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Jakob Johann von Uexküll



Jakob Johann Baron von Uexküll (* 8. September 1864 in Keblas, (estnisch Mihkli), Estland; † 25. Juli 1944 auf Capri) war ein Biologe und Philosoph und einer der wichtigsten Zoologen des 20. Jahrhunderts.

Uexküll führt den Begriff der Umwelt in die Biologie ein und gilt damit als Wegbereiter der Ökologie.

Er war ein wichtiger Pionier der theoretischen Biologie, der Physiologie, der wissenschaftstheoretischen Linie des Konstruktivismus und der biologischen Semiotik. Sein Sohn Thure von Uexküll (1908-2004) war einer der wichtigsten psychosomatischen Mediziner. Der Stifter des Alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll (* 1944), ist sein Enkel.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Von Uexküll stammte aus baltischem Adel und studierte Zoologie 1884 – 1889 an der Universität Dorpat, heute Tartu. Er arbeitete anschließend in Heidelberg bis 1900 über Muskelphysiologie, dann in Neapel und an der ostafrikanischen Küste. Sein Schwerpunkt waren Weichtiere. 1907 erhält er einen Dr. phil. h.c in Heidelberg. Er verlor während des Ersten Weltkrieges sein Familienvermögen. Er war von 1925 bis 1936 Honorarprofessor in Hamburg, von 1926 bis 1940 Direktor des von ihm begründeten Instituts für Umweltforschung an der Universität von Hamburg. Bis 1935 war er Direktor des Zoologischen Gartens und des Aquariums in Hamburg. Ab 1936 war er in Utrecht. Von 1927 bis 1939 verbrachte er die Sommerfrische auf der estnischen Halbinsel Pucht (estn. Puhtu). Dort wurde 1949 das Institut für Zoologie und Botanik gegründet. Auf Capri besaß er ein Landhaus (Walter Benjamin wohnte in demselben im Frühling 1924).

Werk

Uexkülls Buch „Umwelt und Innenwelt der Tiere“ (1909) setzt eine philosophische Begründung der Biologie als Wissenschaft vom Lebendigen. Der Begriff Umwelt, zuvor kaum alltagssprachlich geläufig, wird hier terminologisch eingeführt. Er ist streng zu unterscheiden von der Umgebung eines Organismus. Die Umgebung nimmt Lebewesen als Objekte auf, die Umwelt aber wird von ihnen gestaltet. Ein Lebewesen ist immer auch seine je besondere Umwelt. Seine Grenzen sind nicht durch seine Oberfläche (Haut) gegeben, sondern durch seine Wahrnehmung und seine Aktivität, seine Bewegungen in Raum und Zeit. Uexküll sagt, jedes Tier habe seine eigene, „subjektive“ Zeit und seinen „subjektiven“ Raum. Die Umwelt des Tieres spiegelt sich in seiner Innenwelt, diese wiederum gliedert sich in eine Merkwelt und eine Wirkwelt.

Die Merkwelt bedeutet das, was ein Organismus wahrnehmen kann, die Wirkwelt, was es zu tun imstande ist. Zwischen beiden besteht eine Wechselwirkung, die von Uexküll „Funktionskreis“ nennt. Sein berühmtes Beispiel: die Zecke. Zecken können drei Aspekte der Welt „merken“: oben – unten, warm – kalt, Buttersäure: ja oder nein. Diesen sinnlichen Vermögen entsprechen Organe, die etwas in die Tat umsetzen, also bewirken können, was letztlich der Fortpflanzung und Arterhaltung dient, Krabbeln, Warten, Zupacken. Die Umwelt der Zecke ist einfach, aus diesen drei Bestandteilen komponiert. Ihre subjektive Zeit ebenfalls: sie kann über Jahre leben, ohne dass etwas geschieht, plötzlich erscheint ein Warmblüter, die Zecke erfüllt ihre Mission und stirbt alsgleich.

Revolutionär an Uexkülls Ansatz ist, dass Lebewesen nicht isoliert betrachtet werden. Zu einer Spinne gehört auch ihr Netz, das Netz wiederum ist ein Abbild der kommenden Beute.

Uexküll verwendet ein philosophisch von Immanuel Kant entlehntes Vokabular, wenn er Tieren ein subjektives Zeit- und Raumempfinden unterstellt. Biologiehistorisch knüpft er (nach eigenem Bekunden) an die romantischen Naturforscher Johannes Müller (1801 – 1858) und Karl Ernst von Baer (1792 – 1876) an. Von Baer, übrigens auch ein Balte, richtete erstmals die Aufmerksamkeit auf die Eigenzeit des Lebens und jedes Lebewesens. Leben als subjektive Leistung anzusehen, ist eine Neuigkeit. Das Gegenbild, Leben auf physikalische und chemische Prozesse zurückzuführen, herrscht paradigmatisch in den Wissenschaften und im alltäglichen Verstand.

Uexküll stand im Austausch mit den Philosophen Ernst Cassirer, Edmund Husserl, Helmuth Plessner, Martin Heidegger, sowie mit den Literaten Rainer Maria Rilke, Gottfried Benn und anderen. Freilich war er auch mit Houston Stewart Chamberlain befreundet; Uexküll schrieb 1928 ein Vorwort zu dessen Werk „Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“. Und Uexkülls Monographie Staatsbiologie, eine systematisch wichtige und semiotisch grundlegende und durchaus originelle Arbeit, ist sicherlich normativ von radikaler Gegnerschaft nicht nur konkret zur Weimarer Republik, sondern zur Demokratie an sich gekennzeichnet - und zwar aus biotheoretischen und -semiotischen Erwägungen. Dies ändert jedoch nichts an der Bedeutung seines Lebenswerks, insbesondere der Umwelttheorie.

Die terminologische Fassung des Begriffs der Umwelt ist von nicht abschätzbarer Wucht, sie wirkt auf die Soziologie der Lebenswelt wie, biopolitisch, in die Ökologie. Weiters ist zu nennen die auslösende Wirkung auf den radikalen Konstruktivismus, die Physiologie, die Kybernetik und die Semiotik, die Uexküll zusammen mit seinem Sohn ausgearbeitet hat.

Jakob von Uexkülls Werk wirkt prominent bei den Philosophen Ernst Cassirer (An Essay on Man, 1940), Helmuth Plessner (Die Frage nach der Conditio humana, 1961) oder Martin Heidegger (Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt, Endlichkeit, Einsamkeit, Freiburger Vorlesungen 1929/1930, Frankfurt am Main 2004).

Ein Kritikpunkt betrifft den "Tunnelblick", den Uexküll Lebensformen unterstellt. Das werde anthropologisch der Weltoffenheit des Menschen nicht gerecht. Uexküll konzipiert die Umwelt als Blase oder Röhre, was Hans Blumenberg (siehe unten: Literatur) mit einer Makkaronipackung verglichen hat. Eine intensive literarische Verarbeitung gibt der dänische Autor Peter Hoeg in seinem neoromantischen Entwicklungsroman "Der Plan von der Abschaffung des Dunkels". Jüngst hat sich der italienische Philosoph Giorgio Agamben auf Uexkülls Umweltkonzept eingelassen (2002/deutsch 2003).

Aktuell ist Jakob von Uexkülls Werk in den Aspekten: Ökologie/Umweltbewusstsein; Semiotik (Zeichenlehre); dem Verhältnis von Ausdruck und Lebenswelt; der Beziehung vom Tier zum Menschen. In der Biologie selbst war von Uexküll nicht paradigmenbildend.

Publikationen

Veröffentlichungen in deutscher Sprache (nach [1]):

  • 1905. Leitfaden in das Studium der experimentellen Biologie der Wassertiere. Wiesbaden: J.F.Bergmann.
  • 1909. Umwelt und Innenwelt der Tiere. Berlin: J. Springer.
  • 1913. Bausteine zu einer biologischen Weltanschauung. Gesammelte Aufsätze, herausgegeben und eingeleitet von Felix Groß. München: F.Bruckmann A.-G..
  • 1920. Biologische Briefe an eine Dame. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel.
  • 1920. Staatsbiologie (Anatomie-Physiologie-Pathologie des Staates). Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel. (Sonderheft der "Deutschen Rundschau", hrg. Rudolf Pechel).
  • 1920. Theoretische Biologie. Berlin: Verlag von Gebrüder Paetel.
  • 1921. Umwelt und Innenwelt der Tiere. 2. verm. u. verb. Aufl. Berlin: J. Springer.
  • 1928. Houston Stewart Chamberlain. Natur und Leben. München: F.Bruckmann A.-G (als Hrsg.).
  • 1928. Theoretische Biologie. 2. gänzl. neu bearb. Aufl. Berlin: J. Springer.
  • 1930. Die Lebenslehre (= Das Weltbild, Bücher des lebendigen Wissens, Hrg. Hans Prinzhorn, Bd. 13), Potsdam: Müller und Kiepenheuer Verlag, und Zürich: Orell Füssli Verlag.
  • 1933. Staatsbiologie: Anatomie-Physiologie-Pathologie des Staates. Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt.
  • 1934: Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen: Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten. (Sammlung: Verständliche Wissenschaft, Bd. 21.) Berlin: J. Springer (mit Kriszat G.).
  • 1936. Niegeschaute Welten. Die Umwelten meiner Freunde. Ein Erinnerungsbuch. Berlin: S.Fischer.
  • 1938. Der unsterbliche Geist in der Natur. Gespräche. Hamburg.
  • 1939. Nie geschaute Welten. Die Umwelten meiner Freunde. Ein Errinnerungsbuch. 8. Aufl. Berlin.
  • 1940. Bedeutungslehre (= Bios, Abhandlungen zur theoretischen Biologie und ihrer Geschichte sowie zur Philosophie der organischen Naturwissenschaften. Bd. 10). Leipzig: Verlag von J. A. Barth.
  • 1940. Der Stein von Werder. Hamburg: Christian Wegner Verlag.
  • mit Uexküll Th. von 1944. Die ewige Frage: Biologische Variationen über einen platonischen Dialog. Hamburg: Marion von Schröder Verlag.
  • 1946. Der unsterbliche Geist in der Natur: Gespräche.4. - 8. Tsd. Hamburg: Christian Wegner Verlag.
  • 1947. Der unsterbliche Geist in der Natur: Gespräche. 9.-18. Tsd. Hamburg: Christian Wegner Verlag.
  • 1947. Der Sinn des Lebens. Gedanken über die Aufgaben der Biologie. Mitgeteilt in einer Interpretation der zu Bonn 1824 gehaltenen Vorlesung des Johannes Müller "Von dem Bedürfnis der Physiologie nach einer philosophischen Naturbetrachtung", mit einem Ausblick von Thure von Uexküll. Godesberg: Verlag Helmut Küpper.
  • 1949. Nie geschaute Welten. 9.-13. Aufl., Berlin, Frankfurt a. M.
  • 1950. Das allmächtige Leben. Hamburg: Christian Wegner Verlag.
  • mit Kriszat G. 1956. Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen: Ein Bilderbuch unsichtbarer Welten. Bedeutungslehre. Mit einem Vorwort von Adolf Portmann. Hamburg: Rowohlt.
  • 1957. Nie geschaute Welten. München.
  • 1958. Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. Bedeutungslehre. Hamburg: Rowohlt (mit Kriszat G.).
  • 1962. Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. Bedeutungslehre. Hamburg: Rowohlt (mit Kriszat G.).
  • 1963. Niegeschaute Welten. 13. Tsd., Frankfurt a. M.
  • 1970. Streifzüge durch die Umwelten von Tieren und Menschen. Bedeutungslehre. Frankfurt a. M.: S. Fischer (mit Kriszat G.).
  • 1973. Theoretische Biologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft.
  • 1977. Der Sinn des Lebens. Gedanken über die Aufgaben der Biologie, mitgeteilt in einer Interpretation der zu Bonn 1824 gehaltenen Vorlesung des Johannes Müller "Von dem Bedürfnis der Physiologie nach einer philosophischen Naturbetrachtung", mit einem Ausblick von Thure von Uexküll. Stuttgart: Ernst Klatt Verlag.
  • 1980. Kompositionslehre der Natur. Biologie als undogmatische Naturwissenschaft. Ausgewählte Schriften. Herausgegeben und eingeleitet von Thure von Uexküll. Frankfurt am Main - Berlin - Wien: Verlag Ullstein GmbH.

Literatur

  • Deleuze, Gilles: Spinoza – Praktische Philosophie. - Berlin : Merve Verlag, 1981 (Seiten 162ff)
  • Agamben, Giorgio: Das Offene : der Mensch und das Tier. - Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 2003
  • Blumenberg, Hans: Lebenszeit und Weltzeit. - Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 2001
  • Dempf, Alois: Die Weltidee. - Einsiedeln : Johanes-Verl., 1955
  • Helbach, Charlotte: Die Umweltidee Jakob von Uexkülls. - Aachen, Univ. Diss., 1989
  • Hoeg, Peter: Der Plan von der Abschaffung des Dunkels : Roman. - Reinbek : Rowohlt, 2001
  • Kull, Kalevi: Jakob von Uexküll: An introduction. Semiotica Vol. 134: 1-59, 2001
  • Schmitt, Jutta: Die Umweltlehre Jakob von Uexkülls in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der vergleichenden Verhaltensforschung. - Marburg, Univ. Diss., 1989
  • Uexküll, Gudrun von: Jakob von Uexküll, seine Welt und seine Umwelt : e. Biographie. - Hamburg : Wegner, 1964
 
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