal Festetics, die Verhaltensforscher Eberhard Curio, Wolfgang Schleidt, Otto Koenig und Wolfgang Wickler sowie der Biopsychologe Norbert Bischof. Einzelnachweise
Werke
Literatur
Konrad Lorenz zum Anhören
Filmdokumentationen
Siehe auch
| |
Wikiquote: Konrad Lorenz – Zitate |
- Literatur von und über Konrad Lorenz im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Hörprobe aus der österreichischen Mediathek: Konrad Lorenz Vortrag in Wien 1974
- Eintrag über Konrad Lorenz im Österreich-Lexikon von aeiou
- Informationen der Nobelstiftung zur Preisverleihung 1973 an Konrad Lorenz (englisch) und Bankettrede (deutsch)
- Lorenz und der Nationalsozialismus bei no-racism.net
- H. M. Zippelius über ihre kritische Analyse der Lorenz'schen Experimente
- Gespräch mit Lorenz (1973)
- Konrad Lorenz Forschungseinrichtungen:
- The Konrad Lorenz Institute for Evolution and Cognition Research
- Konrad Lorenz Research Station, Grünau im Almtal
- Konrad Lorenz Institute for Ethology
- Videos
- YouTube: Nobelpreisverleihung an Konrad Lorenz
- YouTube: Konrad Lorenz und Graugänse
Personendaten | |
---|---|
NAME | Lorenz, Konrad |
ALTERNATIVNAMEN | Lorenz, Konrad Zacharias |
KURZBESCHREIBUNG | Biologe (Verhaltensforscher) und Nobelpreisträger (Medizin) |
GEBURTSDATUM | 7. November 1903 |
GEBURTSORT | Wien |
STERBEDATUM | 27. Februar 1989 |
STERBEORT | Wien |
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Kategorien: Biologe | Nobelpreisträger für Medizin | Lesenswert