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Herbert Linden



Herbert Linden (* 14. September 1899 in Konstanz oder Berlin; † 27. April 1945 in Berlin (Suizid)) war Mediziner, Ministerialdirigent im Reichsministerium des Innern, Obergutachter der Euthanasie-Aktion T4 und ab Oktober 1941 Reichsbeauftragter für Heil- und Pflegeanstalten.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Zu Lindens Geburtsort liegen unterschiedliche Angaben vor.[1] Linden legte 1917 das Abitur ab und nahm dann ein Medizinstudium auf. Am 17. Dezember 1923 promovierte er. Am 23. November 1925 trat Linden in die NSDAP (Mitglieds-Nr. 23.958) ein; im gleichen Jahr erhielt er seine Approbation als Arzt.[2] Linden arbeitete von 1925 bis 1928 als Assistentarzt in Heidelberg, dann am dortigen Hygieneinstitut als Assistent. 1929 wechselte er an das Institut für ansteckende Krankheiten ebenfalls in Heidelberg. Ab dem 1. April 1931 war er als wissenschaftlicher Angestellter im Reichsgesundheitsamt tätig, ehe er im November 1933 ins Reichsministerium des Inneren wechselte. Dieses Ministerium war mit seiner Abteilung IV auch für Gesundheitswesen und Volkspflege zuständig; dort wurde Linden Referatsleiter.[3] Sein direkter Vorgesetzter war zunächst Arthur Julius Gütt, später dann Fritz Cropp; Staatssekretär für den Gesundheitsbereich war ab 1939 Reichsgesundheitsführer Leonardo Conti.

Linden war nach der Machtergreifung auf verschiedenen Gebieten der nationalsozialistischen Rassenhygiene tätig: So veröffentlichte er Gesetzeskommentare zu den Nürnberger Gesetzen und war im Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik des Innenministeriums. 1934 leitete er die Reichsarbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung des Alkoholismus und die Reichsarbeitsgemeinschaft für Volksernährung. Linden gehörte zu jenem Expertenkreis, der die auch nach damaligen Gesetzen illegale Sterilisierung der sogenannten Rheinlandbastarde diskutierte und vorbereitete.[4] Zudem war Linden 1936 im Reichsausschuß zum Schutze des deutschen Blutes vertreten. Den Rassenkundler Robert Ritter unterstützte Linden im September 1937 bei der Finanzierung seiner Forschungen zu Roma und Sinti durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft.[5] 1939 bezeichnete Linden in einem Zeitschriftenaufsatz die Kastration als das Mittel, das nach Erfahrungen verschiedener Länder „übereinstimmend gute Erfolge auch bei Homosexuellen“ gezeigt habe.[6]

Obergutachter bei der Aktion T4

Als Referatsleiter für Heil- und Pflegeanstalten im Innenministerium war Linden frühestens ab April 1939 in die Planungen der sogenannten Kinder-„Euthanasie“ einbezogen.[7] Unter organisatorischer Leitung von Hans Hefelmann von der Kanzlei des Führers waren an den Beratungen neben Linden auch die Mediziner Karl Brandt, Werner Catel, Helmut Unger, Ernst Wentzler und Hans Heinze beteiligt. Ergebnis der Beratungen war ein Runderlass des Reichsministers des Innern vom 18. August 1939, in dem Hebammen und Ärzte verpflichtet wurden, Kinder unter drei Jahren mit bestimmten Missbildungen zu melden. Die Meldungen sollten an den „Reichsausschuß zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ erfolgen und wurden mit der Klärung wissenschaftlicher Fragen begründet. Hinter dem Reichsausschuss verbarg sich jedoch die Kanzlei des Führers; die Meldungen bildeten die Grundlage für die Entscheidung von drei ärztlichen Gutachtern, ob das Kind getötet werden sollte oder nicht. Falls sich die Gutachter für die Tötung entschieden, wurde das Kind in eine sogenannte „Kinderfachabteilung“ einer ausgewählten Anstalt eingewiesen und dort meist mit Medikamenten getötet. Schätzungsweise 5.000 Kinder wurden auf diese Weise bis Kriegsende getötet.

Ab Ende Juli 1939 war Linden auch an der Vorbereitung der Tötung von erwachsenen Geisteskranken und Behinderten, der sogenannten „Aktion T4“, beteiligt.[8] Zuvor hatte die Kanzlei des Führers unter Philipp Bouhler von Hitler den mündlichen Auftrag zur Durchführung der „Erwachsenen-Euthanasie“ erhalten. Linden gehörte zusammen mit Mitarbeitern der Kanzlei und mehreren einflussreichen Psychiatern zu einer Planungsgruppe, die die Organisation, das Verfahren und die Geheimhaltung der geplanten Massentötungen und die Abgrenzung und Auswahl der Kranken beriet.

Ab 9. Oktober 1939 wurden an alle Heil- und Pflegeanstalten Meldebogen versandt, mit denen folgende Patienten erfasst werden sollten:

  • An Schizophrenie, Epilepsie, „Schwachsinn“ und neurologischen Endzuständen Erkrankte, soweit sie nicht zur Arbeit in Anstaltsbetrieben oder nur zu mechanischen Arbeiten herangezogen werden konnten
  • Alle kriminellen Geisteskranken
  • Patienten, die sich seit mindestens fünf Jahren in Anstalten befanden
  • Alle nichtdeutschen Patienten unter Angabe der Rasse

Die ausgefüllten Meldebogen sollten an das Reichsministerium des Inneren zurückgesandt werden, wurden vom Ministerium dann aber an die „Reichsarbeitsgemeinschaft Pflege- und Heilstätten“ (RAG) weitergeben. Die RAG war auf Vorschlag Lindens als Scheinorganisation gegründet worden, um die Mitwirkung der Kanzlei des Führers zu verschleiern. Hier entschieden drei ärztliche Gutachter meist nur anhand der Angaben auf dem Meldebogen über das Schicksal der Kranken: Sollte nach ihrer Auffassung der Patient getötet werden, trugen sie in einem schwarz umrandeten Kasten auf dem Meldebogen ein rotes „+“ ein; ein blaues „-“ bedeutete, dass der Patient am Leben bleiben sollte. Konnte sich der Gutachter nicht entscheiden, trug er ein „?“ ein. Die abschließende Entscheidung fällte ein Obergutachter anhand der drei vorliegenden Gutachten. Nur in Zweifelsfällen wurde zur Entscheidung über das Schicksal des Patienten dessen Krankenakte mit herangezogen. Als Obergutachter tätig waren anfänglich Herbert Linden und Werner Heyde. Linden wurde später durch Hermann Paul Nitsche ersetzt.

Die so zur Ermordung bestimmten Patienten wurden in den sechs eigens hierfür umgebauten Tötungsanstalten mit Kohlenmonoxid vergast. Im Zeitraum zwischen Januar 1940 und August 1941 starben so etwa 70.000 Menschen. Zusammen mit anderen hochrangigen Vertretern der „Aktion T4“ hatte Linden im Januar 1940 an einer „Probevergasung“ in Brandenburg teilgenommen. Schon zuvor, im Oktober 1939, war Linden an der Auswahl der Tötungsanstalt Grafeneck beteiligt gewesen. Auch während des „Betriebs“ von Grafeneck besuchte Linden mehrfach die Tötungsanstalt.[9]

Linden beteiligte sich an den Bemühungen von Funktionären der Aktion T4, eine gesetzliche Grundlage für die NS-Euthanasie zu schaffen.[10] Hitler lehnte es jedoch aus außenpolitischen Gründen ab, vor Kriegsende ein solches Gesetz zu erlassen. Daneben war Linden in Verhandlungen mit dem katholischen Bischof Heinrich Wienken zu Fragen der NS-Euthanasie einbezogen.[11]

Reichsbeauftragter für die Heil- und Pflegeanstalten

Am 24. August 1941 wurde die Aktion T4 in ihrer bisherigen Form auf Befehl Hitlers eingestellt. Am gleichen Tag begannen Planungen, für besonders durch Luftangriffe gefährdete Städte in Nord- und Westdeutschland Ersatzkrankenhäuser zu schaffen, die „in der Lage sind, eventl. übermässig anfallendes Krankengut aufzunehmen.“[12] Teil der Planungen, die in der Aktion Brandt mündeten, war auch die Nutzung vorhandener Heil- und Pflegestätten als Ausweichkrankenhäuser. Herbert Linden wurde am 23. Oktober 1941 zum Reichsbeauftragten für die Heil- und Pflegeanstalten bestellt. Zu seinen Aufgabenbereich hieß es in der entsprechenden Verordnung: „Der Reichsbeauftragte für die Heil- und Pflegeanstalten hat planwirtschaftliche Aufgaben auf dem Gebiet der Heil- und Pflegeanstalten durchzuführen. Er untersteht dem Reichsminister des Inneren und ist ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Leiter der Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten die notwendigen Maßnahmen zu treffen.“[13] Linden übernahm die Planungsabteilung der Aktion T4, die bisher die Weiterverwendung der durch die Tötung der Patienten freigewordenen Anstalten koordinierte.[14] Am 5. August 1942 startete Linden eine Umfrage bei den zuständigen Behörden, wieviele Anstaltspatienten in Gängen, Gemeinschaftsräumen, Kapellen und Notlagern untergebracht werden konnten.[15] Im November 1942 ordnete Linden in Ausweitung der Praxis während der Aktion T4 die halbjährliche Erfassung aller Psychiatriepatienten an.[16]

In seiner Funktion als Reichsbeauftragter für die Heil- und Pflegeanstalten koordinierte Linden die 1943 verstärkt einsetzende Verlegung von Patienten der Heil- und Pflegeanstalten aus Nord- und Westdeutschland. Diese Gebiete waren zuerst von den alliierten Luftangriffen betroffen. In den Zielanstalten angekommen, waren diese Kranken bevorzugtes Ziel von Tötungen in der Aktion Brandt, die auch als zweite Phase der NS-Euthanasie bezeichnet wird. Tötungsmethoden waren hierbei sowohl die Überdosierung von Medikamenten als auch systematische Unterernährung der Patienten.

Im Bericht des SS-Offiziers Kurt Gerstein wird erwähnt, dass sich Herbert Linden im August 1942 im Vernichtungslager Belzec aufhielt.[17] In welcher Verbindung Linden zur Aktion Reinhardt stand, ist nicht bekannt. Von Juli 1942 bis 1944 oder 1945 war Linden ehrenamtlicher Richter am Volksgerichtshof. Linden war auch Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP.[18]

In den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges verübte Herbert Linden am 27. April 1945 in Berlin Suizid.[19] Offenbar in Unkenntnis seines Todes leitete die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main im August 1946 wegen Lindens Beteiligung an den nationalsozialistischen Krankenmorden ein Ermittlungsverfahren ein.

Schriften

  • mit Wilhelm Franke: Deutsche Ehegesetzgebung. Bielefeld, 1935
  • mit Wilhelm Franke: Gesetz zum Schutze der Erbgesundheit des deutschen Volkes vom 18. Oktober 1935. Bielefeld, um 1936
  • mit Arthur Gütt und Franz Maßfeller: Blutschutz- und Ehegesundheitsgesetz. München, 1936
  • Deutsche Bevölkerungspolitik, die Grundlage unserer rassischen Zukunft. Erfurt, 1938

Literatur

  • Henry Friedlander: Der Weg zum NS-Genozid. Von der Euthanasie zur Endlösung. Berlin, Berlin-Verlag, 1997. ISBN 3-8270-0265-6
  • Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt am Main, Fischer-Taschenbuch-Verlag, 2005 ISBN 3-596-16048-0
  • Peter Sandner: Verwaltung des Krankenmordes. Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus. (= Historische Schriftenreihe des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, Hochschulschriften Band 2.) Psychosozial-Verlag, Gießen, 2003. ISBN 3-89806-320-8.

Anmerkungen

  1. bei Friedlander, Seite 90 und Sander, Seite 735 wird Konstanz genannt; bei Klee, Seite 373 hingegen Berlin
  2. Im Berlin Document Center konnten weder eine NSDAP-Mitgliederkarteikarte noch Personalunterlagen der SA oder SS zu Linden gefunden werden. Das Datum des NSDAP-Beitritts ergibt sich aus dortigen Unterlagen des Reichsbundes der Deutschen Beamten. Siehe Friedlander, Seite 90 und 490. Die NSDAP-Mitglieds-Nr. bei Klaus Dörner (Hrsg.): Der Nürnberger Ärzteprozeß 1946/47. Wortprotokolle, Anklage- und Verteidigungsmaterial, Quellen zum Umfeld. München, 1999. Beiband, Seite 118f
  3. Nach Klee, Personenlexikon, S. 373, wurde Linden im November 1933 Ministerialdirigent. Nach Sandner, Verwaltung, war Linden 1933 Regierungsrat und wurde am 13. Juni 1934 zum Oberregierungsrat, am 20. April 1936 zum Ministerialrat und im November 1942 zum Ministerialdirigenten befördert.
  4. Friedlander, Seite 393f
  5. Friedlander, Seite 399f
  6. zitiert bei Burkhard Jelllonek: Homosexuelle unter dem Hakenkreuz. Die Verfolgung von Homosexuellen im Dritten Reich. Paderborn, 1990. ISBN 3-506-77482-4, Seite 159
  7. zur Planung der Kinder-„Euthanasie“ siehe: Thomas Vormbaum (Hrsg): „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Dr. Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962. Berlin 2005, (Heyde-Anklage) Seite 29ff. Zum Zeitablauf siehe Udo Benzenhöfer: Bemerkungen zur Planung der NS-„Euthanasie“. in: Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation (Hrsg): Der Sächsische Sonderweg bei der NS-“Euthanasie“. Ulm, 2001, Seite 21-53
  8. Heyde-Anklage, Seite 98f.
  9. Ernst Klee: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens.“ Frankfurt am Main, 2004 (11. Auflage), Seite 290
  10. Heyde-Anklage, Seite 471ff.
  11. Ernst Klee, „Euthanasie“, Seite 286ff
  12. Schreiben von Karl Brandt an Martin Bormann vom 24. August 1941, zitiert bei: Heinz Faulstich: Hungersterben in der Psychiatrie Freiburg 1998, ISBN 3-7841-0987-X, Seite 590
  13. “Verordnung über die Bestellung eines Reichsbeauftragten für die Heil- und Pflegeanstalten“ vom 23. Oktober 1941, zitiert bei: Ernst Klee, „Euthanasie“, Seite 420
  14. Besprechung am 19. November 1941, siehe Götz Aly: Der saubere und der schmutzige Fortschrift. in: Verein zur Erforschung der nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik (Hrsg): Reform und Gewissen. „Euthanasie im Dienst des Fortschritts. (= Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Band 2) Berlin, 1985, Seite 18
  15. Heinz Faulstich, Seite 309
  16. Ernst Klee, „Euthanasie“, Seite 420
  17. Der Gerstein-Bericht im NS-Archiv
  18. Als Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes 1942 nachweisbar, siehe Sandner, Seite 735
  19. Standesamt Berlin-Zehlendorf, Sterbeurkunde 977 vom 11. Mai 1945. Siehe Henry Friedlander, Seite 90
 
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