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Epigenetik




  Die Epigenetik beschäftigt sich mit der epigenetischen Vererbung, d. h. der Weitergabe von Eigenschaften auf die Nachkommen, die nicht auf Abweichungen in der DNA-Sequenz zurück gehen, sondern auf eine vererbbare Änderung der Genregulation und Genexpression. Eng damit verknüpft sind physiologische Prozesse der Individualentwicklung von Organismen, die besonders in der Zwillingsforschung untersucht werden. In beiden Fällen geht es vornehmlich darum zu verstehen, wie Information über die Genregulation, die nicht in der DNA-Sequenz codiert ist, von einer Zell- oder Organismen-Generation in die nächste gelangt.

Epigenetik unterscheidet sich von der Epigenese, welche den seit langem bekannten graduellen Prozess der embryonalen Morphogenese von Organen in all ihrer Komplexität beschreibt. Jedoch basieren die essentiellen zellularen Differenzierungsprozesse der Epigenese vor allem auf epigenetischen Vererbungsmechanismen einer Zellgeneration zur nächsten. So können bereits differenzierte Zellen zu totipotenten Zellen epigenetisch „reprogrammiert“ werden. Eine Ausnahme ist unter anderem das Rearrangement (die „Neuorganisation“) von Genen im Immunsystem. So kann ein Organismus, der aus einer Gedächtnis-B-Zelle geklont wurde, nicht alle Immunglobulinklassen erzeugen, da ein Teil der nötigen DNA zuvor irreversibel entfernt wurde.

Spezifische epigenetische Prozesse umfassen unter anderem die Paramutation, das Bookmarking, das Imprinting, das Gen-Silencing, die X-Inaktivierung, den Positionseffekt, die Reprogrammierung, die Transvection, maternale Effekte (paternale Effekte sind selten, da wesentlich weniger nicht-genetisches Material mit dem Spermium vererbt wird), den Prozess der Karzinogenese, viele Effekte von teratogenen Substanzen, die Regulation von Histonmodifikationen und Heterochromatin sowie technische Limitierungen beim Klonen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Dem Biologen Conrad Hal Waddington wird der Begriff der Epigenetik zugeschrieben. Im Jahr 1942 definierte er Epigenetik als „the branch of biology which studies the causal interactions between genes and their products which bring the phenotype into being“.

Etymologie

Der Begriff Epigenetik wurde in der Vergangenheit in unterschiedlichem Zusammenhang verwendet. So hat die griechische Vorsilbe epi in „Epigenetik“ mehrere Bedeutungen, wie „nach“, „hinterher“ oder „zusätzlich“. So beschreibt die Epigenetik alle Prozesse in einer Zelle, die als „zusätzlich zu“ den Prozessen und Informationen (wie die DNA-Sequenz) der Genetik gelten.

Das Epigenom

Als Epigenom wird der epigenetische Zustand einer Zelle bezeichnet. Beispielsweise gehen aus einem einzelnen Embryo im Verlauf seiner Entwicklung eine Vielzahl verschiedener Zelltypen hervor, die alle dasselbe Genom haben. So haben eine Hautzelle und die Retinazelle des Auges dasselbe Genom, das heißt dieselbe DNA-Sequenz, aber völlig unterschiedliche Funktionen, da unterschiedliche Epigenome vorliegen. Die Verschiedenartigkeit dieser Tochterzellen lässt sich also weniger auf das Genom, als vielmehr auf dessen Informationsumsetzung zurückführen. Somit stellt ein einziges Genom häufig die Basis vieler Epigenome dar. In Analogie zum genetischen Code einer Zelle beschreibt man die epigenetischen Muster einer Zelle mit dem epigenetischen Code.

Epigenetische Vererbung

Viele Wachstumsprozesse beruhen auf der Weitergabe von Information von einer Zelle auf ihre Tochterzellen, ohne dass diese Information in der DNA-Sequenz kodiert ist. Aus sich teilenden Fibroblasten werden neue Fibroblasten, und keine Leber- oder Nervenzellen. Epigenetische Vererbung bezeichnet diese Vererbungsprozesse; auch auf Ebene individueller Organismen wird diese Form der Vererbung hin und wieder gefunden, wenn nämlich Organismen ihren Nachkommen einen bestimmten Zustand oder ein bestimmtes Merkmal vererben - ohne entsprechende Mutation der DNA-Sequenz.

 

Epigenetische Vererbungssysteme

Einige Arten von epigenetischen Vererbungssystemen mögen eine Rolle im sogenannten „Zellgedächtnis“ spielen. [1]:

Transkriptionelle Regulation

Es gibt verschiedene Mechanismen, die in die Transkriptionsmaschinerie eingreifen. So kann die Transkription eines Gens durch Proteine, Interferenz-RNA, DNA-Methylierung und Histonmodifikationen epigenetisch beeinflusst werden.

Chromatinstrukturveränderungen

Eine wichtige Histonmodifikation ist beispielsweise die Acetylierung der K9- und K4-Lysine am Stickstoff-Ende der Kernhistone eines Nukleosoms. So führt die positive Ladung dieses Stickstoff-Endes zur Bindung an die negativ geladenen Phosphate des DNA-Rückgrats, womit diese sich nicht mehr gegenseitig abstoßen können. Damit kann die DNA im Zellkern eng aufgewickelt werden, und ein Zugang von transkriptionsaktiven Molekülen wird wirkungsvoll unterbunden (Gen-Silencing). Werden hingegen bestimmte Lysine des Histons acetyliert, verschwindet die positive Ladung, die negativ-geladene DNA stößt sich selbst ab und kann nicht mehr so eng gepackt werden. Transkriptionsfaktoren können an die DNA binden, womit die DNA weiter geöffnet wird, und wodurch sie für die großen Enzyme wie RNA-Polymerase zugänglich wird: Transkription findet statt. Histone sind die Zellkernproteine, die wichtige Ordnungsprinzipien der DNA-Verpackung ermöglichen. Acht dieser Proteine (vier Typen) formen einen Nucleosomenkern (core particle), der den DNA-Faden quasi als Spule in 1,65 Windungen aufnimmt. Ein humanes Genom wird durch etwa 25 Millionen derartiger Nucleosomen „komprimiert“, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß: In den klassisch als „Euchromatin“ bezeichneten, aktiven Regionen besteht gegenüber dem inaktiven Heterochromatin eine lockere Packung - diese Regionen sind besser zugänglich.

Epigenetische Codierung und Evolution

Der Verpackungsgrad und damit die Regulation ist Folge von Histonmodifikationen, des Histon-Codes [2] zu sehen, durch den das Informationspotential des genetischen Codes enorm erweitert wird. Histonmodifikationen sind die Phosphorylierung (p) von Serin-Resten, die Acetylierung (ac) von Lysin-Resten, sowie deren Mono- bis Trimethylierung (me1-3) und die Methylierung von Argininresten. Dazu kommen andere komplexere Modifikationen (Ubiquitinylierung, Poly(ADP)-Ribosylierung). Im Zusammenspiel zwischen der Art und dem Ort der Modifikation erweitert sich das regulatorische Potential des Genoms immens. Die letzten Jahre haben zu einigem Verständnis dieser Grundprinzipien geführt, jedoch ist das derzeitige Bild, das nachfolgend tabellarisch dargestellt werden soll, längst noch nicht komplett. Zusammen mit den anderen oben genannten Veränderungen (DNA-Methylierung) ergibt sich der epigenetische Code.

Literatur

  • Oscar Hertwig (1849-1922): Biological problem of today: preformation or epigenesis? The basis of a theory of organic development. W. Heinemann: London, 1896.
  • Eva Jablonka and Marion J. Lamb: The Changing Concept of Epigenetics. Annals of the New York Academy of Sciences 981:82-96 (2002).
  • R. Jaenisch and A. Bird (2003): Epigenetic regulation of gene expression: how the genome integrates intrinsic and environmental signals. Nat. Genet. 33 (Suppl) 245-254.
  • Joshua Lederberg: The Meaning of Epigenetics, The Scientist 15(18):6, Sep. 17, 2001.
  • R. J. Sims III, K. Nishioka and D. Reinberg (2003): Histone lysine methylation: a signature for chromatin function. Trends Genet. 19, 629-637.
  • B. D. Strahl and C. D. Allis (2000): The language of covalent histone modifications. Nature 403, 41-45.
  • Conrad Hal Waddington (1942): The epigenotype, Endeavour 1, 18–20.
  • R.A. Waterland, R.L. Jirtle: Transposable elements: Targets for early nutritional effects on epigenetic gene regulation, Molecular and Cellular Biology 2003 August 1;23(15):5293-5300.
  • Bradbury, J: Human Epigenome Project—Up and Running. PLoS Biol 1/3/2003: e82. doi:10.1371/journal.pbio.0000082
  • Joachim Bauer: Das Gedächtnis des Körpers : wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern. Frankfurt a.M.: Eichborn, 2002. Erweiterte Taschenbuchausgabe München: Piper, 2004 (10. Aufl. 2007). ISBN 978-3-492-24179-3
  • Wolfgang Wieser: Gehirn und Genom: ein neues Drehbuch für die Evolution. München: C.H. Beck, 2007

Quellen

  1. E Jablonka, Lamb MJ and Lachmann M: Evidence, mechanisms and models for the inheritance of acquired characteristics. In: J. Theoret. Biol.. 158, Nr. 2, September 1992, S. 245–268
  2. The 'histone code' hypothesis in: Brian D. Strahl and C. David Allis: The language of covalent histone modifications, Nature 403, S. 41-45 (6 January 2000), doi:10.1038/47412
 
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