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Hospitalismus



Klassifikation nach ICD-10
F43 Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen
F94.1 Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters
F94.2 Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Unter Hospitalismus (ursächlich auch Deprivationssyndrom genannt) versteht man alle negativen körperlichen und seelischen Begleitfolgen eines längeren Krankenhaus- oder Heimaufenthalts. Die beinhaltet auch mangelnde Umsorgung und lieblose Behandlung von Babys und Kindern, in der Psychiatrie Symptome infolge von Heimaufenthalt, oder durch Folter oder Isolationshaft. Der Ausdruck Deprivationssyndrom stammt vom Begriff Deprivation, lateinisch deprivare - berauben in Bezug auf Reize und Zuwendung.

Inhaltsverzeichnis

Ursächliche Bezeichnungen

Je nach Ursache und Schweregrad spricht man beim Hospitalismus auch von psychischen Hospitalismus (Deprivationssyndrom) oder vom infektiösen Hospitalismus. Ist die Vernachlässigung hauptsächlich seelischer/emotionaler Art, spricht man vom psychischen Hospitalismus (Deprivationssyndrom). Besteht die Vernachlässigung im Vorenthalten pflegerischer sowie fürsorgerischer Maßnahmen oder ist die seelische Deprivation so schwerwiegend, dass sie sich sowohl seelisch als auch körperlich manifestiert, spricht man vom Hospitalismus. Eine klare Trennung der Termini kann jedoch nicht oder nur grob erfolgen, denn die Übergänge sind fließend und es sind stets die individuellen Umstände zu berücksichtigen. Es wird davon ausgegangen, dass eine schwere seelische Deprivation auch körperliche Folgen nach sich zieht und umgekehrt bei schwerer pflegerischer Vernachlässigung auch psychische Symptome auftreten.

Hospitalismus in der ICD-10-GM

Je nach Art der Störung werden für die Bezeichnung Hospitalismus in der klinischen Praxis verschiedene ICD-10-Diagnoseschlüssel verwandt, nämlich folgende:

Ursächliche Differenzialbezeichnungen werden intern und individuell verwendet, besitzen jedoch keinen eigenen ICD-10-Diagnoseschlüssel.

Kaspar-Hauser-Syndrom

In Medizin und Psychologie verwendet man für die schwerste Form von Hospitalismus oft den Begriff „Kaspar-Hauser-Syndrom“ bei völligem Reizentzug in Kombination mit Misshandlung bzw. falscher Haltung/Einpferchung. Der Begriff wird sowohl für Kinder (selten) als auch für Tiere (häufiger) verwendet, die über lange Zeit völligem Reizentzug und Misshandlungen ausgesetzt waren und somit in ihrer Entwicklung gestört wurden. Es äußert sich neben körperlicher und geistiger Unterentwicklung auch in extremer Ängstlichkeit.

Ein Beispiel für das „Kaspar-Hauser-Syndrom“ ist die Geschichte eines Hundes, der seit seiner Geburt über Jahre hinweg in einem engen Käfig im Schaufenster einer Zoohandlung gehalten wurde. Als dieser Hund befreit wurde, war er angsterfüllt und nicht in der Lage zu laufen.

Ein anderes Beispiel für das „Kaspar-Hauser-Syndrom“ sind die Kinder in den Waisen- und Kinderheimen in Rumänien, besonders unter der Herrschaft Ceausescus. Traurige Berühmtheit erlangte das Heim „Cighid“, wo bis 1990 über 100 Kinder in Gitterbetten, Dreck, Kälte, ungenügender Bekleidung, Mangelernährung und fehlender menschlicher Zuwendung dahinvegetierten. Viele von ihnen konnten, trotz vorhandener körperlicher Fähigkeiten, nicht kriechen oder laufen, weil sie nicht gefördert worden waren bzw. weil ihre Beinmuskulatur vom langen, bewegungslosen Hocken verkümmert war. (Siehe dazu auch die Ausgaben des SPIEGELS aus den Jahren 1990 bzw. den Artikel „Cighid“.)

Psychischer Hospitalismus (Deprivationssyndrom)

Psychischer Hospitalismus wird auch als Hospitalismus-Syndrom, Hospitalschaden, Deprivationssyndrom, anaklitische Depression oder emotionale/seelische Deprivation bezeichnet.

Er äußert sich durch Entwicklungsverzögerungen und Entwicklungsstörungen bei längerem Krankenhaus- oder Heimaufenthalt infolge unpersönlicher Betreuung und mangelhafter individueller Zuwendung (Mangel an Reizen, Mangel an Zuwendung). Durch die Einweisung in ein Heim, die lieblose Betreuung zu Hause, die Trennung der Eltern oder gar Kindesmisshandlung kommt es oft zu einer ängstlich-widerstrebenden oder einer ängstlich-vermeidenden Bindung des Kindes an die Erzieher. Das Urvertrauen der Kinder wird frühzeitig wieder zerstört. Psychischer Hospitalismus kommt häufig in Krankenhäusern, Kinder- und Jugendheimen und auch in manchen Familien vor, wenn die Kinder „wie am Fließband“ und unter Zeitdruck „abgefertigt“ werden, das heißt, nicht ausreichend Zuwendung erhalten. - Walter Züblin sprach in seinem Buch „Das schwierige Kind“ 1971 von „verblödeten Autisten“ und „unansprechbaren Idioten“, was zeigt, dass der Autor vermutlich über wenig Erfahrungen mit Betroffenen verfügt.

Bekannt sind die Forschungen von René Spitz zur Entwicklung der Beziehung zwischen Mutter und Kind im ersten Lebensjahr. Untersuchungen der gestörten Mutterbeziehungen des Säuglings bei widersprüchlichem Mutterverhalten: Aktive und passive Ablehnung des Kindes, Überfürsorglichkeit, abwechselnde Feindseligkeit und Verwöhnung, mit Freundlichkeit verdeckte Ablehnung. Solche Bedrohungen der Beziehung führen je nach Art der gestörten Objektbeziehung zu verschiedenen schweren psychischen und psychosomatischen Störungen beim Kind.

Harry Harlow zeigte mit jungen Rhesusaffen und einer Mutter-Attrappe aus Drahtgeflecht als Milchspender und einer zweiten mit Stoffbezug als Kuscheltier, dass Kuscheln einen sehr hohen Stellenwert beim Aufwachsen hat. Affen die ohne Spielgefährten heranwuchsen, wirkten später oft ängstlicher als ihre Artgenossen, die mit Gleichaltrigen herangewachsen waren. Völlig isoliert aufgezogene Tiere waren später derart verhaltensgestört, dass sie oft zur Aufzucht eigener Kinder nicht mehr fähig waren.

Mit dem psychischen Hospitalismus verwandt ist die Verwahrlosung von Kindern und Jugendlichen; sie werden sich selbst überlassen. Früher hat man den Hospitalismus daher auch als Frühverwahrlosung bezeichnet. Frühe Forschungen dazu von August Aichhorn.

Ähnliche Erscheinungen kommen auch bei Erwachsenen in Krankenhäusern, Seniorenheimen und in der Psychiatrie vor, wenn sie lieblos betreut werden und von der übrigen Bevölkerung abgeschnitten sind.

Ähnliche Störungen kommen auch bei Tieren vor. In einem Tierversuch hat man Küken isoliert in verschiedenen Käfigen gehalten und beobachtet. Nach einiger Zeit saßen sie in einer Ecke des Käfigs und starrten die Wand an. Bei Pferden im Stall kann man beobachten, dass sie sich teilweise hin und her wiegen, wenn sie sich über längere Zeit nicht gefordert werden (sog. Weben; weitere psychische Verhaltensstörung: Koppen (Gewährsmangel)). Manche Zootiere, die lange Zeit in Gefangenschaft leben, neigen zu motorischer Unruhe (z. B. an der Wand hin und her rennen). Bei Eisbären, die in der Natur viel Bewegung brauchen und im Zoo stark eingeschränkt sind, wurde beobachtet, dass diese den Kopf wie in Trance stark hin und her wiegen.

Infektiöser Hospitalismus (Nosokomiale Infektion)

Unter dem Begriff „Infektiöser Hospitalismus“ fallen alle durch Klinikaufenthalt verursachten Infektionen. Die Ursachen einer „Nosokomialen Infektion“ können vielfältig sein, beispielsweise:

  • Kontamination; Verunreinigung von Fläche, Pflegeutensilien, Hände, Flüssigkeiten mit Mikroorganismen.
  • Pathogen; Krankheitsübertragung durch Menschen oder Tiere
  • Antibiotikum-Resistenz; Ein besonderes Problem in Kliniken ist die zunehmende Resistenz krankheitserregender Bakterien gegenüber Antibiotika. Durch die ständige Gabe der Antibiotika können sich Bakterien entwickeln, die gegen nahezu sämtliche Antibiotika resistent sind, z. B. Staphylokokken, Streptokokken, Aspergillus und andere. Zudem kann es noch zu Kreuzresistenzen kommen, wenn Resistenzgene von einer Bakterienart auf eine andere übertragen werden. Das kann so weit reichen, dass selbst in unserer Zeit manche Infektionen nicht mehr zu beherrschen sind und bei schweren Fällen amputiert werden muss.

Physiologischer Hospitalismus

Unter dem Begriff „physiologischer Hospitalismus“ werden sämtliche körperlichen nicht mit bakteriellen Ursachen in Verbindung stehende Veränderungen eingeordnet, welche entstehen können aufgrund verschiedener Ursachen, beispielsweise:

  • Verabreichung von falschen Medikamenten, falsche Dosierung von Medikamenten
  • offen herumliegende oder falsch verpackte Tabletten und daraus entstehende Gefahren
  • Dekubitus (Druckgeschwür) und Wundliegen bei bettlägerigen Patienten
  • mangelhaft oder falsch durchgeführte Krankengymnastik, fehlende Therapieangebote, wenig Außenkontakte, oftmals wenig Verbindung zu Familie und Angehörigen, wenig Freizeitangebote
  • freiheitsentziehende Maßnahmen, z. B. Einsperren, Fixieren, Psychopharmaka zur Ruhigstellung.
  • Liegen lassen in Kot und Urin

Ursachen

Hospitalismus kommt überall dort vor, wo Menschen „wie am Fließband“ und unter „Zeitdruck“ „abgefertigt“ werden, und ist zu finden in Alten-, Pflege- und Kinderheimen, in Krankenhäusern, und es ist auch in Familien anzutreffen, in denen die Eltern mit der Pflege der Kinder überfordert sind und diese schwerer physischer und psychischer Vernachlässigung sowie Misshandlung ausgesetzt werden.

Hospitalismusfördernd ist außerdem das Fehlen optischer sowie akustischer Stimulation:

  • wenn Kinder in Waisenhäusern ausschließlich im Gitterbett „gehalten“ werden und keine Möglichkeit haben, sich selbstständig in der Umgebung zu bewegen und z. B. im Garten und/oder mit den anderen Kindern zu spielen (s. René A. Spitz; Harry Harlow)
  • längere Fixierung alter oder psychisch kranker Menschen in Pflegeheimen oder Psychiatrien
  • Fehlen von sensorischer Stimulation in Kliniken: Farben, Bilder, Musik

Aus der fehlenden Stimulation als Folge schwerer Deprivation kann man die Ursache für das Vorhandensein von repetitiven Stereotypien sowie Wahrnehmungsverarbeitungsstörungen ableiten. Daher ist vor allem bei Kleinkindern, die sich in einer hospitalisierenden Umgebung befinden, keine zuverlässige Differenzialdiagnose zum Autismus möglich, denn im Zustand der schweren Deprivation zeigen nicht-autistische Kinder nahezu die gleichen Symptome. Eine klare Differenzierung zwischen Hospitalismus und Autismus kann daher nur außerhalb einer hospitalisierenden Umgebung erfolgen, wenn die Symptome von Hospitalismus abklingen, während die (gleichen) Symptome bei Autismus in unverminderter Intensität bleiben.

Symptome und Beschwerden des Hospitalismus

Je nach individueller Situation des von Vernachlässigung Betroffenen kommen nicht alle Symptome vor oder sind je nach Ursache eher körperlicher oder eher seelischer Natur. Folgende Symptome aufgrund von Vernachlässigung können auftreten:

  • Erhöhte Krankheitsanfälligkeit und Sterblichkeit der Säuglinge und Kinder, vermehrtes Auftreten von Infektionskrankheiten
  • Störungen des Appetits (Appetitverminderung oder übermäßige Esslust), Essen wird gesammelt und irgendwo eingelagert, z. B. unterm Bett (bei Kindern, die neben der Vernachlässigung auch Hunger erfahren haben)
  • motorische Verlangsamung, ungenügende Reaktionsfähigkeit
  • passive Grundstimmung, Teilnahmslosigkeit bis zur Apathie
  • Kontaktstörungen und Wahrnehmungsstörungen, die dem Autismus stark ähneln können
  • Erzwingen von Aufmerksamkeit, stehlen, lügen (bei Kindern)
  • Resignation, Anaklitische Depression
  • mögliche Entwicklung einer reaktiven Bindungsstörung, einer Anpassungsstörung oder Borderline-Persönlichkeitsstörung als Folge der Resignation (bei Kindern aufgrund sehr langen Heimaufenthalts und extremer Deprivation sowie Fehlen von „Nestwärme“)
  • motorische Unruhe und Stereotypien wie z. B. Jaktation (Jactatio capitis - Kopfwackeln, Jactatio corporis - Schunkeln) bis zur Selbstverletzung (zum Beispiel Anschlagen mit dem Kopf an die Wand), ständiges Umhergehen
  • Störungen der Aufmerksamkeit und der Konzentration, schnelle Ermüdbarkeit
  • geringe/fehlende Frustrationstoleranz (Neigung zu Wutanfällen), Aggressionen und Reizbarkeit
  • mangelnde soziale Integration oder gar keine Sozialisation, Neigung zu „asozialem“ Verhalten
  • verstärktes Daumenlutschen (bei Kindern)
  • körperliche Retardierung (zum Beispiel Minderwuchs oder Abmagerung durch mangelhafte Ernährung), Marasmus, schlechte Zähne
  • ungepflegtes Äußeres, verschmutzte und zerlumpte Kleidung, mangelnde Körperhygiene
  • intellektuelle und emotionale Retardierung, die das Ausmaß einer geistigen Behinderung annehmen kann („Pseudodebilität“),
  • Angstzustände, ängstlich-vermeidendes Verhalten,
  • Störungen der Konzentration und der Aufmerksamkeit,
  • Lernstörungen
  • Leistungsschwäche
  • Depressionen und Weinerlichkeit, depressive Grundstimmung
  • geringes Selbstwertgefühl
  • mangelhaftes Gefühl von Geborgenheit und wenig Urvertrauen (bei Kindern)
  • Verantwortungslosigkeit gegenüber sich selbst und den Mitmenschen
  • mangelnde Kritikfähigkeit, gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber Kränkungen
  • Regredierung, Regression, Abbau kognitiver Fähigkeiten, erworbene Fähigkeiten gehen wieder verloren, ein Zurückgreifen auf frühere Verhaltensweisen, dies häufig bei Menschen in Altersheimen oder Krankenhäusern

Folgen und Komplikationen

Die Folgen von infektiösem Hospitalismus sind gravierend. Gerade alte, geschwächte oder chronisch kranke Menschen, auch Leute mit Dauerkatheter oder frisch Operierte, infizieren sich mit Krankheitserregern. Auch die Nachlässigkeit und die mangelnde Desinfektion der Räume und der medizinischen Geräte sowie die persönliche Hygiene sind ein großes Problem in Krankenhäusern und Arztpraxen und können zu gefährlichen Infektionen führen.

Die Folgen von psychischen Hospitalismus (Deprivation, Deprivationssyndrom, anaklitische Depression) sind erst auf den zweiten Blick zu erkennen können jedoch gravierender und langfristiger sein als beim körperlichen Hospitalismus. Mögliche Folgen sind psycho-affektiven Störungen, also Verzögerungen und Veränderungen im Antrieb, in der Wahrnehmung und im Fühlen und Denken sowie emotionale Stumpfheit. Die Kinder können retardieren und/oder entwickeln später möglicherweise eine Bindungsstörung (ICD-10 F94), eine Borderline-Persönlichkeitsstörung (ICD F60.3) oder eine Anpassungsstörung (ICD-10 F43). Langzeitpatienten in Krankenhäusern, Altenheimen und Anstalten können regredieren und beispielsweise von einer Depression (ICD-10 F32) betroffen sein.

Vorbeugung

Genaue Beachtung der Hygienevorschriften in Krankenhäusern und Kinderheimen, Dauerkatheter nicht länger als nötig, häufige Händedesinfektion, Reinhaltung der Kleidung, Desinfektion des medizinischen Gerätes, Medizinbehälter nicht offen stehen lassen, Medikamente nicht länger als nötig anwenden (Resistenzbildung), peinliche Sauberkeit bei und nach Operationen, und vor allem Zuwendung, Fürsorge und Liebe für die zu Pflegenden, vor allem in Kinderheimen.

Mittlerweile ermöglicht man Hautkontakt zwischen Mutter und Kind im Krankenhaus (so genanntes Bonding sowie das Rooming in). Kinder, insbesondere in jungen Jahren, die nicht bei ihren Eltern leben können, werden vorzugsweise in besonders ausgewählten Pflegefamilien untergebracht. Auch für körperlich, geistig oder seelisch behinderte (pflegebedürftige) Menschen gibt es inzwischen unabhängig von der jeweiligen Wohnform ein breites Repertoire prophylaktischer und therapeutischer Interventionen wie Basale Stimulation, Kinästhetik, Milieugestaltung, tiergestützte Therapie. Viele Einrichtungen (Krankenhäusern und Heime) beschäftigen einen professionellen Sozialdienst, oft Sozialarbeiter, Sozialpädagogen oder Beschäftigungstherapeuten und organisieren ehrenamtliche Besuchsdienste, die regelmäßigen Kontakt mit alten und kranken Menschen halten.

Differentialdiagnose

Es gibt auch andere Störungen mit ähnlichen Symptomen, z. B. der frühkindliche Autismus, das Asperger-Syndrom, manche Arten der Depression, die schizoide Persönlichkeitsstörung und bestimmte Formen der Schizophrenie. Ähnliches Verhalten kann auch bei ständiger Kindesmisshandlung vorkommen. Auch die geistige Behinderung ist vom Hospitalismus abzugrenzen, kann allerdings in Kombination auftreten. Die Störung, die dem psychischen Hospitalismus äußerlich betrachtet am ähnlichsten sieht, ist der Autismus (ICD-10 F84.0). Jedoch der Umstand, dass die Symptome des Hospitalismus mit deutlicher Verbesserung der Lebensumstände mit der Zeit verschwinden, ist es, der diese Störung vom Autismus unterscheidet und eine Differenzialdiagnose ermöglicht, denn Autismus ist im Gegensatz zu Hospitalismus nicht heilbar.

Behandlung und Prognose

Die Symptome von Hospitalismus sind je nach Schweregrad der körperlichen und psychischen Symptome behandelbar durch frühzeitige Therapien, wobei Hospitalismus eine psychische und eine physische Therapie gleichermaßen erforderlich macht. Die Symptome gehen bei Besserung der äußeren Umstände, z. B. durch intensive Zuwendung und/oder den Wechsel in eine liebevolle und fürsorgliche Umgebung, deutlich zurück und verschwinden mit der Zeit. Hat sich aufgrund der seelischen Deprivation keine andere Störung wie z. B. eine reaktive Bindungsstörung entwickelt, verschwinden die Symptome mit Besserung der Lebensumstände sowie geduldiger und liebevoller Zuwendung. Es gilt: je früher der Mensch aus der Situation der Vernachlässigung heraus kommt umso besser sind die Aussichten auf schnelles und völliges Verschwinden der Symptome. Bei schwerer erfahrener seelischer Deprivation kann eine längerfristige intensive psychotherapeutische Behandlung erforderlich werden, doch auch hier sind die Prognosen gut wenn das Kind so schnell wie möglich aus der Situation der Vernachlässigung heraus und in eine liebevolle und fürsorgliche Umgebung kommt.

Ausblick

Mittlerweile versucht man, Flüchtlings- oder Waisenkinder in geeigneten Pflegefamilien oder in Kinderdörfern unterzubringen, damit es nicht zu Deprivations-Erscheinungen kommt. In Hamburg gibt es die Stiftung Alsterdorfer Anstalten, wo Menschen mit kognitiver Behinderung und ohne Behinderung gemeinsam in einer Dorfanlage leben.

Ein Lichtblick in der Betreuung alter und kranker Menschen sind qualitätsbewusste Heime, insbesondere Heime mit kleinen Wohngruppen (sog. Hausgemeinschaften nach den Empfehlungen des Kuratorium Deutsche Altershilfe[1], Einrichtungen des Betreuten Wohnens, die Hospizbewegung für pflegebedürftige Menschen in der akuten Sterbephase, die ambulante Pflege und integrative Therapieprogramme wie in Geel.

Von der Stadt Geel im Nordosten Belgiens aus verbreitet sich das integrative Therapieprogramm, bei dem psychisch kranke Menschen bei Familien aufgenommen werden. Leider wird u. a. auf politischer Ebene aus finanziellen Gründen noch zu wenig getan, um die psycho-soziale Situation von Patienten in Krankenhäusern bzw. Bewohnern in Seniorenheimen zu verbessern.

Siehe auch

Belastungsstörung, Wolfskind

Fußnoten

  1. KDA

Literatur

  • F. W. Harlow: Das Wesen der Liebe, in: Ewert, O.: Entwicklungspsychologie I, Köln 1972
  • Jean Itard: Gutachten und Bericht über Victor von Aveyron, in: Malso/Itard/Manoni: Die wilden Kinder, Frankfurt, Suhrkamp Verlag, 1976
  • Kühne, N.; Harder-Kühne, H., Pohl, H.: Pädagogik für Fachschulen, Köln, Stam Verlag, 1997
  • Alfred Nitschke: Das Bild der heimwehreaktionen beim jungen Kind, G. Bittner/ Edda Harms: Erziehung in früher Kindheit, München, Serie Piper, 1985
  • Lauren Slater: Von Mensch und Ratten; Die berühmten Experimente der Psychologie, Weinheim, Beltz Verlag, 2005 (siehe Kapitel über Harry Harlow "Affenliebe", Seite 174 ff)
  • René Spitz: Vom Säugling zum Kleinkind, Stuttgart 1967/1992
  • René Spitz: Hospitalismus I & II, in: G. Bittner/ Edda Harms: Erziehung in früher Kindheit, München, Serie Piper, 1985
  • René Spitz: Die anaklitische Depression, in: G. Bittner/ Edda Harms: Erziehung in früher Kindheit, München, Serie Piper, 1985
  • August Aichhorn: Verwahrloste Jugend, 1987, ISBN 3456816456
 
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