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Harald Schultz-Hencke



Harald Schultz-Hencke (* 18. August 1892 in Berlin; † 23. Mai 1953 ebenda) war ein deutscher Psychoanalytiker und Vertreter der Neopsychoanalyse.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Schultz-Hencke studierte ab 1911 Medizin, Philosophie und Psychiatrie in Freiburg im Breisgau (bei Heinrich Rickert, Edmund Husserl, Martin Heidegger, Alfred Hoche und Ferdinand Adolf Kehrer). 1914 ging er freiwillig als Militärarzt in den Krieg, 1917 erwarb er seine Approbation.

Nach dem Abschluss des Medizinstudiums wandte er sich der Psychoanalyse zu. "Ursprünglich wollte Schultz-Hencke eine Analyse bei Freud selbst machen. Nachdem Freud ihn nicht angenommen hatte (die Gründe sind nicht bekannt), ging er zu Radó."[1] 1922 begann er seine Ausbildung am Berliner Psychoanalytischen Institut (BPI; Karl Abraham-Institut). Von 1927 bis 1928 war er Dozent am BPI. Am BPI organierte er zusammen mit Otto Fenichel das sog. "Kinderseminar", eine inoffizielle Diskussionsgruppe jüngerer Psychoanalytiker, die neben dem offiziellen Lehrbetrieb bestand.

Wegen seiner Kritik an der Freudschen Metapsychologie und Libidotheorie und seiner aktiven therapeutischen Methode erhielt er ein Lehrverbot. In "Schicksal und Neurose" (1931) stellte Schultz-Hencke seine Kritik der klassischen Psychoanalyse dar.

Er unterstützte 1933 die Gründung der „Deutschen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie" durch den Nervenarzt Walter Cimbal, um die Auflösung der Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie durch die Nationalsozialisten zu verhindern. Vorsitzender der neuen Gesellschaft wurde Matthias Heinrich Göring.

Wie Felix Boehm, Carl Müller-Braunschweig, Kemper und einige andere nichtjüdische Psychoanalytiker wurde Schultz-Hencke Mitglied des Deutschen Instituts für psychologische Forschung und Psychotherapie. "Das Deutsche Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie wurde im Mai 1936 auf Veranlassung des Reichsärzteführers und des Reichsministerium des Inneren mit dem offiziellen Ziel gegründet, eine 'Neue Deutsche Seelenheilkunde' aus einer Verbindung aller drei am Institut vertretenen Hauptströmungen (Freudianer, Jungianer, Adlerianer ) und verschiedener einzelner Forschungsrichtungen herauszuarbeiten, zu lehren und eine Poliklinik zu unterhalten."[2]

Auf Verlangen der Behörden kam es 1938 zur Auflösung der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG), womit auch die Mitgliedschaft in der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) erlosch.

Am 4. Mai 1945 gründete Schultz-Hencke mit Werner Kemper das Institut für Psychopathologie und Psychotherapie (IPP), das von ihm geleitet wurde. 1945 folgte die Gründung der "Neoanalytischen Vereinigung". 1948 wurde er Vizedirektor und Leiter der Prophylaxe des aus dem IPP hervor gegangen "Zentralinstituts für psychogene Erkrankungen der Versicherungsanstalt Berlin (VAB)". 1949 wurde er als Professor für Psychotherapie an die Humboldt-Universität berufen.

Nach der Zerstörung des „Göring-Instituts“ gründete sich die DPG unter dem Namen „Berliner Psychoanalytische Gesellschaft“ wieder. Unterschiede im Verständnis von Psychoanalyse, die in der NS-Zeit latent geblieben waren, traten jetzt in den Vordergrund.


Auf dem ersten internationalen psychoanalytischen Kongress nach dem Krieg kam es 1949 in Zürich zu einer Kontroverse zwischen den Neo-Analytikern um Schulz-Hencke und den Freudianern um Müller-Braunschweig.

"Die Internationale Psychoanalytische Vereinigung , deren überwiegender Teil unmittelbar oder mittelbar unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gelitten hatte, mußte sich nun mit zwei überaus brisanten Fragen auseinandersetzen:

1. inwieweit die Vertreter der Psychoanalyse durch den Nationalsozialismus korrumpiert worden waren;

2. ob Schultz-Henckes Position noch als Psychoanalyse gelten konnte.

In der öffentlichen Diskussion gelang es nicht, beide Fragen klar voneinander zu unterscheiden. Unversehens wurde Schultz-Hencke mit dem Nationalsozialismus identifiziert. Während sich an der Position Boehms wohl die Kritik an der Haltung der deutschen Psychoanalytiker festmachte, galt der Theorie Schultz-henckes die ideologische 'Abrechnung' mit den 'Kollaborateuren'; denn die Diskussion spitzte sich soweit zu, daß deutlich wurde, daß die gesamte deutsche Gruppe nur dann in die IPV aufgenommen würde, wenn Schultz-Hencke ausgeschlossen würde. Da Schultz-Hencke nicht zum Austritt bereit war, trat Müller-Braunschweig mit einer kleinen Gruppe von Psychoanalytikern aus der DPG aus. Der größere Teil blieb bei Schultz-Hencke."[3]

Die DPV wurde 1951 in die Internationale Psychoanalytische Vereinigung aufgenommen, die Neopsychoanalyse Schultz-Henckes blieb international weitgehend isoliert[4]. Die Neopsychoanalyse blieb für die DPG bis in die 60er Jahre prägend ehe sie sich wieder der klassischen Psychoanalyse annäherte.

Werk

Schultz-Henckes Persönlichkeitstheorie baut gemäss seinen Angaben auf Freud auf und besteht zu einem Drittel aus Auffassungen von Alfred Adler und Carl Gustav Jung. Seine Theorie gilt als eine der neo-psychoanalytischen Theorien, die empirisch am besten abgesichert ist.

Die Möglichkeit der Erhaltung der Psychotherapie im Dritten Reich innerhalb des Göring-Institutes und die Gründung des "Zentralinstitut für psychogene Erkrankungen" durch die "Versicherungsanstalt Berlin (VAB)" in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg, trugen zur Entwicklung der Psychotherapie in Deutschland bei. Bei dieser Entwicklung waren die Neo-Analytiker oder Schultz-Henckianer in Berlin wie auch in München führend.

Schriften (Auswahl)

  • Der Einfluß des militärischen Kriegsdienstes auf die progressive Paralyse . - Freiburg i. B. : Speyer & Kaerner, 1917
  • Der Sinn unserer Zeit und die freien Volkshochschulen als Vorkämpfer neuen Bildungswesens : Grundsätzliches z. Revolutionierung von Schule u. Unterricht, Berlin-Wilmersdorf : Volkshaus-Verl., 1920
  • Einführung in die Psychoanalyse; Jena : G. Fischer, 1927
  • Schicksal und Neurose : Versuch e. Neurosenlehre vom Bewusstsein her, Jena : Fischer, 1931
  • Der gehemmte Mensch : Entwurf eines Lehrbuches der Neo-Psychoanalyse (1940), Thieme, 6. unveränd. Auflage, Stuttgart 1989, ISBN 3-13-401806-3

Sekundärliteratur

  • Lockot, Regine , Erinnern und Durcharbeiten : zur Geschichte der Psychoanalyse und Psychotherapie im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main : Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1985
  • Lockot, Regine, Die Reinigung der Psychoanalyse. Die Deutschen Psychoanalytische Gesellschaft im Spiegel von Dokumenten und Zeitzeugen (1933-1951), Tübingen: Edition diskord, 1994
  • Rudolf, G., Rüger, U. (Hg), Die Psychoanalyse Schultz-Henckes, Stuttgart, New York: Georg Thieme, 1988
  • Schulte-Lippern, S., "Harald Schultz-Hencke, Psychoanalytiker in Deutschland" In: Forum d. Psa., 1990, 6: 52-69
  • Thomä, H., "Die Neo-Psychoanalyse Schultz-Henckes (I)" in Psyche, 17. Jhrg. 1963, S. 44 - 80; "Die Neo-Psychoanalyse Schultz-Henckes (II)" in Psyche, 17. Jhrg. 1963, S. 81 - 128

Quellen

  1. Lockot 1985:130
  2. Lockot 1985: 188
  3. Lockot 1985:133
  4. vgl.Lockot 1985: 134
 
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