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Geschichte der GehörlosenDieser Artikel befasst sich mit der Geschichte der Gehörlosen (englisch Deaf History), der Gehörlosigkeit bzw. Taubheit und ihrer Behandlung. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
Der Begriff „Deaf History“Die englischen Worte Deaf History bedeuten im Deutschen soviel wie „Geschichte der Gehörlosen“. Da die Erforschung der eigenen Geschichte vor allem von der US-amerikanischen Gemeinschaft der Gehörlosen in Gang gesetzt wurde, wird auch in Deutschland überwiegend der Terminus Deaf History anstelle der deutschen Begriffsbildung benutzt. Hierbei spielt auch eine Rolle, dass die nationale Entwicklung der Gehörlosen-Bewegung stets eng mit internationalen Entwicklungen verflochten war und die US-amerikanischen "Deaf"-Bewegung das bewunderte Vorbild der Gehörlosen in Deutschland geworden ist. Die eben gezeigte Großschreibung Deaf wird vor allem in den USA gebraucht, um damit die Zugehörigkeit zur kulturellen Gemeinschaft der Gehörlosen zu markieren, in Abgrenzung zum lediglich medizinischen Befund, der entsprechend der angloamerikanischen Rechtschreibung klein deaf geschrieben wird. Vielfach zeigt sich die Verbreitung von "Deaf" in Deutschland auch in Namen von einschlägigen Projekten, Webseiten, Spitznamen etc. Die Vereinigung ”Deaf History International” wurde 1991 beim ersten International Deaf History Congress in Washington, D.C., USA, gegründet. Verbreitung von TaubheitTaube Menschen gab es vermutlich so lang, wie die Menschheit auch existierte. Etwa 0,01 Prozent der menschlichen Bevölkerung ist genetisch bedingt taub. In abgeschlossenen Gebieten kann sich jedoch die genetische Taubheit in weit höherem Umfang ausbreiten. So bestand die Bevölkerung der nordamerikanischen Insel Martha’s Vineyard im 17. Jahrhundert zu einem so großen Teil aus Tauben, dass hier „jeder die Gebärdensprache sprach“ (so der Titel eines Buches zu dieser Historie von Nora Ellen Groce). Ein weit höherer Prozentsatz der Bevölkerung wird taub geboren aufgrund von Erkrankungen der Mutter während der Schwangerschaft z. B. durch Röteln oder Masern, weiter erfolgen auch Ertaubungen durch Erkrankungen im Kindesalter. Unter den heutigen Bedingungen hat der Umfang dieser vor- und nachgeburtlichen Ertaubungen eine Rate von etwa 0,1 Prozent in den höher entwickelten und bis etwa 1–2 Prozent in den weniger hoch entwickelten Ländern. Ertaubungen im Jugend- und Erwachsenenalter und Altersschwerhörigkeit haben aufgrund der bis dahin erworbenen Kenntnis der Lautsprache als Mehrheitssprache nicht die spezifischen Auswirkungen wie die von Geburt oder Kindheit an bestehende Taubheit. Gegenwärtig wird geschätzt, dass von der deutschen Gesamtbevölkerung (ca. 80 Millionen) etwa 14 Millionen eine Gehör-Beeinträchtigung haben. Etwa 80.000 davon sind taub, von denen wiederum etwa 35.000 eingetragene Mitglieder der Vereine des Deutschen Gehörlosen-Bundes sind. Obwohl Taube – wie aus den Zahlenangaben schon ersichtlich – sehr verstreut unter der Bevölkerung leben, haben sie untereinander dennoch stabile Gemeinschaften aufgebaut und verbringen die Zeit außerhalb des Berufslebens überwiegend unter ihresgleichen. Die christliche Ansicht der göttlichen BestimmungTaube wurden in Europa lange Zeit und vor allem auch unter dem Regiment der christlichen Kirche nicht als vollwertige Menschen angesehen, da sie die „göttliche“ Sprache nicht hatten, mit deren Beherrschung sich der Mensch nach damaliger Meinung vom Tier unterschied. Der Kirchenvater Augustinus (354–429) sprach: "Wer nicht hören kann, kann daher auch nicht glauben". Die Physiologie des Körpers wurde als von Geistigkeit gespeist gesehen, Leben als göttliches Prinzip, Pneuma, geistiger Hauch. Eine gelähmte Hand ist eine vom Leben verlassene, tote Hand, das Ohr des Tauben geistlos, ein hohler Umschlag ohne das eingeborene Gefühl, diesen "sehr scharfsinnigen Hauch, seit unserer Geburt vom Gehörgeist eingepflanzt", wie Ambroise Paré (1509–1590) bei seinen Sezierungen feststellen zu können meinte. Das Fehlen eines Gehörs implizierte eine lethargische Existenz. Aus frühchristlicher Sicht verjagte Jesus blinde und stumme Geister, der besessene Körperbehinderte wird durch ein Wunder der Gesellschaft zurückgegeben. Bei Tauben und Stummen heilte Jesus das Ohr und die Sprechorgane, mit der Ephphata-Formel öffnete er den Geist: zwei Heilphasen reichen nicht gänzlich ohne diese allerletzte Aktion, das Öffnen der Fenster und Türen zur Sprache wäre nichts ohne diese geistige innere Instanz, die das Hören auf das Verstehen erweitert und durch das Aussprechen von Gedanken von der Stille befreit. Die frühe wissenschaftliche Sicht
Nach damaligen Vorstellungen erschien das fehlende Sprechvermögen als grundlegender Mangel. Das Gedächtnis bestand nur durch die gegliederten Wörter, die die Gefühle im Bewusstsein festlegten, und es damit erlauben, den Willen zu wecken. Das Fehlen eines Gedächtnisses liefert der Einbildung des Menschen eine Parade unkontrollierter Bilder nach dem Muster des Traumes oder des Wahnsinns. Die Stummen erreichen kein Gedächtnis und Bewusstsein, sie verharren in den Ausfransungen des Untermenschlichen und Tierhaften. Die römischen Gesetzgeber diskutierten, ob Taubstummheit als Krankheit oder als Mangel einzuordnen wäre. Die Akustik als Wissenschaft entwickelte sich bei den Griechen in der Auseinandersetzung zwischen denen, die der pythagoreischen Ansicht vom mathematischen Regelmaß der Musik und denen, die der emotionalen Wertung des Aristoxènos zuneigten. Angesichts der engen Verknüpfung von Akustik und Musik kam es den Wissenschaftlern nicht in den Sinn, die Akustiker zum Wesen von Taubheit zu befragen. Ohnehin befasste Wissenschaft sich vorzugsweise mit idealen Modellen und nicht mit den ?Unfällen? der Natur, die Medizin speziell beschäftigte sich mehr mit allgemeiner Sachkunde als mit Beschreibungen von Symptomen. Die Gleichzeitigkeit der Taubheit und Stummheit forderte die wissenschaftliche Interpretation heraus. Es gab eine Theorie der ?Anastomose?, einer Nervenverbindung, die von Hippokrates und Claudius Galenus bzw. Galen (2. Jahrhundert) angeregt, bis ins 17. Jahrhundert zirkulierte. In diesem Sinne proklamierte auch Montaigne (1533–1592) eine "natürliche Naht", die die auditiven und die für das Sprechen als zuständig gesehenen Gesichtsnerven verband. Barthélémy Eustache (1510–1574) nahm die Verletzung der zwei Nerven an. Realdo Colombo (... gegen 1560) beschrieb die einfachen Stimmen und die unartikulierten Töne der Tauben, die durch den rückläufigen Nerv geleitet würden, während der Gesichtsnerv die Artikulationsorgane kontrollierte. Lazare Rivière (1589–1655) unterschied die grundlegende Taubstummheit, die in einer organischen Verletzung der auditiven und der Gesichtsnerven liegen sollte, von der physiologischen Taubstummheit, beruhend allein auf einer Schädigung des Gehörnervs, die die Unmöglichkeit einer Aneignung des Sprechens bewirkt. In Reaktion auf die scheinbar zweifachen Gebrechen verfolgten die Praktiker zwei Hauptwege der Heilung: das innere Ohr erhielt lange und oft schmerzhafte Behandlungen. Bei dieser Lage wurden die Stummen mit Geisteskranken gleichgesetzt angesichts scheinbar fehlender Gründe für die Stummheit, mit Körperbehinderten aller Richtungen, den Stotterern und Lisplern, vergleichbar der Verwechslung des Hinkens mit der Lähmung. Aristoteles (384–322 v Chr.), selbst Sohn eines Arztes, untersuchte die Naturgeschichte und die Wissenschaft von den Arten, ohne Praktiker zu sein. Dennoch befand er, dass Taube von Geburt sich nicht unterhalten konnten, und dass der Blindgeborene von höherer Intelligenz war als der von Geburt Taube. Soziale ImplikationenWegen des ohnehin verbreiteten Analphabetismus hatten Taube trotz ihrer Randständigkeit bis zum Mittelalter dennoch vergleichsweise stärkere gesellschaftliche Anpassungsmöglichkeiten als in den darauffolgenden Jahrhunderten. Die Kirche gewährte Tauben zwar im 5. Jahrhundert die Taufe, jedoch erst im 11. Jahrhundert die Heirat, im 13. Jahrhundert die Beichte und im 16. Jahrhundert die Möglichkeit, das Mönchsgelübde abzulegen (nach Aude de Saint Loup, „Darstellungen Tauber im westeuropäischen Mittelalter“, 1993). Die Beobachtungen im Zusammenhang mit einer Gruppe von Siedlern auf der nordamerikanischen Insel Martha’s Vineyard, die um 1630 aus dem kentischen Weald auswanderten zeigen dagegen, dass Taube auch in so früher Zeit nicht automatisch eine Randexistenz sein müssen, sondern dies eine Folge unterschiedlicher gesellschaftlicher Einstellungen ist. 16. und 17. Jahrhundert
Der geringe Umfang und vor allem die Zielrichtung der aus den vergangenen Jahrhunderten erhalten gebliebenen Aufzeichnungen bedingt es, dass die Geschichte der Tauben großenteils nur aus der Perspektive ihrer pädagogischen Erfassung berichtet werden kann. Mit der ersten Einrichtung von Schulen für Kinder gab es auch pädagogisch tätige Menschen, die taube Kinder zu unterrichten versuchten, sei es aus humanistisch oder religiös motivierten Gründen oder um des Geldes oder der Vergünstigungen willen, die gesellschaftlich besser gestellte Eltern dafür zu gewähren bereit waren. 18. und 19. Jahrhundert bis zum Mailänder Kongress
Ab etwa 1700 vollzogen sich die wesentlichen bekannten Ereignisse und Entwicklungen vor allem in den deutschsprachigen Ländern, Frankreich und Neuengland bzw. den USA. Sie beeinflussten sich teils gegenseitig, teils liefen die Entwicklungen im gleichen Zeitraum in unterschiedliche Richtungen. Dies sichtbar und vergleichbar zu machen, wird mit der parallelen Darstellung von Daten und Ereignissen in drei Spalten versucht. Samuel Heinicke und der Abbé de l'Epée engagieren sich in der pädagogischen Betreuung tauber Kinder, mit unterschiedlichen Methoden liefern sie die Grundlage für den späteren Methodenstreit der "Taubstummen"- bzw. Gehörlosenpädagogik im 19. und 20. Jahrhundert. Seit dem Mailänder Kongress 1880
Die auf dem Mailänder Kongress der „Taubstummen-Pädagogen“ 1880 gefassten Beschlüsse zu einer einseitig lautsprachlichen beziehungsweise oralen Erziehung werden in der Praxis durchgesetzt. Als Folge breitet sich jahrzehntelang eine lähmende Lethargie unter den Tauben in Europa und Nordamerika aus. Die Weltkriege 1914–1918 und vor allem auch von 1933–1945 mit gezielter Verfolgung tauber Menschen im Herrschaftsbereich des nationalsozialistischen Deutschland tragen mit ihren unüberblickbaren Auswirkungen zusätzlich zur Verunsicherung und Reduzierung des gesellschaftlichen Lebens der Tauben bei. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt es jedoch neue Impulse, die gegenüber der bisherigen Haltung der „Taubstummen-Pädagogen“ vor allem eine neue Akzeptanz der Gebärdensprache signalisieren. Die Linguisten Bernard Tervoort in Europa und William Stokoe in den USA belegen in der Mitte des Jahrhunderts erstmals den Status einer vollwertigen Sprache für die Gebärdensprache. Dies regt vor allem im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts zunehmend in allen Ländern der Erde die linguistische Erforschung von Gebärdensprachen an. Der technologische Fortschritt in der Elektronik führt im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts zu einer sich geradezu überschlagenden Entwicklung. Erstmals können Taube in den 1970er-Jahren zunächst mit Schreibtelefonen das Telefonnetz zumindest innerhalb ihrer Gemeinschaft und auch für Notrufe bei Polizei oder Feuerwehr nutzen. Im weiteren Verlauf werden den handelsüblichen Standard-Geräten immer mehr und neue Funktionen beigegeben, die sich auch von Tauben nutzen lassen. Mit dem Aufkommen des Internet erweitern sich die Informationsmöglichkeiten für Taube in weitaus größerem Maße als für die Hörenden. Siehe auch
Literatur und Medien
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Geschichte_der_Gehörlosen aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |