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Evidenzbasierte MedizinEvidenzbasierte Medizin (EbM, von englisch evidence „Beweis“, „Nachweis“, „Hinweis“; die korrekte Übersetzung wäre „Beweisgestützte Heilkunde“ – siehe auch unter Evidenz) ist jede Form von medizinischer Behandlung, bei der patientenorientierte Entscheidungen ausdrücklich auf Basis von bewiesener Wirksamkeit getroffen werden. Die Beweisfindung erfolgt dabei durch statistische Verfahren. Sie steht damit im Gegensatz zu Behandlungsformen, bei denen kein statistischer Wirksamkeitsnachweis vorliegt. Der Begriff evidence-based medicine wurde Anfang der 90er Jahre von Gordon Guyatt aus der Gruppe um David Sackett an der McMaster University, Hamilton, Kanada, geprägt.[1] Im deutschen Sprachraum wurde über das Konzept erstmals 1995 publiziert.[2] Das Verbinden der Evidenzbasierten Medizin und der täglichen Behandlung und Pflege von Patienten führt zu besseren Ergebnissen für die Patienten.[3] Weiteres empfehlenswertes FachwissenDefinitionenEvidenzbasierte Medizin (EbM)
EbM beruht demnach auf dem aktuellen Stand der klinischen Medizin auf der Grundlage klinischer Studien, die einen Sachverhalt erhärten oder widerlegen (= externe Evidenz). Die EbM beschäftigt sich nicht mit der Durchführung von klinischen Studien selbst, sondern mit der systematischen Nutzung ihrer Ergebnisse. Im JAMA (Journal of American Medical Association) wurde die EbM in 2006 folgendermaßen dargestellt:
Einteilung von Studien/Veröffentlichungen nach EbM-KriterienEine Einteilung nach EbM-Kriterien von Studien/Veröffentlichungen ermöglicht Aussagen über die Evaluierung und über den Evidenzgrad. Nach dem Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) gelten nachfolgende Level im Sinne der EbM:
Diese Einteilung ist wichtig, um den Nutzen und die Risiken von Behandlungen angemessen beurteilen zu können (inklusive Nutzen und Risiken keiner Behandlung).[5] EbM-Prinzipien werden bei der Beurteilung und Einteilung von klinischen Studien verwendet. Sie können aber auch im voraus, d. h. während des Entwurfs von klinischen Studien, hilfreich sein. Gutgeplante und hochwertig durchgeführte randomisierte kontrollierte klinische Studien, die genügend hohe Patientenzahlen aufweisen, erfüllen die Voraussetzungen, um später nach EbM-Kriterien vorteilhaft eingeteilt zu werden. Eine solche Planung beugt einer Unwirtschaftlichkeit von Geld und Ressourcen vor.[6] Praxis der EbM im engeren SinneUnter Praxis der EbM im engeren Sinne versteht man eine Vorgehensweise des medizinischen Handelns, individuelle Patienten auf der Basis der besten zur Verfügung stehenden Daten zu versorgen. Das beinhaltet auch den Verzicht auf Therapie, d. h. zu wissen, wann keine Therapie anzubieten besser für den Patienten ist als, irgendeine Therapie unbedingt anzubieten. Diese Technik umfasst die systematische Suche nach der relevanten Evidenz in der medizinischen Literatur für ein konkretes klinisches Problem, die kritische Beurteilung der Validität der Evidenz nach klinisch-epidemiologischen Gesichtspunkten; die Bewertung der Größe des beobachteten Effekts sowie die Anwendung dieser Evidenz auf den konkreten Patienten mit Hilfe der klinischen Erfahrung und der Vorstellungen der Patienten. Ein verwandter Begriff ist die evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (Evidence-Based Health Care), bei der die Prinzipien der EbM auf alle Bereiche der Gesundheitsversorgung, einschließlich Entscheidungen zur Steuerung des Gesundheitssystems, angewandt werden. GeschichteDie Idee der evidenzbasierten Medizin lässt sich auf das in der zweiten Hälfte des im 18. Jahrhunderts von britischen Ärzten entwickelte Konzept der medical arithmetic zurückführen.[7] Erstmalig findet sich die Bezeichnung in dem 1793 publizierten Artikel An Attempt to Improve the Evidence of Medicine des schottischen Arztes George Fordyce.[8] In Großbritannien wurde eine der ersten kontrollierten klinischen Studien durchgeführt. Schon 1753 veröffentlichte James Lind die Ergebnisse seines Versuchs, Skorbut mit Orangen und Zitronen zu behandeln. Im deutschsprachigen Bereich kommt dem in Wien tätigen, ungarischen Arzt Ignaz Semmelweis (1818–1865) die Erstautorenschaft für die Einführung der „systematischen klinischen Beobachtung“ in die medizinische Forschung zu (1848). Das 1972 erschienene Buch Effectiveness and Efficiency: Random Reflections on Health Services von Professor Archie Cochrane, einem britischen Epidemiologen, markiert den Beginn der aktuellen internationalen Bemühungen um Evidence-based Medicine. Seine weiteren Arbeiten führten zu einer zunehmenden Akzeptanz von klinischer Epidemiologie und kontrollierten Studien. Cochranes Bemühungen wurden dadurch gewürdigt, dass ein internationales Netzwerk zur Wirksamkeitsbewertung in der Medizin die Cochrane Collaboration – nach ihm benannt wurde. Cochrane-LibraryDie Bibliothek der Cochrane Collaboration (die so genannte Cochrane-Library) versammelt systematische Übersichtsarbeiten auf englisch seit 1992 und ist auf fast zweitausend Arbeiten angewachsen. Darüber hinaus enthält sie ein Register mit Zitaten klinischer Studien (ca. 480.000 Einträge), das über die Bestände herkömmlicher Datenbanken (Medline, EMBASE) hinausgeht. Durch ihre elektronische Verbreitung (vierteljährlich aktualisiert im Internet und auf CD-ROM mit einer umfassenden Suchfunktion) hat sie die EbM zu einer allgemein anerkannten Grundlage alltäglicher medizinischer Arbeit gemacht. In der jüngsten Zeit (Stand 2007) wird versucht, die Library multilingual zu machen, indem Artikel auf italienisch, spanisch und chinesisch automatisch oder per Hand regelmäßig übersetzt und andererseits auch in diesen Sprachen alle anderssprachigen Artikel (insbesondere englisch) verfügbar gemacht werden. Die Cochrane Collaboration sieht die Einbeziehung der Patientenmeinung in die Gesundheitsversorgung als grundlegend an. Daher gibt es zu jeder systematischen Übersichtsarbeit eine laienverständliche Kurzzusammenfassung (plain language summary). EbM im deutschsprachigen BereichDie Verbreitung der EbM ist im deutschsprachigen Bereich maßgeblich durch die Institutionalisierung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (DNEbM e. V.) befördert worden. Ziele dieser Fachgesellschaft sind die Weiterentwicklung und Verbreitung von Theorie und Praxis der Evidenzbasierten Medizin. Forderungen der evidenzbasierten MedizinEvidenzbasierte Medizin fordert vom Arzt nicht nur klinische Expertise (das heißt Fachwissen am Krankenbett), sondern auch das Wissen, wie er sich die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung aneignet, wie er sie interpretiert und anwendet. Fachwissen ist ebenso erforderlich in der Gesprächsführung mit dem Patienten, vor allem in der Besprechung möglicher Nutzen und Risiken der verschiedenen Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten. Angestrebt werden sollte eine informierte Einwilligung. Außerdem ist eine Kenntnis der eigenen Wirkung auf den Patienten gefragt und auch ein Bewusstsein darüber, welche Sorte Patient die schwachen Seiten des Arztes zum Vorschein bringt. Allerdings ist evidenzbasierte Medizin keine Einbahnstraße: Vom aufgeklärten und mündigen Patienten darf ebenfalls gefordert werden, sich den gegebenen Erkenntnissen der Medizin nicht zu verschließen. Der Nutzen der evidenzbasierten MedizinDas gesamte medizinische Wissen verdoppelt sich derzeit alle fünf Jahre, wobei einzelne Fachgebiete eine sehr viel stärkere Dynamik aufweisen. Bei der Fülle des be- und entstehenden Wissens ist der einzelne Arzt zunehmend überfordert, das für ihn Bedeutende zu bestimmen. EbM setzt sich das Ziel, die Qualität der veröffentlichten medizinischen Daten zu bewerten und damit auch zu verbessern. Damit dient EbM dem Patienten, dem einzelnen Arzt, der einzelnen Forschungseinrichtung und der Gesundheitspolitik. Allerdings ist die EbM selbst noch eine junge Wissenschaft, die sich ebenfalls weiter entwickelt. Gerd Gigerenzer befürwortet ein Umdenken von lokalen Traditionen der Krankenbehandlung zu den gesicherten statistischen Fakten der EbM. Für ihn ist schon die Begriffsbildung bezeichnend, da informierte Entscheidungen immer noch eher ein Ideal als die Realität darstellen: man kann sich kaum Naturwissenschaftler vorstellen, die etwa Werbung für evidenzbasierte Physik machen müssen. Der Streit zwischen traditioneller und evidenzbasierter Medizin ähnelt dem Konflikt zwischen Corpuslinguistik und traditioneller Linguistik. Auch dort haben computergestützte Methoden den empirischen Nachweis von vorher eher glaubensbasierten Erkenntnissen leichter gemacht. Grenzen der evidenzbasierten MedizinZu wenig Evidenz: In der Pädiatrie ist EbM nicht so weit fortgeschritten wie z. B. in der Onkologie und Kardiologie. Der Hauptgrund dafür ist, dass große randomisierte kontrollierte klinische Studien in der Pädiatrie nicht sehr häufig durchgeführt werden bzw. an sich schwer durchzuführen sind. Dadurch ist nicht so viel Evidenz vorhanden wie es wünschenswert wäre.[9][10] Diese Aussage trifft aber nicht für alle Bereiche der Pädiatrie zu, z. B. nicht für die pädiatrische Hämato-Onkologie.[11] Zu enge Auslegung: Es gibt Sachverhalte, die seit langem und vollkommen geklärt sind, für die aber im Sinne der EBM keine ausreichende Evidenz vorliegt. Als Beispiel zur Illustration mag dienen, dass die sogenannte Vipeholm-Studie[12] die erste und letzte prospektive Untersuchung zur Verursachung der Karies durch Zucker war. Auch z. B. der Durchbruch der Ciclosporin-Behandlung in der Immunsuppression nach Organtransplantation erfolgte so rapide, dass es nur relativ wenige Untersuchungen hoher Evidenzstufen zum Vergleich mit dem vorher etablierten Schema (Cortison&Azathioprin) gibt. Bei einer hohen Eindeutigkeit von Ergebnissen verbieten sich weitere prospektive randomisierte Vergleichsstudien schon aus ethischen Gründen; die Tatsache, dass es zu einer Frage wenig belastbare Evidenz gibt, darf daher nicht so interpretiert werden, dass diese negativ zu beantworten sei. Nicht konsequente Anwendung: Es kommt auch vor, dass EbM in Bereichen der Medizin bzw. in Ländern, wo sie eigentlich weitgehend akzeptiert ist, in der Praxis nicht konsequent durchgeführt wird.[13] Kritiker/Gegner der EbM: In anderen Bereichen der Medizin scheinen zumindest einige Ärzte sich gegen EbM zu wehren.[14] Kritik an der evidenzbasierten MedizinDie wesentlichen Argumente der Kritiker sind folgende:
Bei allen vorhandenen Problemen hat sich die evidenzbasierte Medizin in folgendem Punkt als erfolgreich bewiesen: Äußerungen medizinischer „Experten“ sind mehr als bisher hinterfragbar geworden (eminenzbasierte Medizin). Ein Mindestmaß an überprüfbaren Belegen reicht nicht mehr aus, eine zunehmend skeptische Kollegenschaft zu beeindrucken. Behauptungen müssen durch Argumente ersetzt werden, die die einschlägige medizinische Literatur untermauern muss. Medizinisches Wissen ist mehr als bisher hinterfragbar geworden. Lernen der evidenzbasierten MedizinEbM kann man lernen. Neben mehreren guten Lehrbüchern gibt es eine kostenlose Serie von Publikationen, die jedermann zugänglich sind. Die Serie stammt von der Kanadischen Medizinischen Gesellschaft.[16][17][18][19][20][21] Lehren der evidenzbasierten MedizinEbM wird in vielen Universitäten nur theoretisch gelehrt, obwohl bekannt ist, dass praktische Kurse (Vorführen von EbM-Recherchen und das praktische Anwenden von EbM bei individuellen Patienten) zu besseren Lehrergebnissen führen würden.[22] Quellen
Literatur
Einzelnachweise
Siehe auch
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Evidenzbasierte_Medizin aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |