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GefangenendilemmaDas Gefangenendilemma ist ein Paradoxon, das zentraler Bestandteil der Spieltheorie ist. Bei dem Dilemma handelt es sich um ein klassisches symmetrisches „Zwei-Personen-Nicht-Nullsummen-Spiel”, das in den 1950er Jahren von zwei Mitarbeitern der RAND Corporation formuliert wurde. Um ihre abstrakten theoretischen Resultate zu veranschaulichen, beschrieben Merrill Flood und Melvin Dresher ein soziales Dilemma als Zwei-Personen-Spiel, das zeigt, wie individuell rationale Entscheidungen zu kollektiv schlechteren Ergebnissen führen können. Die Bezeichnung „Gefangenendilemma“ stammt von Albert William Tucker von der Universität Princeton. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
Beschreibung der SituationZwei Gefangene werden verdächtigt, gemeinsam eine Straftat begangen zu haben. Die Höchststrafe für das Verbrechen beträgt fünf Jahre. Beiden Gefangenen wird nun ein Handel angeboten, worüber auch beide informiert sind. Wenn einer gesteht und somit seinen Partner mitbelastet, kommt er ohne Strafe davon – der andere muss die vollen fünf Jahre absitzen. Entscheiden sich beide zu schweigen, bleiben nur Indizienbeweise, die aber ausreichen, um beide für zwei Jahre einzusperren. Gestehen aber beide die Tat, erwartet jeden eine Gefängnisstrafe von vier Jahren. Nun werden die Gefangenen unabhängig voneinander befragt. Weder vor noch während der Befragung haben die beiden die Möglichkeit, sich untereinander abzusprechen. In einer Auszahlungsmatrix eingetragen, ergibt sich folgendes Bild:
In allgemeiner Form ergibt sich folgende Auszahlungsmatrix:
mit T > R > P > S. Die Auszahlung eines Spielers hängt somit nicht nur von der eigenen, sondern auch von der Entscheidung des Komplizen ab (Interdependenz des Verhaltens). Individuell scheint es für beide vorteilhafter zu sein, auszusagen. Der Gefangene denkt sich: Falls der andere gesteht, reduziere ich mit meiner Aussage meine Strafe von fünf auf vier Jahre; falls er aber schweigt, dann kann ich mit meiner Aussage meine Strafe von zwei Jahren auf Null reduzieren! Also sollte ich auf jeden Fall gestehen! Diese Entscheidung zur Aussage hängt nicht vom Verhalten des anderen ab, und es ist anscheinend immer vorteilhafter zu gestehen. Eine solche Strategie, die ungeachtet der gegnerischen gewählt wird, wird in der Spieltheorie als dominante Strategie bezeichnet. Würden beide Gefangene schweigen, dann müsste jeder nur zwei Jahre ins Gefängnis. Der Verlust für beide zusammen beträgt so vier Jahre und jede andere Kombination aus Gestehen und Schweigen führt zu einem höheren Verlust. Die Spielanlage verhindert aber die Verständigung zwischen den Gefangenen und provoziert so einen einseitigen Verrat, durch den der Verräter das für ihn individuell bessere Resultat „Freispruch“ (falls der Mitgefangene schweigt) oder vier statt fünf Jahre (falls der Mitgefangene gesteht) zu erreichen hofft. Versuchen dies aber beide Gefangenen, so verschlimmern sie – auch individuell – ihre Lage, da sie nun je vier Jahre statt der zwei Jahre Gefängnis erhalten. In diesem Auseinanderfallen der möglichen Strategien besteht das Dilemma der Gefangenen. Die vermeintlich rationale, schrittweise Analyse der Situation verleitet beide Gefangenen dazu zu gestehen, was zu einem schlechten Resultat führt (suboptimale Allokation). Das bessere Resultat wäre durch gemeinsame Kooperation erreichbar, die aber anfällig für einen Vertrauensbruch ist. Die rationalen Spieler treffen sich in einem Punkt, der in diesem Fall als pareto-ineffizientes Nash-Gleichgewicht bezeichnet wird. Schuld und UnschuldIm Gefangenendilemma spielt die Frage von tatsächlicher Schuld oder Unschuld für das Resultat keine Rolle. Das wirkt sich so aus, dass auch der Unschuldige besser wegkommt, wenn er gesteht – in dem Fall etwas, das er nicht getan hat. Da moralische Bedenken und die Hoffnung auf Erweis der Unschuld den Unschuldigen davon abhalten, zu gestehen, was er nicht getan hat, muss er dann oft die schlechtere Stellung einnehmen, die sich aus dem Nichtgeständnis ergibt. Wenn die Strafe für Nichtgestehen sehr hoch ist, gestehen auch viele Unschuldige alles. Das Dilemma kommt insbesondere bei Schauprozessen zum Tragen. VertrauenDas Dilemma beruht besonders darauf, dass kein Teilnehmer weiß, wie sich der andere Teilnehmer verhalten wird. Die optimale Strategie für beide zusammen wäre, wenn beide Mitspieler einander vertrauen und miteinander kooperieren. Das Vertrauen kann auf zweierlei Art erzielt werden: Zum einen durch – nach den ursprünglichen Spielregeln nicht erlaubte – Kommunikation und entsprechende Vertrauensbeweise, zum anderen durch Strafe im Falle des Vertrauensbruches. Der Ökonom und Spieletheoretiker Thomas Schelling geht in seinem Werk The Strategy of Conflict (deutsch: Die Strategie des Konflikts) auf solche Probleme unter den Bedingungen des Kalten Krieges ein (Gleichgewicht des Schreckens). Die Bestrafung für einseitigen Vertrauensbruch wäre so groß gewesen, dass er sich nicht lohnte. Beim wiederholten Spiel des Gefangenendilemmas beruhen die meisten Strategien darauf, dass man Informationen aus vorhergehenden Schritten verwendet. Wenn der andere in einem Schritt kooperiert, vertraut die erfolgreiche Strategie Tit for Tat („Wie du mir, so ich dir“) darauf, dass er es weiterhin tut, und gibt ihrerseits einen Vertrauensbeweis. Im entgegengesetzten Fall bestraft sie, um zu verhindern, dass sie ausgenutzt wird. William Poundstone weist darauf hin, dass es sich nicht um ein Dilemma handele, wenn man auf Grund des Vertrauens sofort und immer Kooperation wählt. [1] SpielweisenEinmaliges SpielGemäß der klassischen Analyse des Spiels ist im nur einmal gespielten Gefangenendilemma die einzig rationale Strategie für einen am eigenen Wohl interessierten Spieler, zu gestehen und den Mitgefangenen damit zu verraten. Denn durch seine Entscheidung kann er das Verhalten des Mitspielers nicht beeinflussen, und unabhängig von der Entscheidung des Mitspielers stellt er sich immer besser, wenn er selbst nicht mit dem Mitgefangenen kooperiert. Diese Analyse setzt voraus, dass die Spieler nur einmal aufeinander treffen, und ihre Entscheidungen keinen Einfluss auf spätere Interaktionen haben können. Da es sich um ein echtes Dilemma handelt, folgt aus dieser Analyse aber keine eindeutige Handlungsanweisung (präskriptive Aussage) für reale Interaktionen, die einem Gefangenendilemma entsprechen. Im einmaligen, um nicht zu sagen alles entscheidenden Spiel, muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass es egal ist, ob sich beide Parteien zuvor absprechen. Die Situation nach einem evtl. geführten Gespräch bleibt gleich! Moderne Analysen zeigen andere rationale Strategien, insbesondere bei anderen Anwendungen des Modells. Dass es unterschiedliche Auffassungen über die Rationalität geben könne, zeigt ein Hinweis Douglas Hofstadters. Er meinte, dass es zwei Typen von Zivilisationen im Weltall geben könne, eine, deren Mitglieder beim einmaligen Spiel des Gefangenendilemmas kooperieren würden, die andere, deren Mitglieder Verrat üben würden. Der zweite Typ dieser Gesellschaften würde sich am Ende in die Luft jagen. [2] In Experimenten wurde nachgewiesen, dass sehr viele Mitspieler auch bei einmaligem Spiel kooperieren. Es wird angenommen, dass es verschiedene Spielertypen gibt. Die tatsächliche Verteilung der in den Experimenten beobachteten Kooperation kann durch die Standardtheorie der „rationalen Strategie“ nicht erklärt werden. In einem Experiment mit 40 Mitspielern, die jeweils 20 paarweise Spiele absolvierten, betrug die Kooperationsrate im Durchschnitt 22%.[3] Mehrmaliges (endliches) SpielDie Situation ändert sich, wenn das Spiel mehrere Runden gespielt wird (sog. iterierte Spiele). Diese Variation ermöglicht den Spielern, die Entscheidungen des Gegners in den vorherigen Runden mit in die Entscheidung, ob in der jeweils nächsten Runde kooperiert oder übergelaufen wird, einzubeziehen. Vertrauensbruch kann somit im nächsten oder einem späteren Spiel geahndet werden (Vergeltung), Kooperation kann belohnt werden. Die Anzahl der Runden darf den Spielern allerdings nicht mitgeteilt werden, sondern muss diesen unbekannt sein. Andernfalls könnte es sich für eigentlich kooperierende Spieler lohnen, in der letzten Runde zu verraten, weil dafür eine Vergeltung nicht mehr möglich ist. Somit wird aber die vorletzte Runde zur letzten, in welcher effektiv eine Entscheidung zu fällen ist, worauf sich wieder dieselbe Situation ergibt. Durch Induktion folgt, dass das einzig rationale Verhalten eines Spielers (Strategie) in diesem Fall der ständige Verrat ist[4]. In der Praxis wird dieses theoretisch rationale Verhalten jedoch nicht immer beobachtet[5]. Beim mehrmaligen Spiel wird die Auszahlungsmatrix in der Regel so gestaltet, dass zusätzlich zur allgemein gültigen Ungleichung T > R > P > S außerdem 2R > T + S gilt, was in der Beispiel-Auszahlungsmatrix aus der Einleitung erfüllt ist: . Im entgegengesetzten Fall könnten sich zwei Spieler sonst durch abwechselndes Ausbeuten und Ausgebeutet Werden einen Vorteil gegenüber kooperierenden Spielern verschaffen. Zur Interpretation der Ergebnisse eines Spiels werden bei endlichen Spielen die Auszahlungen der einzelnen Runden zu einer Gesamtauszahlung zusammengefasst, welche dann den Erfolg eines Spielers in einem Spiel wiedergibt. Hierfür werden die Auszahlungen der einzelnen Runden üblicherweise ungewichtet aufaddiert. Man sollte bei diesem Spiel beachten, dass es ein Unterschied ist, ob man siegen oder gewinnen will. Wenn man den Sieg erringen will, handelt es sich eigentlich um ein anderes Spiel. Das Spiel wird zu einem Nullsummenspiel, wenn am Ende nur der Sieg gezählt wird. Wenn man gewinnen will (einen Gewinn erzielen will), lohnt es sich, dem anderen Mitspieler auch Kooperation anzubieten, indem man kooperiert. Wenn der andere darauf eingeht, erzielt man am Ende einen höheren Gewinn, als wenn man ausschließlich Verrat übt. Auch wenn man selbst auf die Kooperation des anderen eingeht durch eigene Kooperation, steigert man seinen Gewinn. [6] Unendliches SpielDas Spiel wiederholt sich, ohne dass den Spielern bekannt ist, wann die letzte Runde stattfindet. Befinden sich die Spieler in diesem Dilemma, dann kann eine Nicht-Kooperation im darauf folgenden Spiel geahndet werden. Nicht zu kooperieren zahlt sich also nicht (zwangsläufig) aus, da man bei Verrat (direkt) im zweiten Spiel bestraft würde, während Kooperation (dauerhaft) belohnt wird. Tit-for-tat („wie du mir, so ich dir“) bedeutet Bestrafung für Verrat in der nächsten Periode. Man spricht in dem Fall von kalkulativem Vertrauen. Computerturnier von AxelrodDer amerikanische Politologe Robert Axelrod veranstaltete zum mehrmaligen Gefangenendilemma zu Beginn der 1980er Jahre ein Computerturnier, in dem er Computerprogramme mit verschiedenen Strategien gegeneinander antreten ließ. Die insgesamt erfolgreichste Strategie und gleichzeitig eine der einfachsten war besagte Tit-for-tat-Strategie, entwickelt von Anatol Rapoport. Sie kooperiert im ersten Schritt (freundliche Strategie) und den folgenden und „verzichtet auf den Verrat”, solange der andere ebenfalls kooperiert. Versucht der andere, sich einen Vorteil zu verschaffen („Verrat”), tut sie dies beim nächsten Mal ebenfalls (sie lässt sich nicht ausbeuten), kooperiert aber sofort wieder, wenn der andere kooperiert (sie ist nicht nachtragend). Evolutionsdynamische TurniereEine Weiterentwicklung des Spiels über mehrere Runden ist das Spielen über mehrere Generationen. Sind alle Strategien in mehreren Runden gegeneinander und gegen sich selbst angetreten, werden die erzielten Resultate für jede Strategie zusammengezählt. Für einen nächsten Durchgang ersetzen die erfolgreichen Strategien die weniger erfolgreichen. Die erfolgreichste Strategie ist in der nächsten Generation am häufigsten vertreten. Auch diese Turnier-Variante wurde von Axelrod durchgeführt. Strategien, die zum Verraten tendierten, erzielten hier zu Beginn relativ gute Resultate – solange sie auf andere Strategien stießen, die tendenziell eher kooperierten, also sich ausnutzen ließen. Sind verräterische Strategien aber erfolgreich, so werden kooperative von Generation zu Generation seltener – die verräterischen Strategien entziehen sich in ihrem Gelingen selbst die Erfolgsgrundlage. Treffen aber zwei Verräter-Strategien zusammen, so erzielen sie schlechtere Resultate als zwei kooperierende Strategien. Verräter-Strategien können nur durch Ausbeutung von Mitspielern wachsen. Kooperierende Strategien wachsen dagegen am besten, wenn sie aufeinander stoßen. Eine Minderheit von miteinander kooperierenden Strategien wie z. B. Tit-for-tat kann sich so sogar in einer Mehrheit von verräterischen Strategien behaupten und zur Mehrheit anwachsen. Solche Strategien, die sich über Generationen hin etablieren können und auch gegen Invasionen durch andere Strategien resistent sind, nennt man evolutionär stabile Strategien. Tit-for-tat konnte erst 2004 von einer neuartigen Strategie der Universität Southampton geschlagen werden, welche sich bei gegenseitigem Aufeinandertreffen nach einem Initial-Austausch in eine Ausbeuter- bzw. eine Opferrolle begibt, um dem Ausbeuter so eine Spitzenposition zu ermöglichen (master-and-servant). Nötig dazu ist aber eine gewisse kritische Mindestgröße, d. h. master-and-servant kann sich nicht aus einer kleinen Anfangspopulation etablieren. Da die Spielpartner über ihr anfängliches Spielverhalten codiert kommunizieren, besteht der Einwand, dass die Master-and-servant-Strategie die Spielregeln verletzt, wonach die Spielpartner isoliert voneinander befragt werden. Die Strategie erinnert an Insektenvölker, in denen Arbeiterinnen auf Fortpflanzung gänzlich verzichten und ihre Arbeitskraft für das Wohlergehen der fruchtbaren Königin aufwenden. Notwendige Bedingungen für das Ausbreiten von kooperativen Strategien sind: a) dass mehrere Runden gespielt werden, b) sich die Spieler von Runde zu Runde gegenseitig wiedererkennen können, um nötigenfalls Vergeltung zu üben, und c) dass nicht bekannt ist, wann sich die Spieler zum letzten Mal begegnen. Sequentielle EntscheidungDie Variante des Gefangenendilemma, bei der die Spieler nacheinander entscheiden, stellt die Spieler in eine asymmetrische Position. Eine solche Situation ergibt sich beispielsweise bei der Ausführung von bei Ebay zustande gekommenen Geschäften. Zunächst muss der Käufer entscheiden, ob er kooperieren, d.h. den Kaufbetrag an den Verkäufer überweisen möchte. Anschließend entscheidet der Verkäufer, ob er die Ware versendet. Trivialerweise wird der Verkäufer in keinem Fall die Ware versenden, wenn der Käufer den Kaufbetrag nicht überweist. (Anmerkung zum Verständnis: Im Folgenden steht nicht die rationale Entscheidungsfindung im Sinne einer optimalen Strategie, sondern eine emotionale Motivation im Fokus.) Der Käufer befindet sich also in einer Situation der „Angst“, dass der Verkäufer die Ware nicht versenden könnte, auch wenn er – der Käufer – den Kaufpreis überweist. Ist das Geld beim Verkäufer eingegangen, gibt es für diesen die Versuchung („Gier“), die Ware dennoch nicht zu versenden. Angst und Gier können als Emotionen in diesem Fall den beiden Spielern also getrennt zugeordnet werden, während bei der üblichen, zeitgleichen Entscheidungsfindung beide Spieler gleichermaßen beide Emotionen empfinden bzw. erfahren können. Dieser Unterschied macht die Analyse des Einflusses der Sozialen Identität (vereinfacht: „Wir-Gefühl“) möglich. Die traditionelle Hypothese ist, dass ein vorhandenes Wir-Gefühl die Tendenz zur Kooperation generell verstärkt. Yamagishi und Kiyonari[7]. stellten jedoch die These auf, dass ein Einfluss eines Wir-Gefühls zwar existiert, im Falle des sequentiellen Gefangenendilemmas jedoch ein viel stärkerer Effekt der reziproken Kooperation das Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein eines Wir-Gefühls unerheblich macht: Der Käufer motiviert den Verkäufer durch seine eigene Kooperation ebenfalls zur Kooperation. Simpson[8] konnte jedoch zeigen, dass die Belege, die Yamagishi und Kiyonari für ihre These anführen, ebenfalls mit der Annahme verträglich sind, dass ein vorhandenes „Wir-Gefühl“ die Spieler zwar dazu bringt, der Gier nicht nachzugeben, die Angst, der andere könne nicht kooperieren, jedoch weiterhin ein entscheidender Einfluss bleibt. Ein solcher Sachverhalt wäre insbesondere dazu geeignet, dass bei den Minimal-group-Experimenten von Tajfel[9] nicht beobachtet wurde, dass die Spieler den Gewinn ihrer eigenen Gruppe, sondern den Gewinnunterschied zur anderen Gruppe zu maximieren und den Unterschied innerhalb der eigenen Gruppe zu minimieren trachteten: Geht man einmal davon aus, dass zwei Spieler eines Gefangenendilemmas sich in irgendeiner Weise beide als Teil einer Gruppe fühlen und die Gruppenzugehörigkeit im Moment des Spiels salient ist, muss man annehmen, dass die beiden Spieler zum einen eine möglichst gleiche Verteilung zum anderen eine möglichst geringe Summe an Strafen (bzw. möglichst hohe Summe an Belohnung) anstreben. Nimmt ein Spieler an, der andere kooperiere (er also durch Gier von der Kooperation abgehalten werden kann), so können beide Ziele durch Kooperation (Differenz: R − R < T − S; und Summe: 2R > T + S) erreicht werden, nimmt der Spieler jedoch an, der andere kooperiere nicht (Angst vor Ausnutzung), so werden beide Ziele mit unterschiedlichen Strategien erreicht (Differenz schlägt Nicht-Kooperation vor: P − P < T − S; aber Summe schlägt Kooperation vor: 2P < T + S). StrategienEinige ausgewählte StrategienFür das über mehrere Runden gespielte Gefangenendilemma gibt es viele verschiedene Strategien. Für einige Strategien haben sich Namen eingebürgert (Übersetzung in Klammern):
Optimale StrategieDie einfache, aber sehr wirkungsvolle und langfristig erfolgreiche Strategie „tit-for-tat“ weist den Schönheitsfehler auf: Wenn nach einer gewissen Zeit beide Spieler diese Strategie langfristig wählen, können sie sich in einer dauerhaften Konfrontation blockieren. Dieser Umstand wird Vendetta (italienisch: Blutrache) genannt. Abhilfe kann dadurch geschaffen werden, dass nach zufälliger, das heißt für den Gegner nicht abschätzbarer Anzahl von Wiederholungen spontan einseitig Kooperation gespielt wird, um den Kreislauf der Konfrontation zu durchbrechen („Verzeihen“). Dadurch wird langfristig das beste Ergebnis für beide Seiten erreicht. Man kann auch von Fehler machenden Tit-for-tat-Spielern ausgehen. Das bedeutet, dass es die Möglichkeit gibt, dass ein Spieler eine Kooperation in der Vorrunde als Verrat fehldeutet. In diesem Fall ist der Verzeih-Mechanismus notwendig, um nicht in einer Vendetta zu enden. Solange die Fehlerquote nicht so hoch ist, dass sie die Erkennbarkeit der gespielten Tit-for-tat-Strategie verhindert, ist es noch möglich, optimale Ergebnisse zu erzielen. Dazu muss die Verzeihensquote proportional zur Fehlerquote gewählt werden. BeispieleAus Politik und WirtschaftDas Gefangenendilemma lässt sich auf viele Sachverhalte in der Praxis übertragen. Vereinbaren beispielsweise zwei Länder eine Rüstungskontrolle, so wird es immer individuell besser sein, heimlich doch aufzurüsten. Keines der Länder hält sich an sein Versprechen und beide sind durch die Aufrüstung schlechter gestellt (höheres Gefahrenpotential, höhere ökonomische Kosten), allerdings besser, als wenn nur der jeweils andere aufrüstete (Gefahr einer Aggression durch den anderen). Auch in der Wirtschaft finden sich Beispiele für das Gefangenendilemma, etwa bei Absprachen in Kartellen oder Oligopolen: Zwei Unternehmen vereinbaren eine Outputquote (zum Beispiel bei der Ölförderung), aber individuell lohnt es sich, die eigene Quote gegenüber der vereinbarten zu erhöhen. Beide Unternehmen werden mehr produzieren. Das Kartell platzt. Die Unternehmen im Oligopol sind aufgrund der erhöhten Produktion gezwungen, die Preise zu senken, wodurch sich ihr Monopolgewinn schmälert. Konkurrieren mehrere Firmen auf einem Markt, erhöhen sich die Werbeausgaben immer weiter, da jeder die anderen ein wenig übertreffen möchte. Diese Theorie konnte 1971 in den USA bestätigt werden, als ein Gesetz zum Werbeverbot für Zigaretten im Fernsehen verabschiedet wurde. Es gab kaum Proteste aus den Reihen der Zigarettenhersteller. Das Gefangenendilemma, in das die Zigarettenindustrie geraten war, wurde durch dieses Gesetz gelöst. Ein weiteres Beispiel ist ein Handlungsreisender, der seine Kunden bei Vorkasse (gegebenenfalls ungedeckte Schecks) mit guter Ware (kleinerer Profit, aber langfristig sicher) oder gar keiner Ware (hoher kurzzeitiger Profit) beliefern kann. Händler mit schlechtem Ruf verschwinden in solchen Szenarien vom Markt, da keiner mit ihnen Geschäfte macht, und sie ihre Fixkosten nicht decken können. Hier führt „tit-for-tat” zu einem Markt mit wenig „Betrug”. Ein bekanntes Beispiel nach diesem Muster ist die Funktionsweise des eBay-Bewertungsschemas: Händler, die trotz erhaltener Bezahlung die vereinbarte Ware nicht liefern, erhalten schlechte Bewertungen und verschwinden so vom Markt. Beachtenswert ist das Anbieterdilemma, das zu einer Beeinflussung der Preise für angebotene Güter führt. Zwar profitieren Anbieter bei Vorliegen des Dilemmas nicht, jedoch kann sich die Wohlfahrt einer Volkswirtschaft insgesamt erhöhen, da der Nachfrager durch niedrige Preise profitiert. Durch staatlichen Eingriff in Form von Wettbewerbspolitik wird ein Anbieterdilemma häufig künstlich generiert, indem beispielsweise Absprachen zwischen Anbietern untersagt werden. Somit sorgen Institutionen für mehr Wettbewerb, um den Verbraucher zu schützen. Auch die Versteigerung der UMTS-Lizenzen in Deutschland dient als Beispiel. Es wurden zwölf Frequenzblöcke für UMTS versteigert, die entweder als 2er- oder 3er-Paket erworben werden konnten. Sieben Bieter (E-Plus/Hutchison, Mannesmann, T-Mobile, Group 3G, debitel, mobilcom und VIAG Interkom) nahmen an der Versteigerung im August 2000 teil. Beachtenswert ist auch, dass – wie im theoretischen Original – Absprachen unter den Spielern, also der Mobilfunkanbieter, unterbunden wurden. Nach dem Ausscheiden von debitel nach der 126. Runde am 11. August 2000 waren zwölf Lizenzen für sechs Mobilfunkanbieter vorhanden, also zwei für jeden. Die Summe aller Lizenzen hat zu diesem Zeitpunkt 57,6 Mrd. DM betragen. Durch das Spekulieren der Mobilfunkanbieter auf ein Ausscheiden eines weiteren Anbieters und der Möglichkeit, drei Lizenzen zu erwerben, ging die Bieterschlacht jedoch weiter. In der 173. Runde, am 17. August 2000, gingen je zwei Lizenzen an die sechs verbliebenen Mobilfunkanbieter – ein Ergebnis also, das auch schon in der 127. Runde hätte erreicht werden können. Die Summe, die die Mobilfunkanbieter für alle Lizenzen zahlten, lag nun bei 98,8 Mrd. DM. Aus der KriminalistikDie sogenannte „Omertà” (Schweig oder stirb!) der Mafia versucht das Schweigen (Kooperieren) dadurch sicherzustellen, dass ein Verstoß mit besonders drastischen Sanktionen bedroht wird. Damit wird die Kooperation gefestigt, während gleichzeitig ein einseitiges Geständnis durch extremen Verlust demotiviert wird. Dies wäre eine Internalisierung eines negativen externen Effektes („negativ” in rein spieltheoretischem Sinn). Omertà versucht die Spieler zu gegenseitigem Vertrauen anzuhalten, kann aber das grundsätzliche Dilemma nicht auflösen. Als Gegenmittel kann die Justiz z. B. eine neue Identität und Straffreiheit für Verräter ins Spiel bringen, um das Vertrauen der Komplizen zu untergraben (Kronzeugenregelung). Eine einfache (wenngleich in Deutschland nach § 136a StPO unzulässige) Verhörstrategie der Polizei kann darin bestehen, den Verdächtigten zu verunsichern, indem behauptet wird, der Komplize hätte bereits gestanden. Einfluss auf die WohlfahrtInwiefern das Gefangenendilemma die soziale Wohlfahrt verbessert oder verschlechtert, hängt vom betrachteten Sachverhalt ab. Im Fall eines Kartells oder Oligopols führt das Gefangenendilemma zu einer Verbesserung der Situation. Das „Marktversagen” durch ein verringertes Angebot kann behoben werden. Betrachtet man allerdings die Waffenaufrüstung von Staaten oder die Werbeausgaben von Firmen, dann führt das Gefangenendilemma zu einer schlechteren Wohlfahrt, da lediglich Kosten geschaffen werden, die zu keinem neuen Nutzen führen. Karl Homann geht in seiner Konzeption einer Wirtschaftsethik davon aus, dass es Aufgabe der Staaten bzw. des Gesetzgebers sei, in der Gestaltung der Rahmenordnung darauf hinzuwirken, dass erwünschte Dilemmasituationen aufrechterhalten werden und dass unerwünschte Dilemmasituationen durch die Schaffung bzw. Veränderung von Institutionen überwunden werden. So können beispielsweise gesetzliche Mindeststandards bei der Sicherung von Konsumentenrechten (z.B. AGB-Gesetz) ein Misstrauen dem Verkäufer gegenüber (unerwünschte Dilemmasituation) ausräumen und so zu mehr Handel führen; gleichzeitig ist die Konkurrenz zwischen den jeweiligen Verkäufern und den jeweiligen Käufern als erwünschte Dilemmasituation aufrechtzuerhalten. Beschreibung der VerhaltensoptionenOb die beiden Möglichkeiten, sich zu verhalten, sinnvollerweise als Vertrauen/Verrat, Kooperation/Verweigerung oder Altruismus/Egoismus beschrieben werden, hängt unter anderem von der genauen Form der Auszahlungsmatrix ab. Ersetzt man im Vergleich zu obiger Matrix -2 durch 2, 0 durch 3, -5 durch 0 und -4 durch 1, liegt beispielsweise Altruismus/Egoismus als Interpretation näher: Beide Spieler beginnen mit einem Gut. Ein Spieler kann auf sein Gut verzichten (Altruismus). Der Mitspieler erhielte dafür zwei (!) Güter. Behält er sein Gut (Egoismus), erfolgt keine Bestrafung oder Ähnliches. Er kann das Spiel bei einem altruistischen Mitspieler mit drei Gütern abschließen, ansonsten behält er sein eines Gut. Verwandte ProblemeZu den symmetrischen Zweipersonen-Nichtnullsummenspielen gehören auch das Spiel mit dem Untergang (Feiglings-Spiel, chicken game), die Hirschjagd und das Spiel Kampf der Geschlechter. Weitere Beispiele dafür, dass individuelle und kollektive Rationalität zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, sind das Braess-Paradoxon und die Rationalitätenfalle. Literatur
Einzelnachweise
Kategorien: Lesenswert | Theoretische Biologie |
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