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Ibn Tufail



Ibn Tufail (* 1110 in Wadi-Asch (Guadix) bei Granada; † 1185 in Marrakesch), mit vollem Namen Abu Bakr Muhammad Ibn Abd al-Malik Muhammad Ibn Tufail al-Qaisi, latinisiert Abdubacer, war ein bedeutender arabisch-andalusischer Philosoph, Astronom, Arzt, Mathematiker und Sufi (islamischer Mystiker). Er ist der Autor eines philosophischen Inselromans ("Robinsonade").

Inhaltsverzeichnis

Leben

Vom Leben dieses Gelehrten ist nur wenig bekannt. Er stammte aus Guadix und soll sich nach dem Studium von Medizin, Mathematik und Astronomie als Arzt in Granada niedergelassen haben, bevor er später durch den Almohadenherrscher Abu Yaqub Yusuf I. (1163-1184) nach Marrakesch berufen und zum Leibarzt und Wesir ernannt wurde. Dort lernte er auch Ibn Ruschd/Averroes kennen, den er dem Sultan vorstellte. Ibn Ruschd/Averroes interessierte sich schon damals für die Philosophie des Aristoteles, da die politischen Verhältnisse zu jener Zeit aber schwierig waren, traute er sich in dem Gespräch erst gegen Ende sein Interesse an Aristoteles zu bekunden. Ibn Tufail starb 1185 in der Residenz in Marrakesch.

Das - nebst einem medizinischen Lehrgedicht - einzige erhaltene Werk von ihm ist der Traktat von Hayy ibn Yaqzan („Der Lebendige, Sohn des Wachenden“), welcher zu den wichtigsten Werken der arabischen Philosophie und Literatur gehört. Man kann das Werk als Entwicklungsroman bezeichnen, es soll auch Vorlage für Daniel Defoes Robinson Crusoe gewesen sein. Im Roman geht es um ein Kind, das von einer Gazelle aufgezogen und nur von Natur und Tieren umgeben auf einer einsamen Insel aufwächst und bis zum 50. Lebensjahr die Erkenntnis der Allmächtigkeit Gottes erlangt.

Der Lebende, Sohn des Wachenden

Der Entwicklungsroman demonstriert das islamische Fitra-Konzept und handelt von einem Menschen (namens Haiy ibn Yaqzân), der von Kindheit an alleine auf einer tropischen Insel aufwächst und von den Tieren ernährt wird. Dabei werden sehr viele pädagogische und psychologische Aspekte geschildert, mehr, als man von einem philosophischen Werk erwarten würde. Die Schilderung des Lebens des Jungen geschieht Schritt für Schritt in Etappen zu je sieben Jahren. Der junge Mensch entwickelt sich ganz langsam und kommt schließlich zu der höchsten für einen Menschen erreichbaren Erkenntnis.

  • In der 1. Phase bis zu seinem 7. Lebensjahr wird Haiy von einer Gazelle aufgezogen und in grundlegende Gefühle und Empfindungen wie Zuneigung und Solidarität und Überlebenstechniken wie Nahrungssuche und Selbstverteidigung eingeführt. Es ist die Zeit des kindlichen Entdeckens.
  • In der 2. Phase bis zu seinem 21. Lebensjahr entdeckt er selbst einige handwerkliche Techniken, so etwa den Bau einer Höhle und den Umgang mit dem Feuer. Mit dem Tod der Gazelle lernt er außerdem, dass Lebewesen nicht nur aus einem Körper, sondern auch aus einem Geist bestehen. Als die Gazelle, seine Mutter, stirbt seziert er sie um herauszufinden, wo das Leben hingegangen ist und findet das Herz, wo er das Leben, einen "Hauch" (auch: Pneuma) vermutet, das nun aber fort ist.
  • In der 3. Phase bis zu seinem 28. Lebensjahr beschäftigt er sich ganz mit den Fragen der Logik und Physik. Er entdeckt die Kausalität und vermutet, dass alles einen "Urgrund" haben muss. Er beginnt, Individuen von Arten, Form von Materie und Wirkungen von Ursachen zu unterscheiden. Er unterteilt seine Umwelt in Kategorien, Arten und Rassen. Aufgrund seiner Einsicht in eine Art "Urgrund" oder allerletzte Ursache hat er schon einen Grundstein für die Erkenntnis Gottes.
  • In der 4. Phase bis zum 35. Lebensjahr widmet er sich der Kosmologie. Ihm wird klar, dass es für die Bewegung der Himmelskörper, ja der ganzen Welt und des Lebens metaphysische Gründe geben muss. Er sucht nach Gesetzen, die alles in der Welt regeln und findet mitunter die Naturgesetze. Er sieht aber noch deutlicher als vorher, dass alles von irgendwo herkommen muss und hat nur noch das Ziel, dem vollkommenen Wesen, dem Schöpfer von Himmel und Erde näher zu kommen.
  • In der 5. Phase bis zum 50. Lebensjahr meditiert er, denn er sieht ein, dass das Instrument zur Erkenntnis Gottes kein instrumentelles oder sinnliches sein kann, sondern Gott selbst ähnlich sein muss. Gott darf nicht zu erkennender Gegenstand bleiben, daher muss das erkennende Subjekt sich auf eine Ebene erheben, auf der Gott sich erkennen lässt. Zu Erkenntnis wir eine Verschmelzung von Subjekt und Objekt nötig, die Erkennendes, Erkanntes und Erkenntnis zugleich ist. Haiy erkennt auch, dass das Leben in drei Stufen geführt werden sollte, um diese Erkenntnis zu erreichen:
  1. Ähnlichkeit mit vernunftlosen Tieren
    
Einsicht in unmittelbare Lebensnotwendigkeiten unter Auferlegung strenger Regeln, unter anderem gutem Umweltbewusstsein: Haiy isst kaum Fleisch und nur reifes Obst, dessen Kerne er wieder anpflanzt
    
(Erkenntnis der Notwendigkeit der Harmonie mit der Umwelt)
  2. Angleichung an Himmelskörper
    
Wie im Himmel beginnt Haiy sich um sich selbst zu bewegen
    (ähnlich den tanzenden Derwischen; Imitation Gottes)
  3. Angleichung an die Attribute Gottes
    
Durch gänzliche Widmung zur Meditation denkt Haiy nur an Gott, damit ihm eine Vision der himmlischen Welt zuteil wird
    (Entwicklung einer asketisch-philosophischen, mystischen Lebensweise)

Als Haiy 50 Jahre alt ist, tritt auf einer benachbarten Insel eine muslimische Gemeinschaft mit ihm in Verbindung. Es stellt sich heraus, dass die Bewohner der Nachbarinsel mit Haiy in allen wesentlichen Punkten zu den Fragen, die er schon immer mit jemandem diskutieren wollte, übereinstimmen: die Existenz Gottes, die Beschaffenheit der Welt und Bestimmung des Menschen. Haiy aber hat die unverhüllte Wahrheit erkannt, während sie den Menschen der Nachbarinsel durch einen Propheten, durch Anweisungen und Symbole verkündet wurde. Ibn Tufail schließt mit der Bemerkung, dass zur Erkenntnis mehrere Wege möglich sind, sowohl ein eher philosophischer (wie letztlich bei Ibn Sînâ) als auch ein eher religiöser (wie bei Al-Ghazâlî). Sein Roman dient auch, wie im Vorwort erwähnt wird, der Symbiose dieser beider Philosophen. Weiters hält Ibn Tufail es auch für möglich, dass andere Religionen ebenfalls zur Erkenntnis gelangen können, so etwa Judentum und Christentum und nicht nur der Islam.

Primärliteratur

  • Ibn Tufail: Hayy Ibn Yaqdhan. Ein muslimischer Inselroman[1]. Herausgegeben und bearbeitet von Jameleddine Ben Abdeljelil und Viktoria Frysak. Edition Viktoria[2], Wien 2007. ISBN: 978-3-902591-01-2
  • Ibn Tufail, Abū Bakr: Der Philosoph als Autodidakt. Übers. u. hrsg. v. Patric O. Schaerer. Meiner, Hamburg 2004. ISBN 978-3-7873-1797-4
  • Ibn Tufail: Der Ur-Robinson, Matthes & Seitz 1987.

Sekundärliteratur

  • Ausführliche philosophiegeschichtliche Einleitung und Kommentar zum Werk in: Ibn Tufail: Der Philosoph als Autodidakt. ISBN 978-3-7873-1797-4
  • Stephan und Nandy Ronart: Lexikon der Arabischen Welt. Artemis Verlag 1972.
  • Ulrich Rudolph: Islamische Philosophie. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 2004: Verlag C. H. Beck. S. 65-69. ISBN 3-406-50852-9
  • T. J. DeBoer: Geschichte der Philosophie im Islam. Stuttgart 1901: Fr. Frommanns Verlag. S. 160-164.
 
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Ibn_Tufail aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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