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Eugenik




Eugenik (von altgriech. eu „gut“ und genos „Geschlecht“), Eugenetik oder Rassenhygiene ist die historische Bezeichnung für die Anwendung der Erkenntnisse der Humangenetik auf Bevölkerungen. Der Begriff „Eugenik“ wurde 1883 vom britischen Anthropologen Francis Galton (1822-1911), einem Vetter ersten Grades von Charles Darwin, geprägt. Galton verstand unter Eugenik eine Wissenschaft, deren Ziel es ist, durch gute Zucht den Anteil positiv bewerteter Gene zu vergrößern. Im deutschsprachigen Raum war bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges der von Alfred Ploetz geprägte Begriff Rassenhygiene als deutscher Begriff für Eugenik vorherrschend.

Durch Begünstigen der Fortpflanzung Gesunder, durch frühen Eheschluss und die Unterstützung hoher Kinderzahlen einerseits, durch das Verhindern der Fortpflanzung Kranker durch Empfängnisverhütung und Zwangssterilisation andererseits sollten die Erbanlagen in der Bevölkerung langfristig verbessert und erblich bedingte Krankheiten vermindert werden.

Das Konzept der Eugenik beruhte auf frühen humangenetischen Entdeckungen und sozialdarwinistischen Überlegungen; soziale Faktoren und kulturelle Traditionen wurden demgegenüber als sekundär betrachtet.

Als Gegenteil von Eugenik wurde Anfang des 20. Jahrhunderts der Begriff Dysgenik geprägt, der auf eine „Schwächung des genetischen Potentials“ abhebt.

Inhaltsverzeichnis

Grundlagen

Sozialdarwinismus

Sozialdarwinismus überträgt zentrale Begriffe wie struggle for life - auf Deutsch oft mit „Kampf ums Dasein" übersetzt - aus der von Charles Darwin entworfenen biologischen Evolutionstheorie auf die menschliche Gesellschaft. Darwin selbst lehnte diese Übertragung seit 1880 ausdrücklich ab; seine durch die moderne Soziobiologie erweiterte Theorie stützt – im Gegenteil – die Herausbildung menschlicher Eigenschaften wie die des Altruismus.

Das Konzept des Sozialdarwinismus geht zurück auf Herbert Spencer. Dieser prägte den – oft irrtümlich Darwin zugeschriebenen – Begriff survival of the fittest („Überleben der am besten Geeigneten/Angepassten"). Die rassenhygienische Konsequenz war der Gedanke, dass die natürliche Auslese durch moderne Medizin und Sozialfürsorge behindert werde und es zu einer „Gegenauslese“ komme. So äußerte sich Wilhelm Schallmayer folgendermaßen:

„Die therapeutische Medizin leistet für die Hebung der Volksgesundheit ungefähr das, was die Armenpflege zur Hebung des Volkswohlstandes leistet. Beide tragen zur Vermehrung der Hilfsbedürftigen bei. Aus dem Fortschritt der Medizin [...] ist für die Zukunft der Menschen kein Heil zu erhoffen.“

Degenerationstheorien und Züchtungsutopie

Die klassische Degenerationstheorie von Benedict Augustin Morel besagt, dass eine so genannte „Entartung“ sich im Erbgang verschlimmere, schließlich zur Unfruchtbarkeit und damit zum Aussterben der „entarteten Sippe“ führe. Etliche Eugeniker und Rassenhygieniker gingen hingegen davon aus, dass „Entartete“ sich überdurchschnittlich fortpflanzten. Daraus folgerten sie, dass man durch Reduzierung ihrer Nachkommenschaft die Möglichkeit eröffne, eine „hochbegabte Menschenrasse zu züchten“, wie es bereits 1869 vom britischen Eugeniker Francis Galton formuliert wurde. Ein empirischer Nachweis der angeblichen Degeneration wurde von den Eugenikern allerdings nicht erbracht.

Vertreter der Vorstellung einer angeblich besonders edlen „Nordischen Rasse“ forderten, dieses Gedankengut in den Dienst der Verbreitung der „nordischen“ oder „arischen Rasse“ zu stellen. Vorangetrieben wurde die Idee eines nordischen „Übermenschen“ von Graf Arthur Gobineau und Houston Stewart Chamberlain. Während Gobineau von einer vollkommenen „Urrasse“, nämlich der „nordischen“, „arischen“ oder germanischen ausging, sah Chamberlain in diesem Rassentypus das „Zuchtziel“ einer zu züchtenden Idealrasse. Auch Alfred Ploetz und ein Großteil der deutschen Rassenhygieniker schrieben der „nordischen Rasse“ einen besonderen Wert zu und standen den Rassentheorien politisch nahe.

Entwertung des Menschen, beziehungsweise des Individuums

Durch Darwins Evolutionslehre war die Vorrangstellung des Menschen in der Welt in Frage gestellt worden.
Der Begriff der „Menschenökonomie“ war bereits Anfang des Jahrhunderts aufgekommen. Es wurde die Frage nach dem Nutzen und den Kosten des Einzelnen für die Gesellschaft gestellt. „Was kosten die schlechten Rassenelemente den Staat und die Gesellschaft?“, fragte 1911 ein Preisausschreiben.

Aufgrund der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges wuchs nach 1918, vor allem als Folge der deutschen Niederlage und der deutschen Verluste, aber auch wegen der starken Altersverschiebung – Abnahme der jungen, Zunahme der älteren Menschen –, das Bestreben, sich von den sogenannten Leistungsschwachen zu befreien. Eine kriegsbedingte Verrohung ließ Gedanken aufkommen über die Unverhältnismäßigkeit zwischen den vielen Toten an der Front und den vielen Kranken und Behinderten, die zu Hause kosten- und zeitintensiv gepflegt werden mussten. Menschen waren im Krieg zu Material zur Verteidigung des Vaterlandes geworden, nun sollte das Wohl des Individuums vor dem Wohl der „Rasse“ zurückstehen.

Durch die Finanzkrise des Gesundheitswesens 1928 / 1929 wurden die Diskussion um den Wert des Menschen und auch die Euthanasiedebatte weiter angeheizt.

Euthanasiedebatte

Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes Euthanasie im Griechischen, „schöner Tod“, erfuhr im frühen 20. Jahrhundert einen Bedeutungswandel (siehe: Geschichte der Euthanasie). Schon vor 1933 wurde der Begriff mit der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ in Zusammenhang gebracht. Im Konversationslexikon von 1920 findet sich zum Beispiel unter dem Lemma Euthanasie die Bedeutung „schmerzloses Töten“.

Ebenfalls im Jahr 1920 erschien die Schrift Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens von Karl Binding und Alfred Hoche, die über medizinische Fachkreise hinaus eine starke Wirkung auch auf Juristen und eine interessierte Öffentlichkeit ausübte. Und bereits 1929 erklärte Hitler auf dem Reichsparteitag in Nürnberg:

„[...] würde Deutschland jährlich eine Million Kinder bekommen und 700.000 bis 800.000 der Schwächsten beseitigt, dann würde am Ende das Ergebnis vielleicht sogar eine Kräftesteigerung sein.“

Ausrichtungen der Eugenik/Rassenhygiene

Die Summe dieser Ideen wurde zur Eugenik. Die Rassenhygieniker bilden dabei keine homogene Gruppe – neben Vertretern der negativen Eugenik („Ausmerze“), gab es auch solche der positiven („Auslese“), wobei jedoch im Verlauf der Debatte das negative Element, also Eugenik durch Sterilisation, Abtreibung und Tötung von Menschen, sich immer stärker durchsetzte. Die damals maßgebenden Eugeniker vertraten sowohl negative Eugenik als auch positive, wie z. B. Förderung kinderreicher Familien. Gemein war den Rassenhygienikern der darwinistische Gedanke einer natürlichen Auslese, wobei einige der Meinung waren, in diesen Prozess dürfe im Sinne des laissez-faire-Prinzips nicht eingegriffen werden, andere wiederum glaubten, das Eingreifen im sozialen und medizinischen Sinne sei Aufgabe und Sinn der Zivilisation, und die ausschlaggebende Meinung endlich besagte, man müsse zum Beispiel durch Asylierung und/oder Sterilisierung den natürlichen Prozess unterstützen. Dagegen wurde im Baur-Fischer-Lenz, dem damals maßgebenden Lehrbuch der Eugenik (=Rassenhygiene) die Euthanasie als eugenische Maßnahme abgelehnt und nur aus Gründen der Humanität in Erwägung gezogen. „Erbuntüchtige“ Menschen konnten Behinderte und Kranke, Alkoholiker, „moralisch nicht einwandfreie“ Menschen, wie etwa Mütter unehelicher Kinder, Minderbegabte oder einfach sozial Schwache sein. Zunehmend verbreitet in der rassenhygienischen Diskussion war auch der Gedanke einer besonders wertvollen „nordischen Rasse“, hier mischten sich rassistisches Gedankengut und Eugenik: „Fremdrassige“ wurden als Bedrohung für die Reinheit des eigenen, rein rassisch definierten Volkes gesehen.

Die Eugenik selbst verstand sich als Gesellschaftswissenschaft auf naturwissenschaftlicher Basis, und wurde als solche auch von den Zeitgenossen aufgenommen. Während anfangs die rassenhygienischen Ideen in kleinen elitären Zirkeln kursierten, erreichten sie nach dem Ersten Weltkrieg ein breites Publikum und breite Akzeptanz.

Politisch lässt sich die Eugenik zumindest in ihren Anfängen keinem Lager zuordnen. Auch Sozialdemokraten waren durchaus offen für das progressive Moment der Eugenik, ebenso wurden Maßnahmen im Sinne der Eugenik von den Kirchen unterstützt. Zunehmend rückte die Eugenik jedoch in Richtung konservative Rechte, auch weil die „Entartung der Gesellschaft“ unter anderem sozialen Einrichtungen, wie der staatlichen Wohlfahrt oder der Sozialversicherungsgesetzgebung, zugesprochen wurde. Die Bekämpfung der Tuberkulose als einer typischen „Proletarierkrankheit“ wurde von der Eugenik als „staatssozialistischer Irrweg“ bezeichnet.

Die Forderungen der Rassenhygieniker an die Politik reichten von der Asylierung "erbuntüchtiger" Menschen, über Abtreibung und Sterilisation bis hin zur Euthanasie, wobei vor dem Ersten Weltkrieg das Konzept der Asylierung die Vorstellung einer „ausmerzenden Erbpflege“ prägte, während in den Jahren zwischen den Kriegen das Sterilisierungskonzept in den Mittelpunkt rückte. Die Befürworter der Kindstötung als erbpflegerische Maßnahme bildeten eine Minderheit. Die Forderung nach einer Freigabe der „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, also der Euthanasie an unheilbar Kranken, wurde dagegen seit 1920 von vielen Rassenhygienikern gestellt und zum rassenhygienischen Paradigma.

Geschichte

Spätes 19. und frühes 20. Jahrhundert

Bells Untersuchungen an Taubstummen

Einer der frühesten Propagandisten der Eugenik war Alexander Graham Bell, der gemeinhin als Erfinder des Telefons gilt. Bell erforschte zwischen 1882 und 1892 die Häufung von Taubheit auf der Insel Martha’s Vineyard nahe Boston, USA. Aus seinen Untersuchungen zog er - in Unkenntnis der nur wenige Jahre früher von Gregor Mendel formulierten Vererbungsgesetze - Schlüsse, die heute als falsch angesehen werden. Er empfahl in der Monographie „Memoir upon the Formation of a Deaf Variety of the Human Race“ ein Eheverbot unter „Taubstummen“, die eugenische Kontrolle von USA-Immigranten und warnte vor Internaten an den „Taubstummen“-Schulen als mögliche Brutstätten einer tauben Menschenrasse. Spätere Arbeiten von Eugenikern und Rassenhygienikern stützten sich bis weit in das 20. Jahrhundert ungeprüft auf Bells Angaben. Als Folge wurden zahlreiche taube Menschen ohne ihr Wissen und ohne ihr Einverständnis sterilisiert. Dabei soll Bell durchaus die methodischen Schwächen seiner Untersuchungen gekannt haben.

Eugenikgesetze in den USA

1896 wurde im Bundesstaat Connecticut, USA, ein Gesetz erlassen, das „Epileptikern, Schwachsinnigen und Geistesschwachen“ die Heirat verbot. Später wurde dieses Verbot mit Zwangssterilisationen verbunden. Schätzungen zufolge sind in den USA über 100.000 Menschen im Rahmen dieses Programms sterilisiert worden. Dabei handelte es sich nicht immer um einen offenen Zwang, häufig wurden die Menschen im Unklaren über die Folgen des Eingriffs gelassen.

1903 beschloss die American Breeders Association (Vereinigung der amerikanischen Rinderzüchter), einen Ausschuss einzurichten, das so genannte Eugenik-Komitee. Dieses Komitee kam zu dem Schluss, dass mindestens 10 Millionen Menschen, rund 10 % der damaligen Bevölkerung der USA, an der Fortpflanzung gehindert werden sollten.

1907 wurde das erste Gesetz, das die Zwangssterilisation aus eugenischen Gründen erlaubte, in Indiana erlassen - weitere 32 US-Bundesstaaten folgten mit ähnlichen Gesetzen. Insgesamt waren rund 60.000 Menschen in den USA von diesem Vorgehen betroffen. Als besonders sterilisationsfreudig erwies sich der Staat Kalifornien, schon damals ein Zentrum der US-Forschung und privaten Forschungsförderung.

1920 veröffentlichen Karl Binding und Alfred Hoche den Bestseller „Die Freigabe der Vernichtung unwerten Lebens.“ Die von Karl Binding aufgeworfene Frage, ob Menschen ihren Wert verlieren könnten, bejaht Alfred Hoche. „Unheilbarer Blödsinn“ stehe im Vordergrund seines Interesses als Psychiater. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung stand die wirtschaftliche und moralische „Belastung“ kranker Menschen.

1921 fand der zweite internationale Eugenik-Kongress unter der Schirmherrschaft des American Museum of Natural History in New York statt. Honorarpräsident war Alexander Graham Bell, der auch mit den Organisatoren das Ziel verfolgte, Gesetze zur Verhinderung der Ausweitung von „defekten Rassen“ einzuführen.

Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden die Einreisebestimmungen in die USA dermaßen verschärft, dass dieser Immigration Act verhinderte, dass vor den Nazis flüchtende Juden in den USA Einlass finden konnten.

Der Eugenikerbund Eugenics Record Office (ERO) hatte zahlreiche Mitglieder. Viele von ihnen waren in Deutschland bekannt und hochgeachtet, wie z. B. der Leiter Harry Laughlin, der in Deutschland Ehrendoktor wurde. Der wohl bekannteste Eugeniker war Lothrop Stoddard, der Adolf Hitler sogar persönlich kennengelernt hat und dessen Rassenwahn unterstützte. Ein weiterer einflussreicher Eugeniker war Charles Davenport.

Eugenik in Europa

Auch in Europa fanden die Thesen der Eugenik-Befürworter Anklang, namentlich in fortgeschrittenen Industriestaaten mit mehrheitlich protestantischer Bevölkerung. Bereits um 1910 existierten in solchen Ländern – darunter auch Deutschland – nationale Eugenik-Vereinigungen; in Deutschland nannte sich diese Gesellschaft für Rassenhygiene. Bis 1918 wurde sie von „völkischen Rassenhygienikern“ wie Alfred Ploetz dominiert, nach 1922 übernahmen gemäßigte Wissenschaftler wie Hermann Muckermann die Führung, bevor 1933 NS-nahe Rassenhygieniker wie Ernst Rüdin das Wort führten.

Da Siedlungen zur Züchtung „hochwertiger“ Nachkommen („positive Eugenik“), zu denen insbesondere Willibald Hentschel, der Vordenker der Artamanen-Bewegung, aufrief, allein schon an der geringen Zahl der Beteiligten scheiterten, konzentrierten sich die Eugenik-Lobbyisten überall primär auf die Verhinderung angeblich „minderwertiger“ Nachkommen (negative Eugenik). Bei der Bestimmung der Träger „minderwertiger Erbanlagen“ spielten allerdings häufig traditionelle soziale Vorurteile eine entscheidende Rolle.

Angestachelt durch US-amerikanische Vorbilder wurden auch in Europa eugenische Sterilisationspolitiken entwickelt. Die ersten eugenisch oder „rassenhygienisch“ begründeten Zwangssterilisationen und Zwangskastrationen in Europa fanden in der Schweiz statt, die allerersten an Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Klinik Burghölzli in Zürich unter deren Direktor Auguste Forel um 1890 sowie unter dessen Nachfolgern Eugen Bleuler, Hans Wolfgang Mayer und Manfred Bleuler. Auch in anderen schweizerischen psychiatrischen Kliniken wie Wil im Kanton St. Gallen, später auch in vielen Spitälern diverser Kantone, wurden in der Schweiz im 20. Jahrhundert, bis in die 1980er Jahre hinein, Tausende von angeblich „erblich Minderwertigen“ zwangssterilisiert, größtenteils Frauen. Eine kleinere Anzahl von Frauen und Männern wurde zwangskastriert. Seit 1920 wurden in der Schweiz auch Sterilisationen und Kastrationen mittels Röntgenbestrahlung in hoher Dosis durchgeführt. In der Schweiz wurde im Kanton Waadt im Jahr 1929 das erste Gesetz zur eugenischen Zwangssterilisation in Europa erlassen; es wurde erst 1985 aufgehoben. Es folgte - ebenfalls 1929 - Dänemark mit einem entsprechenden Gesetz, 1934/35 Schweden, Norwegen, Finnland, 1937/38 auch von Island und Lettland. Fast alle diese Staaten waren damals demokratisch – oft sozialdemokratisch – regiert.

Etwa seit der Jahrhundertwende war die Eugenik – z. T. auch unter dem oftmals parallel verwendeten Begriff der „Rassenhygiene“ – auch in Deutschland ideell und organisatorisch vertreten. Wie in anderen Ländern hatte diese Eugenik zahlreiche politische Schattierungen. In der Weimarer Republik dominierten eine „sozialistische Eugenik“ der SPD und eine „katholische Eugenik“ der Zentrums-Partei. Zugleich organisierte sich eine „völkische Rassenhygiene“, die noch vor 1933 mit der NSDAP zusammenging, aber bis zur NS-„Gleichschaltung“ der deutschen Eugenik in der Minderheit blieb.

Die politische Akzeptanz der Eugenik blieb bis 1933 in Deutschland sehr begrenzt: 1920 beschloss die deutsche Nationalversammlung die Einführung eines eugenischen Merkblattes mit Warnungen vor evtl. erbkrankem Nachwuchs durch Standesbeamte im Vorfeld jeder Eheschließung, lehnte jedoch mögliche Eheverbote gegen angeblich „Minderwertige“ strikt ab. Sterilisationsgesetze wurden von verschiedenen Parteien – am konsequentesten von der SPD – immer wieder diskutiert, aber auch der Entwurf eines Gesetzes zur freiwilligen eugenisch begründeten Sterilisation durch den Preußischen Landesgesundheitsrat (1932) trat niemals in Kraft. In Deutschland fielen dennoch seit 1937 u.a. Tausende von „Rheinlandbastarden“ der zwangsweisen Sterilisation zum Opfer, auch damals nicht vom Gesetz gedeckt. Allerdings kam zu den Beweggründen für dieses Verbrechen neben impliziten dysgenischen Erwägungen auch der Wunsch, die „Schande“ der Mischlingskinder zu beseitigen.

In der Schweiz waren neben dem Psychiater Auguste Forel (1848 - 1931) auch dessen Nachfolger Eugen Bleuler, Hans Wolfgang Maier und Manfred Bleuler an der Spitze der psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli in Zürich wichtige Propagandisten und – zusammen mit verschiedenen Chirurgen und Gynäkologen sowie andern schweizerischen Psychiatern – treibende Kraft der Eugenik in der Schweiz. In diesem Kontext ist auch das sogenannte „Hilfswerk“ der 1912 in Zürich gegründeten Pro Juventute für die „Kinder der Landstraße“ zu sehen, welches ein Programm zur Zerstörung der fahrenden Lebensweise der Jenischen war und von 1926 bis 1973 betrieben wurde. Die theoretischen Grundlagen dazu hatte der Graubündner Psychiater Josef Jörger mit seinen „psychiatrischen Familiengeschichten“ jenischer Mitbürger gemacht, worin er diese als erblich minderwertig hinstellte.

Ausgewählte deutsche Vordenker und Vertreter der Eugenik/Rassenhygiene in Deutschland

Ernst Haeckel (1834-1919)

Ein wichtiger Vordenker der Eugenik ist der Zoologe Ernst Haeckel. Er vertrat die Meinung, dass „die Völkergeschichte [...] größtenteils durch natürliche Züchtung erklärbar [sei], es daneben aber auch die künstliche Züchtung“ gebe. Als Beispiel nennt er die Spartaner, die schwächliche, kranke oder missgebildete Neugeborene töteten: „Gewiss verdankt das Volk von Sparta dieser künstlichen Auslese oder Züchtung zum großen Teil seinen seltenen Grad an männlicher Kraft und rauer Heldentugend.“ Dieser Vergleich sollte später von den Rassenhygienikern und auch von Hitler aufgegriffen werden. Haeckel war Mitinitiator und Gutachter des Kruppschen Preisausschreibens.

Alfred Ploetz (1860-1940)

Der Arzt Alfred Ploetz ist der Schöpfer des Begriffes „Rassenhygiene“. Er entwarf in seinem Buch Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen (1895) das Bild einer Gesellschaft, in der die rassenhygienischen Ideen zur Anwendung kommen – Prüfungen der moralischen und intellektuellen Fähigkeiten entscheiden über Heiratsmöglichkeiten und die erlaubte Kinderzahl und können auch ein Verbot der Fortpflanzung nach sich ziehen. Unerlaubt gezeugte Kinder werden abgetrieben, Kranke und Schwache, Zwillinge und Kinder, deren Eltern nach Ploetz' Ansicht zu alt oder jung sind, werden „ausgemerzt“. Ob Ploetz dies als Warnung beschreibt oder als gewünschten Zustand, ist nicht eindeutig. Bereits bei Ploetz wird der „nordischen Rasse“ ein besonderer Stellenwert eingeräumt.

Alfred Erich Hoche (1865-1934) und Karl Binding (1841-1920)

Der Freiburger Psychiater Alfred Hoche veröffentlichte gemeinsam mit dem Strafrechtler Karl Binding im Jahr 1920 die Schrift Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens, in der sich bereits viele spätere NS-Begriffe wie „Ballastexistenzen“, „geistig Tote“ und so weiter fanden. Ausschlaggebend für die Argumentation der beiden Autoren waren in erster Linie wirtschaftliche Gründe: Das Deutsche Reich könne es sich nicht mehr leisten, „Lebensunwerte“ durchzufüttern. Besonders Hoche wurde von den Nationalsozialisten als verdienter Vorkämpfer der Euthanasie geschätzt. Zwar lehnte er die Tötung von Kranken, bei denen noch Hoffnung auf Heilung besteht, ab, „aber wir werden vielleicht eines Tages zu der Auffassung heranreifen, dass die Beseitigung der geistig völlig Toten kein Verbrechen, keine unmoralische Handlung, keine gefühlsmäßige Rohheit, sondern einen erlaubten nützlichen Akt darstellt."

Ferdinand Adalbert Kehrer (1883-1966)

Seit 1925 leitetete Ferdinand Adalbert Kehrer die Nervenklinik in Münster und war in der Zeit des "Dritten Reiches" unter anderem als Beisitzer am Erbgesundheitsobergericht (EOG) Hamm tätig. Er wirkte ab 1934 auf dreifache Weise an Zwangssterilisationen mit: "zum einen als sachverständiger Arzt am EOG, zum zweiten als beantragender Arzt gemäß § 3 Abs. 2 GzVeN, zum dritten als Operateur."[1] Außerdem leitete er "in seiner Klinik die Narkosen ein, die Sterilisationen erfolgten anschließend in der nur wenige Meter entfernten Universitätschirurgie."[2]

Fritz Lenz (1887-1976)

Fritz Lenz war der erste Inhaber eines Lehrstuhls für Rassenhygiene und trat offen für die negative Eugenik in Form von Abtreibung und Sterilisation ein. Gemeinsam mit Erwin Baur und Eugen Fischer schrieb er ab 1921 das zweibändige Werk Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene, in späteren Auflagen Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene. Die letzte Auflage des ersten bzw. zweiten Bandes erschien 1936 bzw. 1931. Nach 1945 war Fritz Lenz Professor für Humangenetik in Göttingen.

Alfred Grotjahn (1869-1931)

Alfred Grotjahn war Mitglied der SPD. Er gilt als Begründer der Sozialhygiene in Deutschland. Er hielt die Sterilisierung von 30 Prozent der deutschen Bevölkerung zur Verminderung minderwertigen Erbgutes für sinnvoll und war damit der radikalste Eugeniker der Weimarer Republik.

Karl Wilhelm Jötten (1886-1958)

Vor, während und nach dem Dritten Reich war Karl Wilhelm Jötten Direktor des Instituts für Hygiene an der medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Zusammen mit einem Kollegen hatte der Professor erbhygienische Untersuchungen an über 4300 Hilfsschulkindern durchgeführt. Die Kinder im Alter zwischen 7 und 15 Jahren wurden gezählt, gewogen, vermessen und getestet.[3] Nach dem Ende des Krieges durfte er weiter an der Uni Münster forschen, bis er 1955 emeritiert wurde. Für seine wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der Gewerbehygiene erhielt er sogar das Bundesverdienstkreuz. Die Deutsche Akademie für Naturforscher zeichnete ihn mit der Cothenius-Medaille aus und es wurde sogar eine Straße nach ihm benannt. Die Universität Münster hat nach kritischen Presseveröffentlichungen im Mai 2007 angekündigt, die Rolle Jöttens zur Zeit des Dritten Reiches durch eine Kommission untersuchen zu lassen. Zwar lassen eine Vielzahl von am Hygienischen Institut der Universität Münster während der NS-Zeit eingereichten ns-rassenhygienischen Dissertationsvorhaben auf eine Nähe Jöttens zur NS-Rassenhygiene schließen, wissenschaftliche Beweise für diese Vermutungen stehen bislang jedoch noch aus.

Politische Implementierung der Eugenik/Rassenhygiene vor 1933

Europa und USA

Inzwischen waren auch in Schweden, England und den USA Gesellschaften zur Förderung der Eugenik entstanden und 1908 hatte Francis Galton die internationale Gesellschaft „Eugenics Education Society“ ins Leben gerufen, deren deutscher Vertreter Ploetz war.

Einer der frühesten Propagandisten der Eugenik beim Menschen war Alexander Graham Bell, gemeinhin bekannter als angeblicher erster Erfinder des Telefons. Dieser erforschte zwischen 1882 und 1892 die Häufung von Taubheit auf der Insel Martha’s Vineyard nahe Boston, USA. Aus seinen Untersuchungen zog Bell Schlüsse, die heutzutage als falsch angesehen werden. Er empfahl in der Monographie „Memoir upon the Formation of a Deaf Variety of the Human Race“ ein Eheverbot unter tauben Menschen, die eugenische Kontrolle von Immigranten in die USA und warnte vor Internaten an den Taubstummenschulen als möglichen Brutstätten einer tauben Menschenrasse. Spätere Arbeiten von Rassenhygienikern stützten sich bis weit in das 20. Jahrhundert ungeprüft auf Bells Angaben. Als Folge wurden zahlreiche taube Personen ohne ihr Wissen und ohne ihr Einverständnis sterilisiert. Dabei soll Bell durchaus die methodischen Schwächen seiner Untersuchungen gekannt haben.

Bell war Honorarpräsident des zweiten internationalen Eugenikkongresses unter der Schirmherrschaft des American Museum of Natural History 1921 in New York. Er arbeitete mit Organisationen zusammen mit dem Ziel, Gesetze zur Verhinderung der Ausweitung von „defekten Rassen“ einzuführen.

Eugenik/Rassenhygiene in Deutschland bis 1918

Den Anstoß der rassenhygienischen Diskussion in Deutschland gab vermutlich ein Preisausschreiben von 1900, das vom Industriellen Friedrich Alfred Krupp ausging. Darin wurden Aufsätze zur Beantwortung der Frage „Was lernen wir aus den Prinzipien der Deszendenztheorie in Beziehung auf die innenpolitische Entwicklung und Gesetzgebung des Staates?“ angefordert. Wilhelm Schallmayer reichte seine bislang erfolglose Schrift Über die drohende körperliche Entartung der Kulturmenschheit und die Verstaatlichung des ärztlichen Standes ein und gewann. Durch das Preisausschreiben kamen verschiedene Eugeniker miteinander in Kontakt, die wissenschaftliche Öffentlichkeit nahm Notiz, es kam zu einem Publikationsschub.

1905 wurde in Berlin die europaweit erste Gesellschaft für Rassenhygiene unter anderem von Alfred Ploetz gegründet. 1910 wurde sie in „Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene“ umbenannt.

Durch weitere Preisausschreiben, öffentliche Vorträge und das Auftreten auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden 1911 gewann die Idee der Eugenik das Interesse der Öffentlichkeit und Einfluss auf andere wissenschaftliche Bereiche, wie etwa die Medizin und Kriminologie. 191] wurde die „Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene“ in die medizinische Hauptgruppe der „Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte“ aufgenommen.

Eugenik/Rassenhygiene in Deutschland ab 1918

Durch das im Ersten Weltkrieg geweckte Interesse für Bevölkerungspolitik hielt die Eugenik nun auch Einzug in staatliche Institutionen. Im wirtschaftlichen Niedergang der frühen zwanziger Jahre und bei steil ansteigenden Sozialausgaben wurde in einer zumindest staatlicherseits weniger religiös geprägten Gesellschaft mit der Volksgesundheit auch der Umgang mit unheilbarer Krankheit öffentlich erörtert. Eine Mehrzahl der zeitgenössischen Ärzte stellten sich jedoch gegen Bindings und Hoches Forderung nach der Freigabe "lebensunwerten" Lebens, da es nur eine Frage der Zeit sei, bis der Staat schließlich alle "unnützen Esser" durch den "ärztlichen Henker" umbringen werde.[4]

1923 wurde mit Fritz Lenz' Berufung an die Universität München erstmals ein Lehrstuhl für Rassenhygiene besetzt. Immer mehr mischten Rassenhygieniker nun auch beratend in der Politik mit, so wurde zum Beispiel 1929 ein „Reichsausschuss für Bevölkerungsfragen“ gegründet.

Die Mitglieder der Gesellschaft für Rassenhygiene Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz veröffentlichen ab 1921 das Grundlagenwerk: Grundriss der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene, in späteren Auflagen Menschliche Erblehre und Rassenhygiene.

1925 hatte die „Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene“ Konkurrenz bekommen, der „Deutsche Bund für Volksaufartung und Erbkunde“ trat aufs Parkett. Seine Zielsetzung war, die Eugenik „in ganz populärer, für jedermann verständlicher Form [zu] pflegen und verbreiten“. Zunehmend kamen in den Gesellschaften auch Ideen eines „Nordischen Übermenschen“ zum tragen und der „Berliner Gesellschaft“ wurde vorgeworfen, sie sei von Juden unterwandert. Zwar konnte sich 1929 bei den Wahlen zum Vorstand der „Gesellschaft für Rassenhygiene“ die gemäßigte Linie durchsetzen, man vereinigte sich mit dem „Bund für Volksaufartung“ und wollte mit der Umbenennung in „Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene (Eugenik)“ auch die rassistische Komponente eliminieren, doch nach der sogenannten „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wurde die Führung ausgetauscht und die Prioritäten neu definiert.

Eugenik/Rassenhygiene im Dritten Reich

siehe Hauptartikel Nationalsozialistische Rassenhygiene

Nach der Machtübernahme Hitlers wurde ein eugenisches Sterilisationsgesetz als wichtiger Teil der nationalsozialistischen Ideologie bereits im Juli 1933 eingeführt („Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“): Im Unterschied zu früheren Entwürfen sah es auch Zwangssterilisation vor, schrieb vergleichsweise großen Bevölkerungsgruppen erbliche Minderwertigkeit zu und führte - im internationalen Vergleich ohne Beispiel - in den wenigen Jahren bis 1939 tatsächlich zur Unfruchtbarmachung von etwa 300.000 Menschen, die bis 1945 um weitere 60.000 stieg. Ein Teil der Betroffenen ist auch an den Folgen der Sterilisationsoperation verstorben. Zum Vergleich: In den USA wurden zwischen 1907 und 1939 etwa 31.000 Menschen sterilisiert, in Schweden zwischen 1934 und 1948 etwa 12.000.

Das Gesetz ermöglichte eine zielgerichtete Sterilisation bei verschiedenen Erkrankungen, für die man genetische Ursachen vermutete, nämlich bei „angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem (manisch-depressivem) Irresein, erblicher Fallsucht, erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), erblicher Blindheit, erblicher Taubheit, schwerer erblicher körperlicher Missbildung, [...] schwerem Alkoholismus.“ (Gütt/Rüdin/Ruttke (1934) Zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Gesetz und Erläuterungen, München: J.F.Lehmanns Verlag, S.56). Die Sterilisation musste von sogenannten „Erbgesundheitsgerichten“ auf Antrag des Betroffenen, seines Vormundes oder beamteter Ärzte oder von Anstaltsleitern beschlossen werden und war nach solch einem Beschluss „auch gegen den Willen des Unfruchtbarzumachenden auszuführen“ (Gütt et al. 1934: 58).

Anders als in anderen europäischen Ländern mündete diese Radikalvariante von Eugenik im NS-Deutschland schließlich auch in die durch eugenische Abwertung von „Minderwertigen“ zumindest erleichterte systematische Euthanasie im Sinne einer Vernichtung lebensunwerten Lebens, die - beginnend 1939 - wiederum eine Brücke zum Holocaust an den europäischen Juden darstellt. Das exakte Verhältnis zwischen Eugenik und NS-"Euthanasie“ ist allerdings wissenschaftlich umstritten. Gewisse Nachbarschaften finden sich neben Deutschland - allerdings nur auf Diskursebene, nicht als Tat - auch zwischen Eugenik- und „Euthanasie“-Anhängern in den USA in den 1930er und 1940er Jahren.

Eugenik nach 1945

Während die Eugenik in Deutschland mit der Befreiung von den Nationalsozialisten ihr Ende fand, wurde sie in den USA noch bis ins Jahr 1974 weiter angewendet und Menschen zwangssterilisiert. Richtete sich das Programm anfangs vorrangig gegen Kranke und Behinderte, waren später vermehrt Verbrecher und schließlich vorrangig Schwarze betroffen. Im Jahr 2002 entschuldigten sich die Gouverneure der US-Bundesstaaten Virginia und Oregon bei den Opfern.

In ähnlicher Weise wurden die wesentlich aus einer „sozialistischen Eugenik“-Tradition stammenden skandinavischen Sterilisationsgesetze erst in den 1960er und 1970er Jahren abgeschafft, obschon nach 1950 deutlich weniger aus eugenischen Motiven sterilisiert wurde als zuvor.

In Schweden bestand das Sterilisationsgesetz von 1941 ohne Änderungen bis 1975. Es wurden circa 63.000 Menschen sterilisiert. Erst in jüngster Zeit kam es zu einer Entschädigungsdebatte [5]

In der Schweiz wurde das eugenisch geprägte Zwangssterilisationsgesetz des Kantons Waadt erst 1985 aufgehoben. Zwangssterilisationen wurden bis in die 1980er Jahre weitergeführt. Eine parlamentarische Initiative zur in der Presse groß angekündigten Entschädigung der Opfer von Zwangssterilisationen und Zwangsskastrationen wurde im Dezember 2004 abgelehnt, dafür wurde ein neues Gesetz daraus gemacht, das die Sterilisation Einwilligungsunfähiger unter gewissen Bedingungen erlaubt.

In der Charta der Europäischen Union sowie in der geplanten Verfassung der Europäischen Union sind Zwangssterilisationen, eugenische Maßnahmen etc. verboten.

Moderne Formen der Eugenik

Abtreibung mit eugenischer Indikation

Heute hat sich die vorgeburtliche Eugenik mit Hilfe der Abtreibung in vielen Ländern der Welt etabliert. In der DDR wurde schon 1950 eine eugenische Indikation für Abtreibungen eingeführt, 1972 im Zuge einer allgemeinen Fristenlösung aber wieder aufgegeben. In der Bundesrepublik Deutschland hingegen distanzierte man sich zunächst von Eugenik, bevor auch dort 1976 eine eugenische Indikation für Abtreibungen Gesetz wurde. In beiden Fällen wurde eine solche eugenische Bestimmung auch von Fachleuten mehrheitlich als wissenschaftlich und modern angesehen. Vor einem Jahrzehnt für verfassungswidrig erklärt, wurde die eugenische Indikation aus dem deutschen StGB gestrichen, jedoch nach Ansicht von Kritikern unter der Rubrik medizinische Indikation, welche die Eugenische Indikation einschließt, indirekt beibehalten und praktisch sogar verschärft. So ist ein Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt erlaubt, wenn eine Behinderung oder Erkrankung des Kindes diagnostiziert wurde und die Schwangere sich einen potentiellen Schaden durch das Austragen des Kindes für ihre körperliche und/oder psychische Gesundheit ärztlich bestätigen lässt. Obgleich es von der Definition her um die Wahrung der Gesundheit der Kindsmutter geht, wird diese jedoch ausschließlich an den Gesundheitszustand des Kindes geknüpft, so dass dieser für die Legitimation des Schwangerschaftsabbruchs ausschlaggebend ist.

Präimplantationsdiagnostik

Der Begriff Eugenik wird heutzutage kaum noch benutzt. Stattdessen heißt es Genetische Diagnostik. Anders als die Eugenik (Erforschung und Pflege der menschlichen Erbgesundheit) soll die Genetische Beratung den Einzelnen beraten und nicht der Verbesserung des Genpools einer Gruppe von Menschen oder der Menschheit [(GALTON)] dienen.

Moderne Formen der Eugenik sind beispielsweise die Präimplantationsdiagnostik (PID), entwickelt in den 80er und 90er Jahren in Verbindung mit der In-Vitro-Fertilisation (IVF). Die PID ermöglicht nicht nur die Erkennung des Geschlechtes, sondern man kann durch dieses Verfahren ebenfalls Chromosomentranslokation (falsch zusammengesetzte Chromosomen) erkennen, sowie ebenfalls viele verschiedene Krankheiten, wie z.B. Trisomie 21, die Bluterkrankheit, Mukoviszidose, Chorea Huntington und Thalassämie. Die PID hat Vorteile, aber auch Nachteile, mit denen man sich kritisch auseinandersetzen muss.

Die Kritiker der PID sind der Ansicht, dass auch durch die PID eine Behindertenproblematik auftreten könnte, da durch die PID kaum noch behinderte Kinder geboren würden. Dies würde dazu führen, dass die Anzahl sozialer Einrichtungen für behinderte Kinder stark reduziert werden würde und es somit für nicht PID-Kinder, die behindert geboren würden, sehr schwer wäre, eine geeignete Einrichtung zu finden. Ebenfalls würde das Ansehen der Eltern behinderter Kinder und der Kinder selbst leiden, und dies hätte zur Folge, dass die staatlichen Hilfen kaum oder vielleicht gar nicht mehr vorhanden wären. Das würde wiederum dazu führen, dass diese und andere Eltern durch den gesellschaftlichen Druck zur PID gezwungen würden. In der Gesellschaft würde sich das Gefühl noch mehr verfestigen, dass behindertes Leben lebensunwert ist. Gerade auf Grund der neueren Kenntnisse auf dem Gebiet der Gentechnik sind viele ethische und rechtliche Fragen in diesem Zusammenhang nicht nur von jedem Einzelnen, sondern auch in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht kritisch zu beobachten. Es hat sich gezeigt, dass der Gedanke der Eugenik sich in der Zeit des Nationalsozialismus als missbrauchsgefährdet erwiesen hat. Besonders auch in Hinblick auf diese Erfahrungen muss darauf geachtet werden, dass es nie wieder ein "unwertes Leben" geben darf und der Begriff der "Erbgesundheit" nicht über Umwege in unserer Gesellschaft salonfähig gemacht wird.

Die Befürworter sind dagegen der Ansicht, dass unabhängig von moderner, vorgeburtlicher Eugenik und PID alle Lebensphasen, damit auch Geburt und frühe Kindheit, niemals frei von Krankheit und Unfällen und den dadurch ausgelösten mehr oder minder schweren Folgeschäden bis hin zu bleibenden Behinderungen sein werden, unabhängig davon, wie sehr wir uns alle das wünschen mögen. Das würde bedeuten, dass es auch immer Kinder wie Erwachsene mit Behinderungen gäbe, die unserer Toleranz, Anerkennung, Pflege und Zuwendung bedüften, selbst wenn durch konsequente Anwendung beider medizinischer Möglichkeiten in der Gesamtbevölkerung nur noch genetisch gesunde Kinder geboren würden. So steigere sich z. B. von Jahr zu Jahr in vielen Ländern der Welt auch die Zahl der aidskranken Kinder (und Erwachsenen), die eine intensive medizinische und menschliche Pflege brauchen. Es wäre sehr wohl denkbar, dass wir eines Tages schon mit der Grundversorgung und der Kranken- bzw. Altenpflege aller geborenen Menschen überfordert sein werden, wenn wir es vielleicht nicht schon heute in Wirklichkeit sind. Sollte es einmal in ferner Zukunft, wenn überhaupt, durch die PID und vorgeburtliche Eugenik möglich werden, dass nur noch genetisch gesunde Kinder geboren würden, könnte aus der Sicht der Befürworter das jedoch uns allen einen Stein von der Schulter nehmen, einen einzigen von noch vielen anderen. Außerdem ließe sich nach Ansicht der Befürworter weltweit ein Grundbedürfnis werdender Eltern feststellen, ein gesundes Kind zu bekommen. Dieses Grundbedürfnis bedeute ja auch ein wesentliches Fundament für den Schutz von zukünftiger Mutter und werdendem Kind.

Beispiel: Prävention der Thalassämie auf Zypern

Zypern ist ein Land mit hoher Prävalenz der β-Thalassaemia major, einer vererbten Bluterkrankung. Jeder siebte Einwohner des Landes ist Träger der defekten Erbinformation, ohne selbst erkrankt zu sein. Für Kinder, bei denen beide Elternteile den Gendefekt aufweisen, beträgt das Risiko, an Thalassämie zu erkranken, 25 Prozent. Eine Behandlung der Erkrankung ist nur mit hohem Aufwand durch lebenslange wöchentliche Bluttransfusionen und die zusätzliche Einnahme von Medikamenten möglich. Die Überlebenszeit der Erkrankten verlängerte sich durch neue Behandlungsmethoden soweit, dass sich die Zahl der Erkrankten ohne weitere Maßnahmen in der zypriotischen Bevölkerung etwa alle acht bis zehn Jahre verdoppelt hätte. Damit wären die Ressourcen des Gesundheitswesens auf Zypern in absehbarer Zeit überfordert gewesen. Bereits in den 1970er Jahren kam fast jeder gesunde Einwohner des Landes zweimal jährlich zur Blutspende, da pro Woche etwa 500 Bluttransfusionen zur Thalassämie-Behandlung durchgeführt wurden. Von rund 11.000 Neugeborenen pro Jahr zur damaligen Zeit waren etwa 70 erkrankt. Ein Fünftel des Gesundheitshaushaltes des Landes wurde für die Beschaffung des notwendigen Medikamentes Desferal ausgegeben, das wie die Bluttransfusionen kostenlos für die betroffenen Patienten ist.

Seit 1976 gibt es auf Zypern ein freiwilliges Eugenik-Programm zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Thalassämie. Nahezu jeder erwachsene Einwohner im heiratsfähigen Alter kennt auf Grund eines Gentests seinen eigenen Thalassämie-Status, weiß also, ob er Träger des Gendefektes ist. Paaren mit Kinderwunsch, bei denen beide Partner Träger sind, wird in einer Beratung eine freiwillige Pränataldiagnostik nahegelegt. Pro Jahr gibt es in Zypern rund 200 solcher vorgeburtlichen Untersuchungen und rund 50 darauf folgende Abtreibungen. Seit 1983 ist ein Screening-Zertifikat, auf dem einem heiratswilligen Paar die Teilnahme am genetischen Screening und einer entsprechenden humangenetischen Beratung bestätigt wird, Voraussetzung für eine kirchliche Trauung. Nicht vermerkt werden auf dem Zertifikat der Überträgerstatus der Partner oder eine eventuell empfohlene oder durchgeführte Pränataldiagnostik. Für eine nichtkirchliche Heirat ist eine solche Bescheinigung nicht erforderlich. Die Zahl der Paare, die sich nach Gentests und Beratung gegen eine Heirat entscheiden, liegt bei unter drei Prozent.

Da auf Zypern nahezu jede Familie von der Thalassämie betroffen ist, gibt es gegen diese freiwillige Eugenik keinen nennenswerten Widerstand in der Bevölkerung. Die Gentests, die vorgeburtliche Diagnostik und eine eventuelle Abtreibung sind kostenlos. Seit einigen Jahren ist auf Zypern anstelle der Pränataldiagnostik mit anschließender Abtreibung auch die Präimplantationsdiagnostik als Alternative verfügbar. Die Ausgaben für Desferal sind um die Hälfte gesunken, die Zahl der erkrankten Neugeborenen liegt bei zwei pro Jahr. Da pro Jahr etwa gleich viele Thalassämie-Patienten versterben, ist die Zahl der Patienten seit einiger Zeit konstant bei etwa 630.

Zitate

Kritik an den modernen Formen der Eugenik:

  • Wären die „gezüchteten“ Menschen geistig wirklich „Gesunde“, so würden sie als allererstes ein solches menschenfeindliches Zuchtprogramm abschaffen. Gilbert Keith Chesterton

Siehe auch

Dokumentarfilm

  • Homo Sapiens 1900, Regie: Peter Cohen, 2000

Einzelnachweise

  1. Jan Nikolas Dicke: Eugenik und Rassenhygiene in Münster zwischen 1918 und 1939. Berlin: Weißensee-Verlag 2004. (= Berliner Beiträge zur Zeitgeschichte. Bd. 3.) ISBN 978-3899980356, S. 67.
  2. Ebd.
  3. Vgl. hierzu Jan Nikolas Dicke: Eugenik und Rassenhygiene in Münster zwischen 1918 und 1939. Berlin: Weißensee-Verlag 2004. (= Berliner Beiträge zur Zeitgeschichte. Bd. 3.) ISBN 978-3899980356
  4. Burleigh: Death and Deliverance, 1995 Cambridge; Zitate Wauschkuhn in Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift 1922, S.217
  5. Zum Forschungsstand: Menschen mit Behinderung in der schwedischen Historiographie: Eugenik und Rassenhygiene Download am 11.12.2007

Literatur

  • Edwin R. Black: War Against the Weak: Eugenics and America's Campaign to Create a Master Race, Four Walls Eight Windows, New York 2003 ISBN 1568583214
  • Jan Nikolas Dicke: Eugenik und Rassenhygiene in Münster zwischen 1918 und 1939. Berlin: Weißensee-Verlag 2004. (= Berliner Beiträge zur Zeitgeschichte. Bd. 3.) ISBN 978-3899980356
  • Klaus-Peter Drechsel: Beurteilt Vermessen Ermordet. Praxis der Euthanasie bis zum Ende des deutschen Faschismus. 174 S., Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung, Duisburg 1993 ISBN 3927388378 (Diss-Texte; Nr. 27)
  • Ernst Klee, «Euthanasie» im NS-Staat. Die «Vernichtung lebensunwerten Lebens». Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M. 1985
  • Thomas Huonker: Diagnose 'moralisch defekt'. Kastration, Sterilisation und Rassenhygiene im Dienst der Schweizer Sozialpolitik und Psychiatrie 1890 - 1970. 286 Seiten, Verlag Orell Füssli, Zürich 2003. ISBN 3-280-06003-6
  • Jürgen Peter: Der Einbruch der Rassenhygiene in die Medizin. Auswirkung rassenhygienischen Denkens auf Denkkollektive und medizinische Fachgebiete von 1918 bis 1934. 240 S., Frankfurt am Main 2004. ISBN 3935964331
  • Michael Schwartz: Sozialistische Eugenik. Eugenische Sozialtechnologien in Debatten und Politik der deutschen Sozialdemokratie 1890-1933. Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Reihe Politik und Gesellschaftsgeschichte, Band 42, 367 S., Bonn: J. H. W.Dietz Nachfolger 1995 ISBN 3-8012-4066-5
  • Stefan Lorenz Sorgner / H. James Birx / Nikolaus Knoepffler (Hg.): Eugenik und die Zukunft. Alber, Freiburg i. Br. 2006, ISBN 3-495-48144-3
  • Richard Weikart: From Darwin to Hitler: evolutionary ethics, eugenics, and racism in Germany, XI, 312 S., Palgrave Macmillan, Basingstoke [u.a.] 2004. ISBN 1-4039-6502-1
  • Peter Weingart, Jürgen Kroll, Kurt Bayertz: Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland. 3. Auflage, 746 S., Frankfurt a.M. 2001 ISBN 3-518-28622-6
  • Ludger Weß: Die Träume der Genetik. 2. Auflage, 228 Seiten, Mabuse-Verlag ISBN 978-3929106060

Kritik an den modernen Formen der Eugenik:

  • Jürgen Habermas: Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-518-58315-8
  • Wolfram Henn: Warum Frauen nicht schwach, Schwarze nicht dumm und Behinderte nicht arm dran sind. Der Mythos von den guten Genen, Herder-Verlag, Freiburg i.B. 2004
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