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Hominisation



Die Hominisation (lat. die Menschwerdung) bezeichnet die biologische und kulturelle Entwicklung der Gattung Mensch im Rahmen der Evolution.

Die Menschwerdung begann nach heutigem Forschungsstand in Ost-Afrika. Durch zufällige Veränderungen (Mutationen) des Erbguts, genetische Rekombinationen und natürliche Selektionsprozesse entstanden aus schimpansenähnlichen Vorfahren, in mehreren Ansätzen und teilweise parallel, neue Zweige des Stammbaums, wobei aus einem davon letztlich der Homo sapiens hervorging. Warum von allen Menschenformen nur der moderne Mensch übrig blieb, gehört zu den ungelösten Fragen der Paläoanthropologie, einer Unterwissenschaft der Anthropologie. Generationen von Forschern suchten und suchen nach fehlenden Gliedern, die die Übergänge von einer Art zu einer anderen erklären würden. Das Auffinden solcher Missing Links ist zufallsbedingt und gilt als äußerst unwahrscheinlich, da die Entstehung neuer Zweige zumeist auf nur wenige Individuen einer Kernfamilie beschränkt bleibt. In der Mehrzahl der Fälle findet man unvollständige Fossilien (meist nur Schädelteile, Unterkieferknochen, Zähne, Bein- und Armknochen, Teile des Beckens etc.) von Individuen, die lediglich einem Seitenzweig der Entwicklung entstammen.

Inhaltsverzeichnis

Der „Stammbaum“ des Menschen

 

Die Frühgeschichte der Menschenaffen kann etwa 32 Mio. Jahre zurückverfolgt werden, beginnend mit den Funden aus der Provinz Fayum in Ägypten. Dort konnten die Überreste von sechs verschiedenen Primatengattungen gefunden werden. Man nimmt heute an, dass die Menschwerdung vor etwa 8-5 Millionen Jahren in Afrika begann. Stammesgeschichtlich haben sich die Vorfahren der Schimpansen zu dieser Zeit von der zum Menschen führenden Entwicklungslinie abgetrennt. Es entstanden nach einigen anderen Übergangsformen vor ca. 4 Millionen Jahren die vermutlichen Vorläufer des Menschen, die Australopithecinen („Südaffen“).

Die frühesten aufrecht gehenden Hominiden

Nach dem Fund eines Schädelknochens im Tschad im Jahre 2001 und Funden des Jahres 2000 im Rift Valley (Kenia), einem Teil des Ostafrikanischen Grabenbruchs, gelten der Sahelanthropus tchadensis, der auch als Toumaï bezeichnet wird, und der so genannte „Millennium-Mann“ der Art Orrorin tugenensis als älteste Vorläufer des Menschen. Sollten sich die Annahmen der Experten bestätigen, gab es schon vor 6-7 Millionen Jahren aufrecht gehende Hominiden.

Bereits 1994 wurden Hominiden-Fossilien in Äthiopien entdeckt, die etwa 4,4 Millionen Jahre alt sind und zu einer Art gehören, die als Ardipithecus ramidus (von ramid = die Wurzel) bezeichnet wird. Diese Individuen sahen noch menschenaffenähnlich aus, konnten aber wahrscheinlich aufrecht gehen, wie 3D-animierte Computersimulationen zu belegen scheinen.

Jüngste Genanalysen des Broad Institute, eines gemeinsamen Instituts des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und der Harvard University, legen sogar nahe, dass eine erste Abspaltung noch wesentlich früher erfolgte und der gemeinsame Weg von Menschen- und Menschenaffenvorfahren länger dauerte und ungewöhnlicher verlief, als bisher angenommen. Bei dieser Studie wurden 800-fach mehr Gene als in früheren DNA-Analysen unter die Lupe genommen, nämlich 20 Millionen Basenpaare von menschlicher DNA, Schimpansen- und Gorilla-DNA. Die Untersuchungen bezogen sich primär auf die so genannte molekulare Uhr: Dabei wird der Verlauf der Evolution mit Hilfe von Genmutationen berechnet, die sich in besonderen „Schlüsselsequenzen“ des Erbguts abgespielt haben. Dies ermöglichte eine weit präzisere Datierung und Bestimmung der Auseinanderentwicklung von Mensch und Hominiden. Danach teilte sich eine frühe Affenart vom gemeinsamen Vorfahren bereits vor ca. 10 Millionen Jahren ab. Die unterschiedlichen Populationen vereinigten sich jedoch einige Jahrtausende später wieder und bildeten eine Mischpopulation, die zu Kreuzungen mit den Vorfahren tendierte. Es ergibt sich also ein komplizierter und sehr lange währender Prozess der Kreuzungen sich auseinanderentwickelnder Gruppen, bis eine erstmalige grundlegende Trennung der Schimpansenvorfahren und der Vorfahren des Homo vor ca. 6,3 bis 5,4 Millionen Jahren erfolgte. Noch sensationeller sind die Behauptungen der Forscher, dass diese Trennung noch nicht definitiv war, sondern dass es danach noch gut vier Millionen Jahre bis zur endgültigen Aufspaltung von Mensch und Schimpanse dauerte, beide Arten also erst vor etwa 1,2 Millionen Jahren endgültig getrennte Wege gingen. Dies würden beim Menschen die X-Chromosomen belegen, die für die Bestimmung des Geschlechts wesentlich sind und die sich erst zu diesem späten Zeitpunkt in der für Menschen charakteristischen Form herausbildeten. Dieses konkrete Szenario blieb selbstverständlich nicht unwidersprochen, wirft aber ein neues Licht differenzierterer Betrachtungen auf den Prozess der Menschwerdung, was allgemein anerkannt wurde. Die Publikation der Studie in der Zeitschrift Nature erfolgte im Sommer 2006.

Australopithecinen

Zu den relativ gut bekannten Vorläufern des Menschen gehören die Australopithecinen, deren Funde bisher auf Ost-, West- (Tschad) und Südafrika beschränkt sind. Nach den bisher vorliegenden Funden unterscheidet man verschiedene Arten, darunter Australopithecus anamensis, Australopithecus africanus und Australopithecus afarensis. Ferner wird eine Sonderlinie von Australopithecinen mit einem robusteren Gebiss neuerdings zur Gattung Paranthropus gezählt.

Der erste Fund eines Australopithecus wurde 1924 in Taung im heutigen Südafrika gemacht und von Raymond Dart 1925 in der Zeitschrift Nature wissenschaftlich beschrieben. Der gut erhaltene Schädel eines ungefähr drei Jahre alten Individuums ist heute als das "Kind von Taung" bekannt. Es gehört zur Art Australopithecus africanus. Ein ebenfalls sehr gut erhaltenes Australopithecinen-Skelett wurde am 30. November 1974 von Donald Johanson entdeckt, der an diesem Tag in Begleitung des Postdoc Tom Gray am Fundort 162 in Hadar (Afar-Region), Äthiopien, unterwegs war. Bei diesem Fund handelt es sich um die Knochen eines 3,18 Millionen Jahre alten Weibchens. Es wurde auf den berühmt gewordenen Namen „Lucy“ getauft. Namensgeber war laut Johanson der Beatles-Song Lucy in the Sky with Diamonds, der auf der anschließenden Feier im Camp der Forscher wiederholt gespielt wurde. Wissenschaftlich gehört der Fund zur Art Australopithecus afarensis. Der Knochenbau zeigt eine Verdickung unter dem Kniegelenk (zum Abfangen des Körpergewichts beim Aufrechtgehen) und weist keine tiefe Grube mehr für die Elle im Ellbogen auf (wie bei Primaten, die sich mit den Fingerknöcheln beim Gehen abstützen). Das Skelett bestätigt somit den aufrechten Gang der Australopithecinen. Lucy befindet sich heute im Nationalmuseum von Äthiopien in Addis Abeba, ein Abguss vom Original ist im Frankfurter Senckenbergmuseum ausgestellt.

Bei Laetoli in der Olduvai-Schlucht in Tansania wurden Fußabdrücke von anderen Australopithecus-afarensis-Individuen gefunden, die ebenfalls eindeutig belegen, dass Vertreter dieser Art aufrecht gingen.

Auch der Fund von DIK 1-1, eines dreijährigen Australopithecus-afarensis-Mädchens aus dem Jahr 2000 (das auch als Dikika girl, das Mädchen von Dikika bzw. als „Selam“ bezeichnet wird), konnte zweifelsfrei aufrecht gehen. Dieser sehr gut erhaltene Fossilfund zeigte aber auch auf, dass zumindest junge Australopithecinen noch gut im Geäst der Bäume hangeln konnten, vergleichbar den modernen Schimpansen.

Der „Flat Faced Man“

Etwa zeitgleich mit Lucy lebte in Afrika im selben Verbreitungsgebiet der 1999 von Meave Leakey in Kenia entdeckte Kenyanthropus platyops. Wegen seines flachen Gesichtsschädels wird er auch „Flat Faced Man“ genannt. Ob er zu den direkten Vorfahren des Menschen gehört, ist noch umstritten.

Die Gattung Homo

Aus den Australopithecinen oder dem „Flat Faced Man“ entwickelten sich vor zwei bis drei Millionen Jahren die ersten Vertreter der Gattung Homo.

Hierbei handelt es sich um den Homo rudolfensis (benannt nach dem Rudolf-See, heute Turkana-See, in Kenia), den Homo habilis (der „geschickte“ Mensch, für den bereits Werkzeugherstellung nachweisbar ist) und eventuell den Homo ergaster. Über diese Arten ist nur wenig bekannt, die Fundsituation ist recht heterogen, und die Verwandtschaftsbeziehungen sind ungenügend geklärt.

Vor etwa eineinhalb bis zwei Millionen Jahren entwickelte sich Homo erectus. Diese Menschenform war die erste, die Afrika verließ und sich über den vorderen Orient nach Europa und Asien auszubreiten begann; der erste Nachweis der Gattung Homo außerhalb Afrikas stammt von den homininen Fossilien von Dmanisi, die auf 1,8 Millionen Jahre datiert wurden. Auch lernte Homo erectus als erster, das Feuer zu beherrschen. Umstritten ist, ob die in Kenia gefundenen, 1,4 Millionen Jahre alten Spuren verbrannten Lehms bereits als Feuerstellen des Homo erectus gedeutet werden können. Gesichert ist der Feuergebrauch vor 500.000 Jahren in China und vor 400.000 Jahren in der Bretagne.

Homo floresiensis, scherzhaft auch „Hobbit“ genannt, dessen Überreste 2003 auf der indonesischen Insel Flores entdeckt wurden, wird von einigen Forschern für eine späte Zwergform des Homo erectus gehalten. Diese Ansicht wird durch die Analyse der Schädelform gestützt. Neuere Untersuchungen der Handgelenke könnten aber darauf hindeuten, dass der "Hobbit" doch nur ein Menschenaffe war. Eine Klärung der Widersprüche steht noch aus.

Die weitere Entwicklung wird diskutiert. Die jüngsten Fossilien des Homo erectus, die auf Java gefunden wurden, sind etwa 50.000 Jahre alt. Vor ca. 800.000 Jahren entwickelt sich parallel zum Homo erectus eine Form mit größerem Gehirn, der Homo heidelbergensis. Es ist unklar, ob er eine Unterart des Homo erectus (europäische Forschung) oder eine eigene Art (angloamerikanische Forschung) darstellt.

Aus dem Homo heidelbergensis oder dem Homo erectus entwickelten sich zwei weitere Menschenformen: Der Neandertaler (Homo neanderthalensis) und der Homo sapiens, der heutige Mensch samt seinen direkten Vorfahren. Diese vier Menschenformen könnten teilweise zur gleichen Zeit gelebt haben.

Homo sapiens - Out of africa?

  Über die Ursprünge des Homo sapiens gehen die Meinungen auseinander: Die „Out of Africa“-Hypothese vermutet, dass die Ausbreitung vor etwa 150.000 Jahren oder nach neueren Ansichten womöglich erst vor 50.000 Jahren durch eine zweite Auswanderungswelle von Afrika aus in alle anderen Regionen der Erde begann. Die „multiregionale“ Hypothese vermutet, dass sich lokale Populationen des Homo erectus, die viel früher aus Afrika auswanderten, mehrfach unabhängig voneinander in verschiedenen Regionen der Welt zum Jetztmenschen entwickelten, wobei es in Kontaktzonen zu einer genetischen Vermischung lokaler Gruppen der dortigen frühen Menschen kam. Genetische Befunde stützen die erste Hypothese. Eine Vermischung zwischen Homo sapiens und den späten Vertretern der anderen Arten ist demnach äußerst unwahrscheinlich, auch wenn sie nicht mit völliger Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Für die "Out-of-Africa"-Hypothese spricht auch ein 36.000 Jahre alter Steinzeit-Schädel, der in der südafrikanischen Ostkap-Provinz nahe der Stadt Hofmeyr gefunden wurde und europäischen Schädeln aus der Jungsteinzeit sehr viel ähnlicher ist als heutigen afrikanischen Schädeln. Er belegt ferner, dass die unmittelbaren Vorfahren des Homo sapiens ihren Siedlungsraum schneller als bisher vermutet bis in kalte eurasische Klimazonen ausdehnten, wie neue Ausgrabungen in Russland nahelegen.

Die ältesten Funde des modernen Menschen in Afrika sind etwa 160.000 Jahre alt. Außerhalb Afrikas reichen Funde des Homo sapiens bis etwa 100.000 Jahre zurück. Es handelt sich bei ihm um die einzige Menschenart, die Amerika (vor etwa 11.500 bis 15.000 Jahren, nach mancher Ansicht wesentlich früher) und Australien (vor etwa 60.000 Jahren) besiedelt hat. Homo sapiens ist zugleich der letzte Überlebende der Gattung Homo innerhalb der Familie der Hominiden.

Neue Gattungen

In den Jahren 2000-2002 wurden vier neue Gattungen und ein halbes Dutzend neuer Arten entdeckt. Die fossilen Funde werden nach Alter und nach morphologischen Eigenschaften (Zähne und Gehirn) zusammengefasst. Die einzelnen Gruppen sind überraschenderweise in diesen Eigenschaften recht inhomogen: der älteste Hominidenfund hat verblüffend moderne Merkmale hinsichtlich der zierlichen Zähne und des flachen Gesichtes.

Eine schematische und grobe Einteilung nach dem zeitlichen Auftreten der unterschiedlichen Hominiden-Gattungen bietet die folgende Übersicht (Quelle [1]):


  Homo Paranthropus Australopithecus Kenyanthropus Ardipithecus Orrorin Sahelanthropus
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Millionen Jahre Vergangenheit


Der Hofmeyr-Schädel aus Südafrika

Mitte des letzten Jahrhunderts wurde nahe der Stadt Hofmeyr in der südafrikanischen Provinz Ostkap ein menschlicher Schädel gefunden, der nun von einer international besetzten Forschergruppe auf ein Alter von etwa 36.000 Jahren datiert werden konnte. Zu dem Team gehören Richard Bailey von der Oxford University, Frederick E. Grine von der Stony Brook University New York und Katerina Harvati vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Diese Datierung bestätigt nun genetische Untersuchungen, die darauf hindeuten, daß der moderne Mensch (Homo sapiens) vom subsaharischen Teil Afrikas aus vor rund 40.000 Jahren die "Alte Welt" besiedelte, die "Out of Africa"-Theorie. Der neu untersuchte Schädel gibt nun erstmals Einblicke in die Morphologie dieser subsaharischen Population. "Aus dieser Population stammen die Vorfahren aller heute lebender Menschen ab", so Teamleiter Grine (Science vom 12. Januar 2007). Der moderne Mensch scheint also vor etwa 40.000 Jahren aus seinem Ursprungsgebiet Afrika südlich der Sahara aufgebrochen zu sein und die Welt besiedelt zu haben. Damit schließt der Schädel eine wesentliche Lücke bei den im subsaharischen Afrika gefundenen menschlichen Fossilien, die aus der Zeit von vor etwa 70.000 bis 15.000 Jahren stammen (in Afrika das "Later Stone Age", in Europa das Jungpaläolithikum). Der Hofmeyr-Schädel weist überraschende Ähnlichkeit mit etwa gleich alten Schädeln aus Europa auf und unterstützt damit zum ersten Mal die auf genetischen Untersuchungen basierende "Out of Africa"-Theorie. Durch eine neue Datierungsmethode, die unter Federführung von Richard Bailey von der Oxford University entwickelt wurde, konnte nun die Bedeutung des fossilen Schädels erkannt werden. Gemessen wurde die Menge der Absorption der radioaktiven Strahlung der Sandkörner, die den Hofmeyr-Schädel ausfüllten.

Die Paläoanthropologin Katerina Harvati vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie nahm am Schädel dreidimensionale Ausmessungen vor, um mögliche Ähnlichkeiten mit anderen Schädeln festzustellen. Denn mit ihrer Hilfe lassen sich auch moderne menschliche Populationen entsprechend ihrer geographischen Verteilung und genetischen Verwandtschaft voneinander unterscheiden. So verglich Harvati den Hofmeyr-Schädel mit etwa gleich alten Exemplaren aus dem europäischen oberen Paläolithikum und mit heute in Eurasien und im subsaharischen Afrika lebenden Menschen, darunter den Khoisan (Buschmänner). Weil es aus der jüngeren archäologischen Geschichte Südafrikas Khoe-San-Schädel gibt, erwarteten die Paläoanthropologen, dass sie eine große Ähnlichkeit mit dem ebenfalls aus Südafrika stammenden Hofmeyr-Schädel aufweisen sollten. Sie stellten aber fest, dass der Hofmeyr-Schädel sich stark von den Schädeln heute lebender subsaharischer Afrikaner (einschließlich der Khoe-San) unterscheidet. Sehr ähnlich ist er dagegen den europäischen Funden aus dem oberen Paläolithikum.

Angemerkt sei, daß die Paläoanthropologie für ihre kontroversen Debatten bekannt ist. Und die Frage, bei der am häufigsten gestritten wird, lautet:

Woher kommt der moderne Mensch? Wo liegen seine evolutionären Ursprünge? Genetische Untersuchungen, insbesondere die von mitochondrialer DNA, welche nur auf mütterlicher Linie weiter vererbt wird, heute lebender Menschen, legen nahe, dass sich der moderne Mensch im subsaharischen Teil Afrikas entwickelt hat und von dort aus vor etwa 150.000 bis 100.000 Jahren aufbrach um die "Alte Welt" zu besiedeln. Nach Untersuchungen der Y-Chromosomen, die nur auf väterlicher Linie vererbt werden, wanderte der moderne Mensch erst vor etwa 80.000 bis 60.000 Jahren aus Ost- oder Nordafrika (Äthiopien, Sudan, vielleicht auch Ägypten) aus. Diese Ergebnisse schließen sich nicht unbedingt aus: Vor etwa 150.000 bis 100.000 Jahren wanderte der moderne Mensch vom subsaharischen Teil Afrikas nach Norden, von wo er sich dann vor 80.000 bis 60.000 Jahren wieder nach Süden und über die ganze Welt verbreitete. Beide Untersuchungen (mtDNA und Y-Chromosome) kommen zu dem Ergebnis, dass der aus Afrika kommende moderne Mensch sich nicht mit anderen Arten der Gattung Homo (z.B. dem Neandertaler) vermischte. Nach diesen Untersuchungen gingen der moderne Mensch und der Neandertaler spätesten vor 600.000 Jahren getrennte Wege. Andere genetische Untersuchungen hingegen, insbesondere die von Zellkern-DNA, widersprechen dieser Theorie. Vielmehr legen diese nahe, dass andere nichtafrikanische Gruppen, zu denen auch der Neandertaler zählt, einen bedeutenden Beitrag zum Erbgut der modernen Menschen in Eurasien geleistet hat. Beide konkurrierenden Modelle konnten bislang nicht an paläontologischen Funden überprüft werden, weil menschliche Fossilfunde entsprechenden Alters aus dem subsaharischen Afrika bislang fehlten.

F. E. Grine, R. M. Bailey, K. Harvati, R. P. Nathan, A. G. Morris, G. M. Henderson, I. Ribot und A. W. G. Pike: Late Pleistocene Human Skull from Hofmeyr, South Africa and Modern Human Origins. In: Science vom 12. Januar 2007. Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. (München)

Modelle der frühen Hominisation

Anhand der Skelettmerkmale kann festgestellt werden, dass sich der aufrechte, zweibeinige Gang des Menschen deutlich früher entwickelte als die starke Vergrößerung des Gehirns.

Zur Erklärung der Merkmale aufgrund veränderter Selektionsbedingungen gibt es mehrere Modelle, von denen einige stark umstritten sind:

  • die inzwischen stark angezweifelte Savannen-Hypothese: Sie sieht eine weltweite klimatische Veränderung mit einer Ausbreitung der Steppen und einem Rückgang der Urwaldgebiete von Ostafrika bis Süd-Ost Asien vor ca. 15 Millionen Jahren als Anstoß. Die dem Menschen am nächsten stehenden Affenarten leben noch heute in diesen Waldgebieten. Der aufrechte Gang könnte sich bereits vorher als Anpassung an eine Lebensform zwischen Baum und Boden entwickelt haben. Während rein baumbewohnende Arten sich ebenso vierfüßig fortbewegen wie rein bodenbewohnende, ist eine Lebensweise, die einen Großteil ihrer Nahrungsquellen auf dem Boden findet, diese aber im Schutz der Bäume verzehrt, für eine aufrechte Fortbewegung prädestiniert („präadaptiert“). Auch moderne Affen können z.T. gut aufrecht laufen. Dieser Hypothese widerspricht, dass die ältesten Hominiden, für die der aufrechte Gang nach den jüngsten Funden nachzuweisen ist, in dicht bewaldeten Gebieten gelebt haben. Für dieses Problem bietet die nachfolgende Hypothese eine plausible Erklärung.
  • die Hypothese von der Entwicklung des aufrechten Gangs auf Bäumen: Nach Auffassung eines Forscherteams um Susannah Thorpe von der Universität Birmingham und Robin Crompton von der Universität Liverpool könnte sich der aufrechte Gang bereits bei den auf Bäumen lebenden Vorfahren des Menschen entwickelt haben, um auf diese Weise die Früchte am Ende dünner Zweige besser erreichen zu können. Nach einem Bericht der Zeitschrift Science aus dem Jahre 2007 haben die Forscher ein Jahr lang Orang Utans auf der Insel Sumatra beobachtet. Diese Menschenaffen verbringen ihr ganzes Leben auf Bäumen und seien daher ein Modell dafür, wie unsere Vorfahren vor mehreren Millionen Jahre gelebt haben könnten. Die Analyse von rund 3000 Bewegungen ergab, dass die Orang-Utans sich auf sehr dünnen Zweigen auf zwei Beinen fortbewegen, sich dabei mit den Händen an darüber hängenden Zweigen festhalten und mit den Armen ihr Gewicht ausbalancieren. An mitteldicken Zweigen ließen sie sich dagegen eher hängen, sehr dicke Äste würden im Vierfüßler-Gang gemeistert. Demzufolge wären unsere Vorfahren weitaus früher als von der "Savannen-Hypothese" angenommen in den Baumwipfeln auf zwei Beinen unterwegs gewesen. Erst später, als die Wälder nach und nach verschwanden, hätten sie mit dem "Umzug" auf den Boden reagiert, wo sie den aufrechten Gang weiter entwickelten und perfektionierten. Die andere Linie, die zu den heutigen Schimpansen und Gorillas führte, hätte dagegen den Vierfüßler-Gang auf den Handknöcheln weiterentwickelt, um in den ausgedünnten Wäldern rasch von einem Baum zum nächsten gelangen zu können. Unterstützt wird diese neue Hypothese durch die Tatsache, dass einige Hominidenfunde aus Gegenden stammen, die zu Lebzeiten menschlicher Vorfahren eindeutig bewaldet waren. Dies gelte zum Beispiel für "Lucy" und für den im Jahre 2000 entdeckten "Millennium Man".
  • die stark umstrittene Wasseraffen-Theorie, weiter entwickelt zur Wat-Affen-Theorie: Sie geht davon aus, dass während der frühen Hominisation Vorfahren des heutigen Menschen teilweise am und im Wasser gelebt haben. So zeigen auch Menschenaffen (die ungern ins Wasser gehen) im Wasser watend den aufrechten Gang. Bei einer Intensivierung dieser Lebensweise hätte es einen Selektionsdruck gegeben, der anatomische Anpassungen an den aufrechten Gang sowie weitere Merkmale, die für eine semiaquatische Lebensweise nützlich sind (geringe Behaarung), begünstigt hätte. Diese Hypothese kann sich auf keine Fossilfunde stützen; jedoch zeigen neueste Analysen, dass sich in den Knochen unserer Vorfahren Mineralien abgelagert hatten, die auf marine Nahrungsquellen schließen lassen. Auffällig ist auch die im Verhältnis zu anderen Primaten gute Schwimmfähigkeit. Menschliche Kinder können bis zu einem Alter von sechs Monaten schwimmen, ohne zu ertrinken, dann verlernen sie diese Fähigkeit. Die Wasseraffen-Theorie geht von der Annahme aus, dass sich die Vorfahren des Menschen bereits vor rund 12 Millionen Jahren von den Menschenaffen abgespalten haben. Tatsächlich geschah dies aber vor ca. 7 Millionen Jahren. Für die nötigen Evolutionsschritte ins Wasser hinein und aus diesem wieder heraus fehlt daher nach Ansicht von Kritikern die nötige Zeit.
  • Ein anderes (Außenseiter-)Modell ist die Retardations- und Foetalisationstheorie nach Lodewijk Bolk bzw. die Neotenie-Hypothese nach Emile Devaux. Sie geht davon aus, dass der Mensch neoten sei und - überspitzt formuliert - auch im Erwachsenenstadium einen geschlechtsreifen Affenfötus darstelle. Tatsächlich weist auch der erwachsene Mensch mehr Ähnlichkeiten mit jungen Menschenaffen auf als mit erwachsenen Menschenaffen. Beispiele dafür sind die Kopf- und Gesichtsform, das Verhältnis von Hirnschädel zu Gesichtsschädel, spärliche Behaarung und die Form der Hände. Dabei handelt es sich nicht um eine vollständige Neotenie, sondern um eine neotene Entwicklungsverzögerung bei einzelnen Merkmalen. Dieses Modell befasst sich mit dem Zustandekommen der Merkmale auf ontogenetischer Ebene, nicht dagegen mit der Frage von Selektionsbedingungen. Es ist daher mit beiden oben genannten Modellen kompatibel. Eine besondere Eleganz der Neotenie-Hypothese liegt darin, dass sie auch eine relativ schnelle Ausprägung einiger typisch menschlicher Merkmale erklären kann. So bedarf eine Neotenie nur geringer Änderungen im Hormonhaushalt, die bereits durch wenige Mutationen ausgelöst werden können. Durch diesen Mechanismus wäre eine Anpassung an veränderte Lebensbedingungen schnell möglich gewesen.

Eine treibende Kraft der Hominisation war möglicherweise das Zusammenwirken von aufrechtem Gang (dadurch freie Greifhände) und dem Zwang zur Kooperation in der Gruppe. Hieraus könnte zuerst die Gebärdensprache und später die Wortsprache entstanden sein. Eine Verständigung über Zeichen begünstigt die Ablösung von instinktgesteuertem Verhalten zugunsten kultureller Normen. Dadurch wurden schnelle Anpassungen an neue Lebensräume und veränderte Lebensbedingungen zusätzlich zur biologischen Evolution möglich (Soziokulturelle Evolution).

Die Vergrößerung des Gehirns lässt sich nach neueren Erkenntnissen auf Mutationen der Kaumuskulatur oder des Keilbeins zurückführen.

  • Fest steht, dass unter allen Primaten der Homo sapiens den kleinsten Kauapparat und den größten Gehirnschädel besitzt. Nach Erkenntnissen von US-Forschern um Hansell Stedman an der University of Pennsylvania in Philadelphia, die 2004 in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurden, erfolgte vor etwa 2,4 Millionen Jahren eine entscheidende Mutation, die dafür sorgte, dass sich die Muskulatur des Kauapparates zurückbildete, wodurch das Gehirn mehr "Platz" für eine Vergrößerung vorfand. Die Mutation erfolgte nach Ansicht der Forscher im Gen MYH16, das für die Ausbildung von schweren Myosin-Ketten zuständig ist. Gestützt wird ihre These durch die Tatsache, dass sich erst seit jener Zeit Funde menschlicher Fossilien mit runderen Schädeln, flacheren Gesichtern, kleineren Zähnen und einem schwächeren Gebiss nachweisen lassen. Schimpansen und andere Primaten verfügen nach wie vor über das intakte, nicht mutierte Gen, was bei ihnen für die Bildung einer kräftigeren Kaumuskulatur und eines größeren Kiefers sorgt, jedoch die Vergrößerung des Gehirnschädels verhindert hat.
  • Nach Ansicht der US-Anthropologin Andrea Taylor, die die Gebiss-Anatomie sowie die Nahrungsgewohnheiten der Menschenaffen näher studierte, ist jedoch die Annahme, dass sich das menschliche Gehirn allein wegen der Rückbildung der Kiefer- und Kaumuskulatur entfalten konnte, nicht schlüssig. Sie untersuchte das Verhältnis des Kauapparates zum Rest des Schädels bei Berg- und Flachland-Gorillas, Schimpansen und Bonobos und fand keine signifikanten Unterschiede im Gebiss von Blatt- und Obstfressern. "Unsere Ergebnisse zeigen zwar, dass einige Körpermerkmale vielleicht mit den Nahrungsunterschieden der afrikanischen Menschenaffen zusammenhängen. Als einziger Grund für diese Abweichungen in der Körpergestalt scheidet die Ernährung jedoch aus." Für die Vergrößerung des menschlichen Gehirnschädels müssten laut Taylor andere Einflüsse wie eine veränderte Umwelt in Betracht gezogen werden.
  • Während seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die Entwicklung des aufrechten Ganges vor allem als Reaktion auf veränderte Umweltbedingungen zurück geführt wurde, kommen französische Forscher wie die Paläontologin Anne Dambricourt-Malassé und die Kieferorthopädin Marie Josèphe Deshayes durch langjährige vergleichende anatomische Untersuchungen zu einem ganz anderen Schluss: Für sie spielt die Evolution des Keilbeins, eines geflügelten Knochens, den der menschliche Embryo als ersten Knochen im mittleren Schädelbereich ausbildet und welcher einen Teil der Schädelbasis sowie den hinteren Bereich der Augenhöhle formt, die entscheidende Rolle bei der Entwicklung des aufrechten Ganges und des Schädels im Laufe der Hominisation. Ihrer Ansicht nach hat die Lage und die Form des Keilbeins, welches sich durch ständige Mutationen immer wieder verändert, einen entscheidenden Einfluss auf die Ausbildung des Gebisses, die Verflachung des Gesichtsschädels und auf die Vergrößerung des Hirnschädels gehabt.

Ökologische Differenzierung bei Australopithecinen

Eine Klimaveränderung, ausgelöst durch die plattentektonische Hebung Ostafrikas, bewirkte eine weitgehende Versteppung des angestammten Lebensraums. Diese Grassteppe bot in erster Linie Nahrung für Grasfresser (Paarhufer, Wiederkäuer), die es vorher schon, meist in kleineren Formen, als Waldbewohner gab. Diese traten nun bald in großen Herden auf, und weil sie zahlreicher wurden, konnten sich auch Raubtiere und Aasfresser vermehren.

So differenzierten sich zwei Typen von Vormenschen. Die eine Strategie war eine biologische Anpassung an das neue zellulosereiche Nahrungsangebot. Australopithecus robustus und andere Arten entwickelten als Anpassung eine gewaltige Kaumuskulatur und entsprechend mächtige Molaren. Die Muskulatur setzte dabei an einem deutlich sichtbaren Knochenkamm auf dem Scheitel des Schädels an. Es gab verschiedene, meist mächtige und große Primaten, die diese ökologische Nische zu nutzen versuchten, die allerdings allesamt wieder ausstarben.

Eine andere Strategie war die des Fleischfressers. In den Anfängen dürfte sich dies aber auf Aas und Beuteraub beschränkt haben, da der Mensch weder die Fähigkeit besaß, als Raubtier größere Beutetiere zu stellen, noch über Klauen oder Zähne verfügte, die geeignet gewesen wären, ein Beutetier zu töten oder aufzubrechen. Sehr wahrscheinlich kam es hier zum ersten Werkzeuggebrauch, indem zufällig gefundene scharfkantige Steine dazu benutzt wurden, Beutetiere aufzubrechen. In dieser Phase der Evolution gab es also primitiven Werkzeuggebrauch und sehr wahrscheinlich auch einfache Formen der Kommunikation.

Die frühe Menschheit stand unter einem starken Selektionsdruck. Die anderen Lebewesen der Steppe waren schon seit Millionen von Jahren an ihre Umgebung angepasst. In körperlicher Leistung konnte man es nicht mit ihnen aufnehmen. Jedoch verfügten die Affen über ein leistungsfähiges Gehirn.

Der größte evolutionäre Schritt war dann aber wohl die Entwicklung der Jagd. Kommunikation und Waffen wurden dabei so weiterentwickelt, dass der frühe Mensch sein biologisches Manko durch kulturelle Leistungen aufhob und nun befähigt war, selbst zu jagen.

Aber damit war die biologische Evolution nicht abgeschlossen. Unter dem Selektionsdruck, Werkzeuge und Kommunikation zu verfeinern, und dem Angebot von reichlich hochwertigem Eiweiß waren höhere intellektuelle Fähigkeiten von Vorteil. Nachdem der Mensch schon Jahrmillionen zuvor den aufrechten Gang erworben hatte, entwickelte er nun auch ein größeres Gehirn. Da sich das weibliche Becken unter Einfluss des aufrechten Ganges aber nicht an den wachsenden Kopfumfang des Neugeborenen anpassen konnte, kamen diese zu einem biologisch immer weiter vorverlegten Termin, also immer weniger weit entwickelt und immer mehr und länger auf Brutpflege angewiesen, zur Welt. Zudem war mehr Zeit nötig, um die Fähigkeiten von den Erwachsenen zu erlernen (vertikale Proliferation im Gegensatz zur horizontalen Proliferation durch Vererbung). Die Evolution half mit der „Erfindung“ der Pubertät. Die Entwicklung der Keimzellen wird für einige Jahre gestoppt, wodurch eine längere Zeit von Kindheit und Jugend entsteht, die es dem Menschen ermöglicht, alle überlebensnotwendigen Fähigkeiten zu erlernen (Neotenie). Das menschliche Gehirn wächst bis zum 23. Lebensjahr; bei den Primaten ist es nach 6 bis 12 Monaten ausgewachsen. Das ermöglicht eine verlängerte Lernphase. Die Geschlechtsreife findet jedoch schon vorher statt, (Menschen)Affen werden erst „spät“, im Verhältnis zu ihrer mentalen Reife, mit 6 bis 7 Jahren geschlechtsreif.

Eine weitere biologische Anpassung war das Schwitzen am gesamten Körper. Die ersten Primaten regulierten ihre Körpertemperatur vermutlich wie andere Säugetiere über die Atmung, was den Umfang der Wärmeabfuhr stark einschränkte. Kein anderer Primat verfügt über eine so hohe Dichte an Schweißdrüsen wie der Mensch. Er nutzte nun zur Wärmeabfuhr den ganzen Körper und wurde damit in Punkto Ausdauer und Anpassungsfähigkeit den meisten Tieren überlegen. Außerdem ermöglichte das Schwitzen, auch unter großer Hitze oder Anstrengung die Kommunikationsfähigkeit über die Sprache zu erhalten. Wirklich effektiv war die Fähigkeit zu schwitzen jedoch nur, wenn kein Fell die Luftzirkulation behinderte. In der Folge wurde der Mensch also weitgehend unbehaart. Eigentlich ist es effektiver, ein kurzes Fell wie das eines Löwen zu tragen. Wärmeabsorption und UV-Schädigung sind auf nackter Haut weitaus höher. Jedoch war wohl der Selektionsdruck so stark, dass die Vorteile durch die Kühlung alle Nachteile aufwog. Später entwickelte der Mensch als Ersatz schützende Kleidung, die ihm das Überleben in kälteren Regionen ermöglichte.

Evolution des Sexualverhaltens

Die menschliche Sexualität ist in der uns bekannten Natur so einzigartig, wie es auch der Mensch ist („Wir sind die sonderbarste Spezies von allen“, Jared Diamond). Ihre Besonderheiten entstanden gleichzeitig (und in Ko-Evolution, also Wechselwirkung) mit den weiteren anatomischen und kulturellen Merkmalen, die Menschen von den dreißig Millionen anderen Tierarten unterscheiden.

Die wichtigsten Besonderheiten menschlicher Sexualität sind (Die Einzelmerkmale treten jedoch auch bei bestimmten Affenarten auf):

  • versteckter Eisprung: Die Fruchtbarkeit von Tierweibchen wird in der Regel durch körperliche oder Verhaltens-Signale mitgeteilt, damit in dieser Phase eine Befruchtung stattfinden kann; bei Menschen ist dies nicht der Fall, die fruchtbare Phase ist für beide Geschlechter nur schwer zu erkennen.
  • Sexualität zum Vergnügen: Anders als bei fast allen Tieren wird Sexualität bei Menschen nicht zu bestimmten, genetisch fixierten Zeiten (Brunftzeiten) praktiziert; Menschen sind grundsätzlich jederzeit an Sexualität interessiert, diese dient vorwiegend dem Vergnügen und weniger der Befruchtung, d.h. sie ist von der Fortpflanzung relativ entkoppelt worden, hat zusätzliche Funktionen erhalten. Die jederzeit praktizierte Sexualität ist bereits bei den Affenvorfahren des Menschen angelegt. Bonobos sind für ihr ausgeprägtes Sexualverhalten bekannt.
  • Kopplung von Scham und Sexualität: Menschen sind die einzige Spezies, die kulturell Scham für Sexualität entwickeln kann; Geschlechtsverkehr findet üblicherweise unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, während Tiere in der Regel vor den Augen der Artgenossen kopulieren.
  • Beendigung der Fruchtbarkeit von Frauen: Ab einem Alter von ca. 50 Jahren erleben Frauen durch die Wechseljahre ein Ende ihrer Fruchtbarkeit.
  • „offizielle“ Monogamie: Dieses umstrittene Merkmal bezieht sich darauf, dass viele (nach einer anderen Position: die meisten) menschlichen Kulturen mehr oder weniger langfristige Paarbeziehungen zwischen einer Frau und einem Mann zum Zweck der Kinderaufzucht kennen. Relativ selten kommen offizielle Polygynie oder Polyandrie vor. Die offizielle Monogamie ist allerdings nachweisbar gekoppelt mit einer Neigung beider Geschlechter zu „Seitensprüngen“ („Kombinierte Fortpflanzungsstrategie“)

Diese Besonderheiten der menschlichen Sexualität können erklärt werden durch ihre Ko-Evolution mit anatomischen und Verhaltens-Merkmalen der Menschen, zwischen denen sie das Bindeglied darstellt. Zu den anatomischen Besonderheiten zählen v.a. die leistungsfähige Greifhand, das größere Gehirn, der aufrechte Gang und sehr modulationsfähige Stimmbänder als Voraussetzung des Sprechens. Zu den kulturellen Merkmalen zählen die extrem gesteigerte Fähigkeit zu kollektivem Lernen durch Sprache (d.h. symbolische Kommunikation), Kooperation und Technikeinsatz (Feuer, Werkzeuge, Landwirtschaft etc.). Mit zunehmender Leistungsfähigkeit der menschlichen Technik wächst die Abhängigkeit von ihr und gleichzeitig der Aufwand, der bei der Kinderaufzucht zur Weitergabe des technischen Wissens betrieben werden muss, bis die Nachkommen sich relativ selbständig ernähren und wiederum fortpflanzen können. Dieser wachsende Aufzucht-Aufwand wirkte über hunderte von Generationen als Selektionsdruck auf Anatomie und Sexualphysiologie zurück. Eine Reihe von Autoren vertritt die Position, dass der versteckte Eisprung, die Sexualität zum Vergnügen und die Privatheit des Sexualaktes Merkmale sind, die die Bindung des Mannes an eine Frau, d.h. die zur Kinderaufzucht notwendige langfristige wirtschaftliche Kooperation von Paaren begünstigt haben. Die Beendigung der Fruchtbarkeit der Frau ab einem Alter, in dem die Lebensgefahr durch die Geburt eine bestimmte Schwelle überschreitet, komme ebenfalls der Kinderaufzucht zugute und habe sich deshalb in der Evolution bewährt und durchgesetzt.

Siehe auch: Menschliche Sexualität

Siehe auch

Exemplarische Literatur

  • Bucher, Zeno (1992): Die Abstammung des Menschen als naturphilosophisches Problem. Koenigshausen & Neumann, Würzburg 1992. ISBN 3-88479-721-2
  • Burenhult, Göran, u. a. (2000): Die ersten Menschen. Die Ursprünge des Menschen bis 10 000 vor Christus. Jahr, Hamburg. ISBN 3-8289-0741-5
  • Diamond, Jared (1998): Warum macht Sex Spaß? Die Evolution der menschlichen Sexualität. Bertelsmann, München, Goldmann, München 2000. ISBN 3570120082, ISBN 344215085X
  • Diamond, Jared (1999): Der Dritte Schimpanse. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M.. ISBN 3-596-14092-7
  • Henke, Winfried, Tatersall, Ian (2007) Hrsg.: Handbook of Paleoanthropology. Vol. I - III. Springer, Berlin. ISBN 978-3-540-32474-4
  • Junker., Thomas (2006): Die Evolution des Menschen. C.H.Beck, München 2006. ISBN 3-406-53609-3
  • Kuckenburg, Martin (2001): Als der Mensch zum Schöpfer wurde. An den Wurzeln der Kultur. Klett-Cotta, Stuttgart. ISBN 3-608-94034-0
  • Niemitz, Carsten (2004): Das Geheimnis des aufrechten Gangs. Unsere Evolution verlief anders. C.H.Beck, München. ISBN 3-406-51606-8
  • Reichholf, Josef H. (1997): Das Rätsel der Menschwerdung. Die Entstehung des Menschen im Wechselspiel der Natur. dtv, München 1997. ISBN 3-423-33006-6
  • Schrenk, Friedemann, Timothy G. Bromage, Henrik Kaessmann (2002): Die Frühzeit des Menschen. Zurück zu den Wurzeln. In: Biologie in unserer Zeit. Verlag Chemie, Weinheim Bd 32, H. 6, S. 352-359. ISSN 0045-205X
  • Schüring, Joachim (2006): Von der anderen Art. In: Abenteuer Archäologie. Kulturen, Menschen, Monumente. Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg 2006, H. 1, S. 32ff. ISSN 1612-9954 (zu Neanderthaler und Homo, Out of Africa und Genanalyse)
  • Shreeve, James (2006): Aus Afrika in die Welt. Was das Erbgut über unsere Herkunft und die Besiedlung der Erde erzählt. in: National Geographic Deutschland. Hamburg 2006,3 (März), S. 38-53.
  • Shreeve, James (2006) Die Suche nach Adam und Eva. Ein einzigartiges Genprojekt gibt Auskunft über unsere frühe Geschichte. in: National Geographic Deutschland. Hamburg 2006,3 (März), S. 54-63.
  • Streit, Bruno (1995) Hrsg.: Evolution des Menschen. - Verständliche Forschung. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg. ISBN 3-86025-267-4
 
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