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HomunculusDer Begriff des Homunculus (lat. „Menschlein“) bezeichnet einen künstlich geschaffenen Menschen. Die Idee des Homunculus wurde im Spätmittelalter im Kontext alchemistischer Theorien entwickelt, häufig erscheint der Homunculus als dämonischer Helfer magischer Praktiken. Das Motiv des Homunculus wurde in der Literatur oft aufgegriffen, insbesondere um die Ambivalenz der modernen Technik zu illustrieren. Die vielleicht bekannteste Verwendung der Homunculusidee findet sich in Goethes Faust II. Der Begriff des Homunculus hat zudem in der Philosophie und Neurowissenschaft weitere Bedeutungen erhalten. In der Philosophie der Wahrnehmung und der Philosophie des Geistes wird mit dem Begriff „Homunculus“ auf die Idee Bezug genommen, dass es im Kopf nochmals ein Wesen gebe, das Reize wahrnimmt und Erlebnisse hat. Zwar glaubt vermutlich kein Philosoph, dass es einen Homunculus im Kopf gibt, allerdings werfen Philosophen gelegentlich bestimmte Theorien auf, welche die Existenz eines derartigen Wesens unausgesprochen enthalten. Wenn man etwa annimmt, dass in der visuellen Wahrnehmung ein Bild auf die Netzhaut projiziert wird, das als Bild dann in das Gehirn gesendet wird, dann müsste es im Kopf nochmals ein Wesen geben, das sich diese Bilder anschaut. Mit solchen Gedankengängen sollen bestimmte Vorstellungen über die Wahrnehmung und den Geist ad absurdum geführt werden. In der Neuroanatomie wird veranschaulichend von einem sensorischen Homunculus und einem motorischen Homunculus gesprochen. Diese Homunculi entstehen als epistemische Hilfskonstruktionen, wenn man die Gehirnregionen den Körperteilen zuordnet, für die sie jeweils zuständig sind. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
Kulturgeschichte
Frühe KonzepteDas Wort „Homunculus“ ist bereits bei Cicero, Plautus und Apuleius belegt [1]. Dort bedeutet es als Diminutiv von „homo“, d. h. als Verkleinerungsform des lateinischen Wortes für „Mensch“, nicht mehr als "kleiner Mensch, Menschlein". Ein kulturhistorisch bedeutsames Konzept wurde mit diesem Wort erst im Spätmittelalter verbunden, als die viel älteren Spekulationen über die Erzeugung künstlicher Menschen (vgl. den Pygmalion-Mythos) eine neue, chemisch-medizinische Richtung einschlugen. Der Arzt Arnaldus von Villanova soll sich im 13. Jahrhundert bereits über die alchemistische Herstellung von künstlichen Menschen Gedanken gemacht haben. Es gibt sogar noch frühere Berichte über Homunculi. Clemens Romanus erklärte um 250 n. Chr., dass Simon Magus einen Menschen geschaffen hätte, indem er Luft in Wasser, Wasser in Blut und schließlich Blut in Fleisch verwandelt habe [2]. Genau beschrieben wird die angebliche Herstellung eines Homunculus in der Schrift De natura rerum (1538), die allgemein Paracelsus zugeschrieben wird [3]. Dort bekommt auch der Begriff des Homunculus zum ersten Mal seine alchemistische Bedeutung. Paracelsus, mit bürgerlichem Namen Theophrastus Bombastus von Hohenheim, war ein Arzt, Alchemist und Mystiker des frühen 16. Jahrhunderts. In De natura rerum wird aus der Tatsache der Putrefaktion (dem Verfaulen und Verwesen organischer Stoffe) in warm-feuchter Umgebung abgeleitet, dass auch die Entwicklung des bebrüteten Vogeleies und die Entwicklung des männlichen Samens in der Gebärmutter eine solche Putrefaktion darstelle. Somit ließe sich eine künstliche warm-feuchte Umgebung für das Wachstum eines Lebewesens schaffen. Paracelsus gibt eine konkrete Anleitung für die Erzeugung eines Homunculus: Man müsse menschliche Spermien 40 Tage in einem Gefäß im (wärmenden) Pferdemist verfaulen lassen. Was sich dann rege, sei "einem Menschen gleich, doch durchsichtig". 40 Wochen lang müsse man dieses Wesen dann bei konstanter Wärme mit dem Arcanum des Menschenbluts nähren, und schließlich werde ein menschliches Kind entstehen, jedoch viel kleiner als ein natürlich geborenes Kind. Spätere KonzepteIn der Tradition der Alchemie war die Idee der Erzeugung von neuem Leben verbreitet. Organisches Material schien einen Seelenstoff zu enthalten, aus dem man neues, künstliches Leben gestalten könne. Noch Pierre Borel, der Leibarzt Ludwig XIV, behauptete im späten 17. Jahrhundert, dass durch die Destillation von Menschenblut eine menschliche Gestalt entstehe. Ähnliches wird von dem französischen Chemiker und Mystiker Robert Fludd berichtet, der angeblich einen Menschenkopf in der Retorte züchtete. Mit dem Beginn der Neuzeit kann man jedoch auch einen gewissen Wandel des Homunculuskonzeptes beobachten, der letztlich die Weiterentwicklung der Naturwissenschaften widerspiegelt. War der Homunculus zu Beginn noch ein vorwiegend alchemistisch-mystisches Konzept, transformiert sich die Idee einer Züchtung und Zeugung künstlicher Menschen gemäß den Fortschritten der empirischen Wissenschaften. Die jeweils avanciertesten Diskurse (Mechanik, Elektromagnetismus, Genetik) inspirieren diesen alten menschlichen Traum, bis zu den Klon- und KI-Phantasien der heutigen Tage. Derartige "naturwissenschaftliche" Ideen klingen schon in der frühen Neuzeit in Francis Bacons Wissenschaftsutopie Neu-Atlantis (1626) an. In Neu-Atlantis entwirft Bacon eine utopische Idealgesellschaft, die im Wesentlichen von dem Haus Salomons, einer Art Wissenschaftsakademie, beherrscht ist. Dieses Haus Salomons beherrscht durch wissenschaftlichen Fortschritt wunderbare Techniken, unter anderem ist eine starke Modifizierung lebender Organismen möglich. Dabei wird das Motiv des Homunculus nicht nur verwendet, um einen Fortschrittsoptimismus im Geiste Bacons zum Ausdruck zu bringen. Der österreichische Dichter Robert Hamerling setzte etwa die Figur des Homunculus ein, um eine scharfe Kritik an einer zunehmend materialistisch orientierten Weltanschauung zu üben [4]. In dem 1888 veröffentlichten, satirischen Epos Homunculus beschreibt Hamerling einen Professor, der einen Homunculus schafft. Dieser ist mit seiner Erschaffung allerdings nicht zufrieden, zu klein und schrumpelig sei sein Äußeres. In seinem weiteren Leben macht der Homuculus Karriere als Geschäftsmann und Verleger. Er gründet eine Zeitschrift, die für den Abdruck von Gedichten kein Honorar zahlt, sondern ein Honorar fordert. Mit dem Verkauf dieser Zeitschrift wird der Homuculus reich, verliert sein Geld jedoch wieder in einem Börsencrash. Nach einem Suizidversuch baut er eine Schule für Affen auf, die das Ziel hat, bessere Menschen zu züchten. Da dieses Projekt und auch weitere Unternehmungen scheitern, entwickelt sich der Homunculus schließlich zu einem radikalen Misanthropen, der sich als Einsiedler zurückzieht und an einem Luftschiff baut. Schließlich fährt der Homunculus rastlos mit diesem Luftschiff umher und verwüstet dabei viele Landstriche. Der Literaturwissenschaftler Klaus Völker kommentiert Hamerlings Homunculusfigur wie folgt: „Hamerling benutzt die Homunculus-Gestalt in seinem Epos als Metapher für die in seinen Augen unheilvoll materialistische Gesinnung seiner Zeit, für Profitgier und Unmenschlichkeit. Das Humunkeltum, das das künstliche Geschöpf auf Erden etablieren möchte, ist die Vision einer von Geld und Technik verunstalteten Welt.“[5] Allerdings erklärt Völker auch, dass Hamerling den Anspruch einer Wissenschaftskritik nicht einlösen könne, da sich sein Werk schließlich in nationalistischen und antisemitischen Stereotypen verliere. Der Homunculus in Goethes FaustDas Motiv des Homunculus ist unter anderem von Goethe in seinem Faust II aufgenommen worden. Im zweiten Akt verhilft Famulus Wagner einem künstlichen Menschen zur Existenz. Wer den Homunculus letztlich geschaffen hat, ist nicht vollständig zu klären. In einem Entwurf vom 17. Dezember 1826 beschreibt Goethe explizit Wagner als Schöpfer des Homunculus, in der endgültigen Fassung fehlt dieser Teil. Der Dichter und enge Vertraute Goethes Johann Peter Eckermann erklärte daher, dass Mephistopheles der eigentliche Schöpfer des Homunculus sei. Endgültig klären lässt sich diese Frage nicht mehr. Es ist möglich, die Idee des Homunculus durch Goethes Naturphilosophie zu erklären. Goethe war der Meinung, dass es einen besonderen Lebenssaft gibt, der allen Lebewesen zukommt und organisches und anorganisches Material grundsätzlich voneinander trennt. Man nennt eine solche Position Vitalismus. Im Rahmen dieser Theorie ist die Schaffung von Lebewesen aus anorganischem Material nicht denkbar. Wenn jedoch, wie bei der Erzeugung von Homunculi, organische Materialien ins Spiel kommen, ist die Erzeugung von künstlichen Wesen grundsätzlich denkbar. Schon bei Goethe ist das Motiv des Homunculus mit der Idee einer erfolgreichen Naturwissenschaft verknüpft. So lässt er Wagner sprechen:
Der Homunculus in der PhilosophieIn der Philosophie wird der Begriff des Homunculus in einer Weise verwendet, die sich vom alchemistischen und literarischen Gebrauch erheblich unterscheidet. In der Philosophie der Wahrnehmung und in der Philosophie des Geistes werden Positionen als „Homunculustheorien“ bezeichnet, wenn sie einen Ort im Körper postulieren, an dem ein bewusstses Wesen oder ein Geist aufzufinden sei. Meist hat die Rede von einem Homunculus dabei eine kritische Funktion: Bestimmten Theorien wird vorgeworfen, dass sie die Existenz eines Homunculus implizieren würden. Da es jedoch keinen Homunculus gebe, seien diese Theorie abzulehnen. Philosophie der WahrnehmungIn der Philosophie der Wahrnehmung wird wohl am deutlichsten, wie es zu der Annahme eines Homunculus kommen kann. Viele klassische Theorien der Wahrnehmung können als Abbildtheorien bezeichnet werden. So war etwa schon René Descartes bewusst, dass bei der visuellen Wahrnehmung auf der Netzhaut ein Bild generiert wird. Descartes schloss aus diesem Sachverhalt, dass Menschen nicht direkt die materielle Welt, sondern innere Bilder wahrnehmen [7]. Der Gegenwartsphilosoph Lambert Wiesing kommentiert: „Der wahrnehmende Mensch betrachtet immer schon wie der Besucher einer Camera obscura ausschließlich Bilder, die sich zwischen ihm und der angeblich gesehenen Welt befinden.“[8] Nun scheint die Annahme eines inneren Bildes jedoch nur unproblematisch zu sein, wenn es einen Betrachter gibt, der dieses Bild anschaut. Unbetrachtete Bilder können schließlich zu keinem bewussten Wahrnehmungserlebnis führen. Dies ist der Grund, warum viele klassische Theorien der Wahrnehmung einen Homunculus postulieren. Bei Descartes hatte der Homunculus die Form eines immateriellen Geistes, dem an der Ephiphyse Informationen über die materielle Welt präsentiert werden sollten. Neben Descartes ist die Erkenntnistheorie John Lockes ein klassisches Beispiel für eine Homuculustheorie. Nach Locke muss jede Idee im Bewusstsein nochmals wahrgenommen werden. Wiesing kommentiert: „So wie auch schon in der Camera obscura jemand stehen muss, um die Bilder an der Wand sehen zu können, so muss auch im Bewusstseinszimmer ein Betrachter der Ideen unterstellt werden, ein homunculus, der sich die Repräsentationen im Geist anschaut.“ [9] Nun gibt es jedoch ein klassisches Argument gegen derartige Homunculustheorien: Selbst wenn es einen Homunculus geben würde, so müsste man sich fragen, wie es ihm gelingt, das innere Bild wahrzunehmen. Wenn der Homunculus das innere Bild wahrnimmt, indem er selbst wieder ein inneres Bild erzeugt, so scheint man einen weiteren Homunculus postulieren zu müssen, der das innere Bild des Homunculus wahrnimmt. Man kann dieses Problem immer weiter fortführen, denn natürlich kann man auch fragen, wie der zweite Homuclus das innere Bild des ersten Homunculus wahrnehmen kann. Philosophen sprechen bei derart fortführbaren Problemen von einem infiniten Regress. Wenn man jedoch behauptet, dass der Homunculus nicht ein inneres Bild erzeugen müsse, so kann man fragen, wieso nicht gleich vollständig auf innere Bilder und Abbildtheorien verzichtet wird. Viele Wahrnehmungtheoretiker ziehen aus dieser Homunculusargumentation den Schluss, dass man den Prozess der Wahrnehmung nicht durch innere Bilder oder Abbildtheorien erklären sollte. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Idee innerer Bilder grundsätzlich verkehrt sein muss. So hat die Frage nach inneren Bildern in der Kognitionswissenschaft in der „Imagery debate“ viel Aufmerksamkeit gefunden. Daniel Dennett und das cartesianische TheaterDie philosophische Debatte um Homunculi ist jedoch nicht alleine auf Philosophie der Wahrnehmung begrenzt. Der Philosoph Daniel Dennett vertritt etwa die These, dass zahlreiche Theorien des Geistes meist unbewusst die Existenz eines Homunculus annehmen.[10] Dies geschehe genau dann, wenn davon ausgegangen wird, dass alle Informationen an einem Ort im Gehirn zusammengeführt werden müssen, um zu Bewusstsein zu kommen. Die kognitive Neurowissenschaft hat etwa herausgefunden, dass es Regionen im Gehirn gibt, die selektiv auf bestimmte Formen, Farben oder Bewegungen ansprechen. Die von Dennett kritisierten Theorien gehen nun davon aus, dass bei der Wahrnehmung etwa eines fliegenden, blauen Balls die Informationen über die verschiedenen Eigenschaften zusammengeführt werden müssen, um zu der Wahrnehmung eines fliegenden blauen Balls zu gelangen. Dennett behauptet, dass ein derartiges Zusammenführen der Informationen nur bei der Annahme eines Homunculus notwendig sei und versucht diesen Punkt durch die Metapher des „cartesianischen Theaters“ deutlich zu machen. Wie bereits beschrieben, ging Descartes davon aus, dass dem Geist ein inneres Bild präsentiert werden müsse, um zu einer Wahrnehmung zu gelangen. Dennett argumentiert nun, dass die gemeinsame Präsentation von Eigenschaften wie Farbe, Form und Bewegung nur notwendig sei, wenn man von einem Beobachter im Gehirn ausgehe, der all die verteilt repräsentierten Informationen zusammentrage. Dennett erklärt: „Wenn eine bestimmte Beobachtung durch einen spezialisierten Teil des Gehirns gemacht wurde, ist der Informationsgehalt gegeben und muss nicht zu einer erneuten Beobachtung zu einem zentralen Beobachter geschickt werden.“[11] Diesen Homunculustheorien stellt Dennett das eigene „Modell der verschiedenen Entwürfe“ (multiple drafts model) entgegen. Diesem Modell zufolge werden in verschiedenen Gehirnregionen unterschiedliche Interpretation eines Inputs entwickelt, die miteinander konkurrieren, jedoch nie an einer zentralen Stelle verglichen werden. Schließlich setzt sich eine Interpretation dadurch durch, dass sie zu einem bestimmten Output führt. Dennetts Kritik am cartesianischen Theater ist recht unterschiedlich aufgenommen worden. Zwar stimmen die meisten Theoretiker Dennett darin zu, dass es keinen räumlich identifizierbaren Ort gibt, an dem alle Informationen zusammengeführt werden. Dennoch wird oft argumentiert, dass Menschen einheitliche Wahrnehmungen haben und nicht nur Informationen über einzelne Eigenschaften. Nimmt man etwa einen fliegenden, blauen Ball wahr, so ergebe sich eine einheitliche Wahrnehmungssituation, die durch Dennetts Modell der verschiedenen Entwürfe nicht erklärt werden könne. Vielmehr müsse man einen Mechanismus identifizieren, durch den die Verknüpfung der einzelnen Eigenschaften zu einer einheitlichen Wahrnehmung möglich gemacht werde. In den Neurowissenschaften ist die Suche nach einem derartigen Mechanismus unter dem Begriff des Bindungsproblems bekannt geworden. Die modernen Vorschläge zur Lösung des Bindungenproblems gehen jedoch nicht von einem Ort aus, an dem alle Informationen zusammengeführt werden. Vielmehr behaupten etwa Neurowissenschaftler wie Wolf Singer[12] und Christoph von der Malsburg[13], dass ein synchrones Feuern von verschiedenen Neuronenverbänden die Zusammenfügung von Eigenschaften wie Farbe, Form oder Bewegung möglich macht. Gilbert Ryle und das Gespenst in der MaschineEine wohl noch schärfere Kritik von Homunculustheorien findet sich bei Gilbert Ryle [14], dem Lehrer von Daniel Dennett. Zwar spricht Ryle von einem Gespenst in der Maschine und nicht von einem Homunculus, dennoch stimmen seine und Dennetts Argumentation in wesentlichen Punkten überein. Auch Ryle setzt bei Descartes an und erklärt, dass das Postulat einer immateriellen res cogitans zu zahllosen Verwirrungen in der Philosophie geführt habe. Der zentrale Fehler ist nach Ryle, dass man mentale Zustände wie Wahrnehmungen, Erinnerungen oder Empfindungen als innere Zustände begreift, die also im Körper lokalisiert sind. Nach Ryle führt eine solche Vorstellung zu dem Bild eines Gespenstes, das eine Maschine (den Körper) steuert. Die Alternative zu diesem Bild von inneren Zustände ist nach Ryle ein methodologischer Behaviorismus: Menschen können genau dann bestimmte Wahrnehmungen, Gedanken oder Empfindungen zugesprochen werden, wenn sie ein bestimmtes Verhalten oder zumindest eine Verhaltensdisposition zeigen. Mentale Zustände sind für Ryle also nichts inneres, sondern die Disposition, sich auf bestimmte Weise zu verhalten. Heute wird der Behaviorismus von den meisten Philosophen abgelehnt. Es wird allgemein nicht davon ausgegangen, dass das Postulat innerer, mentaler Zustände zu einem Homunculusproblem führt. Allerdings stimmt gerade Dennetts Position in wesentlichen Punkten mit Ryles Theorie überein. Auch Dennett geht davon aus, dass es keinen inneren Zustand (sei es ein Gehirnprozess oder ein immaterieller Zustand) gibt, der mit einem mentalen Zustand zu identifizieren ist. Vielmehr glaubt er, dass es zahllose Prozesse gibt, von denen sich einige schließlich durchsetzen und zu einem bestimmten Verhalten führen. Die Zuschreibung von mentalen Zuständen findet dann in Folge von den beobachtbaren Verhaltensmustern statt. Homunculus in der NeuroanatomieIn den Neurowissenschaften wird seit den 1950er Jahren der Begriff Homunculus metaphorisch gebraucht. In der Anatomie des Gehirns werden die Repräsentationen von Körperregionen auf den primären Rindenfeldern im Bereich der Zentralfurche als sensorischer Homunculus bzw. motorischer Homunculus verstanden. Für alle sensiblen und motorischen Bahnen gibt es eine Punkt-zu-Punkt-Zuordnung zwischen der Körperperipherie und dem Gehirn. So ist z. B. eine bestimmte Zellgruppe in der Großhirnrinde (Cortex) für die bewusste Wahrnehmung eines Schmerzreizes in einem ganz genau definierten Hautareal, und zwar nur für dieses, zuständig. Das Gehirn kann also allein aus der aktivierten Zellgruppe im Cortex schlussfolgern, in welchem Körperabschnitt der Schmerz auftritt. Diese Projektionen vom Körper auf das Gehirn entsprechen den sensorischen und motorischen Rindenfeldern. Die Größe des Zellgebietes im Rindenfeld entspricht nicht genau dem Ausmaß des Areals im Körper. Für besonders feinsensible oder feinmotorische Körperabschnitte (z. B. Finger) stehen recht große Rindenareale zur Verfügung. Andere Körperteile, die keine fein abgestimmten Bewegungen ausführen und die nicht so schmerzempfindlich sind (z. B. Bauch), haben nur relativ kleine Rindenfelder. Der „Homunculus“, der durch die symbolische Nachzeichnung der mit den Cortexarealen assoziierten Körperteile entsteht, ist also gegenüber der tatsächlichen Körpergestalt stark verzerrt. Die prinzipielle Zuweisbarkeit von Körperregion und Hirnrindenarealen (Somatotopie) war bereits im 19. Jahrhundert von John Hughlings Jackson postuliert worden. Der kanadische Neurochirurg Wilder Penfield konnte diese Vermutungen experimentell stützen und die exakte Zuordnung beobachten. [15] Er skizzierte die Größenproportionen und bezeichnete die Zeichnung im Rückgriff auf den kulturhistorischen Kontext scherzhaft als Homunculus. Dieselbe Art der symbolischen Abbildung wird in der Alternativmedizin für die Reflexzonen verwendet. Einzelnachweise
Literatur
Kategorien: Zentralnervensystem | Lesenswert |
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