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Dissoziative Identitätsstörung
Die Dissoziative Identitätsstörung, die von der WHO Multiple Persönlichkeitsstörung genannt wird, ist eine dissoziative Störung, bei der die Identität betroffen ist. Sie ist die schwerste Form der Dissoziation und bezeichnet die Fähigkeit bzw. Veranlagung, mehrere (Teil-)Persönlichkeiten auszubilden. Dabei ist es möglich, dass diese Persönlichkeiten abwechselnd auftreten und dabei jeweils ein Bewusstsein der Existenz der anderen Alternativen-Persönlichkeiten haben, wie auch, dass sie fragmentiert, also völlig voneinander abgetrennt auftreten können und somit die eine von der Existenz der anderen nichts weiß. Früher wurde oft irrtümlich ein Zusammenhang zur Schizophrenie hergestellt. Die Dissoziative Identitätsstörung wird zusammen mit dem psychogenen Dämmerzustand, der psychogenen Verwirrtheit und dem Ganser-Syndrom unter ICD-10 F 44.8, den "sonstigen dissoziativen Störungen", eingeordnet. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
Geschichte1973 brachte der Fall "Sybil" in den USA der MPS den "Durchbruch". Danach meldeten sich in den gesamten USA mehrere hundert Menschen, die vorgaben, an dieser Krankheit zu leiden. Vor 1973 wurden lediglich weniger als 10 Fälle beschrieben. Die Namensänderung von Multipler Persönlichkeitsstörung bzw. Multiple Persönlichkeit in Dissoziative Identitätsstörung geht auf Psychiater zurück, die die Betonung der autonomen Persönlichkeiten als fixe Idee ansehen und eher den Zerfall der Persönlichkeit in Persönlichkeitszustände annehmen als eine Dissoziation (Hacking 2001, Temminghoff 1999). Dies hatte zur Folge, dass sich die Diagnosekriterien veränderten. Es geht nun nicht mehr um die Existenz, sondern um die Präsenz von Persönlichkeiten oder Persönlichkeitszuständen. Die Diskussion darüber ist noch nicht abgeschlossen. UrsachenIn aller Regel wird die Störung auf schwere Traumatisierung im Kindesalter zurückgeführt, darunter länger andauernde Misshandlungen und Vernachlässigung sowie im besonderen sexueller Missbrauch, oder extreme Erlebnisse mit Verletzten und Toten wie z.B. durch Mord, Krieg, schwere Unfälle, Katastrophen, besonders wenn die Eltern oder Geschwister betroffen sind. Studien an Patienten mit Dissoziativer Identitätsstörung (Egle, Hoffmann, Joraschky, S. 234) ergaben Raten von sexuellem Missbrauch in der Vorgeschichte zwischen 75% und 94%; Misshandlungen liegen in der gleichen Größenordnung - oftmals in Kombination mit sexuellem Missbrauch. Hierbei sei auch darauf hingewiesen, dass systematische Fehler starken Einfluss auf die Ergebnisse haben, die Studien jedoch generell einen signifikanten Zusammenhang zwischen den genannten Traumata-Faktoren zeigen. Die Fähigkeit zur Dissoziation ist im Grunde in jedem vorhanden und wurde von jedem durchlebt. In der Kindheit werden die verschiedenen im Grunde dissoziierten Zustände zu einem Ich mit fließenden Übergängen vereint. Gerade Kinder in Todesgefahr oder schwer traumatisierenden Situationen sind oftmals gezwungen, diese Fähigkeit auszubauen und (insbesondere bei sich ständig wiederholender Gewalt) zu verfestigen, um zu überleben. Nach psychologischen Theorien handelt es sich also um ein effektives Abwehrsystem zum Zwecke des Überlebens. Auf psychischer Ebene werden hierfür unterschiedliche "Personen" erschaffen (Persönlichkeitszustände dissoziiert), die sich an widersprüchliche und miteinander unvereinbare (für Kinder oft auch unverständliche) Umwelt- und Überlebensbedingungen besser anpassen, um dort ihre jeweiligen teilweise konträren Aufgaben besser erfüllen zu können. Dies ermöglicht ein Funktionieren trotz schwerster Belastungen. Im Erwachsenenleben ändern sich jedoch die Ansprüche der Umwelt, wie Konstanz des Charakters und der Handlungen, doch das System ist immer noch "scharf" und kann durch sogenannte "Trigger" (auslösendes Moment, auslösende Erfahrung) wieder aktiviert werden. Beeinträchtigt dies das Leben der Person in starker und schädigender Weise, wird es pathologisch genannt. Häufig finden sich Teilpersönlichkeiten mit unterschiedlichen Aufgaben, z.B. Schutzpersonen (zum Teil auch Innere Selbsthelfer), Kontrollpersonen und Personen, welche die täglich anfallende Routine erledigen. Dissoziationen können einerseits lediglich internalisiert stattfinden, d.h. die Umwelt erfährt nichts von den Vorgängen in der Psyche der dissoziativen Persönlichkeit. Zumeist treten sie in solchen Fällen in der Form der Entrückung, des Phantasierens und der Trance auf. Auch in Dämmerzuständen findet Dissoziation statt, ohne dass sie externalisiert, also nach außen getragen wird. Externalisierte Dissoziationen treten durch das aktive Interagieren der abgespaltenen Teil-Persönlichkeit mit ihrer Umwelt auf. Die Persönlichkeit hat dann eine andere Identität, andere Vorlieben, die denen der Ursprungs-Persönlichkeit - bei nicht regressiven Persönlichkeiten meist konträr - gegenüberstehen. Die dissoziierte Persönlichkeit kann meist Dinge ausleben, die die Ursprungs-Persönlichkeit tabuisiert oder verdrängt hat. Dementsprechend kann sie in Herkunft, Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung und Intro- bzw. Extraversion das genaue Gegenteil des ursprünglichen Persönlichkeitszustands sein. Durch die Dissoziation wird das Ausleben unterdrückter Bedürfnisse ermöglicht. Während die Gastgeber-Persönlichkeit zumeist keine Wahrnehmung der Dissoziation hat, sondern einer Amnesie bezüglich dieser Zustände unterliegt, kann sich die abgespaltene sekundäre Persönlichkeit (im Fall einer dualen Persönlichkeit) teilweise sehr wohl der anderen Persönlichkeitszustände bewusst sein und sich auch in Äußerungen oder Handlungen auf diese beziehen. Trauma-Forscher um van der Kolk sowie verschiedene Gehirn-Forscher haben jedoch noch weitere Mechanismen auf neurobiologischer Ebene aufgedeckt: so wird unter akuter Lebensbedrohung nicht nur die Informationsverarbeitung im Gehirn in speziellen Trauma-Modi betrieben, sondern dazu werden auch Nervenbahnen im Gehirn getrennt und verändert. Dauerhafte Trennungen und Umverdrahtungen sowie eine Schrumpfung der Amygdala-Region ist in Tierversuchen nachgewiesen worden. Es gibt starke Hinweise darauf, dass diese Mechanismen auch bei (oftmals durch Trigger ausgelöste) Flashbacks von Trauma-Opfern aktiviert werden und höchstwahrscheinlich auch bei der Entstehung von DIS eine zentrale Rolle spielen (vgl. Fiedler). DIS wird oftmals erst nach langen Jahren der Therapie diagnostiziert, da zum einen viele Symptome auf andere Erkrankungen ebenfalls passen, und zum anderen, weil die Betroffenen gelernt haben, z.B. typische Symptome wie "Zeitverlust" zu leugnen bzw. umzudeuten. Außerdem besteht auf Seiten der Behandelnden immer noch Unwissenheit in Bezug auf DIS. Die dissoziative Identitätsstörung weist eine hohe Komorbidität mit anderen psychischen Störungen auf, wie z.B. zu Depressionen, Angststörungen oder auch Persönlichkeitsstörungen wie der Borderline-Persönlichkeitsstörung oder der Schizotypischen Persönlichkeitsstörung. Dabei können die komorbiden Störungen wiederum auch eine Reaktion auf die belastenden und traumatischen Erlebnisse sein. Viele Betroffene leiden auch unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (nach einer Studie von Boon und Draijer 1993 etwa 80%). Diagnostische KriterienPatienten mit einer dissoziativen Identitätsstörung weisen zwei oder mehr unterschiedliche Persönlichkeiten (Alters) auf, die jeweils eigene Gedanken, Erinnerungen, Verhaltensweisen und Gefühle hervorbringen. Man unterscheidet drei Arten der Beziehungen zwischen den Subpersönlichkeiten:
Verschiedene Verfahren zur Sicherung der Diagnose werden nach wie vor diskutiert: es existieren zwei verschiedene Verfahren, in denen signifikante gedoppelte oder vervielfachte Hirnstromkurven nachgewiesen werden;
DifferenzialdiagnoseDie differenzialdiagnostische Abgrenzung zu anderen Störungen ist schwierig. Besonders muss die Unterscheidung von der Borderline-Störung oder anderen Persönlichkeitsstörungen, der Schizophrenie oder der Posttraumatische Belastungsstörung (Posttraumatic Stress Disorder, PTSD) getroffen werden.
DiskussionWissenschaftler beziehen sich meist auf phänomenologische Beobachtungen und betonen, dass die Störung von verschiedenen Psychiatern bzw. Psychoanalytikern (u.a. Breuer und Freud) beschrieben werde, auch wenn sich die Terminologie verändert hat. Heute wird die Diagnostik durch psychologische Tests ergänzt, wobei auch hier nur Symptome abgefragt werden, und die Glaubwürdigkeit der Angaben vorausgesetzt werden muss. Gestützt wird die Position heute durch neurophysiologische Befunde: Subpersönlichkeiten sollen sich in physiologischen Parametern unterscheiden, wie Blutdruck, Menstruationszyklus oder Gehirnströmen. Befürworter verweisen auch auf eine niederländischen Studie, in der gezeigt werde, dass sich die DIS auch im Gehirn der Betroffenen durch bildgebende Verfahren sichtbar machen lasse, da die einzelnen Persönlichkeiten offenbar jeweils eigene Nervenbahnen benutzten. TherapieViele Betroffene begeben sich in Therapie, weil sie unter Angst oder psychosomatischen Beschwerden (Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Krämpfen, Störungen des Essverhaltens oder der Verdauung) leiden oder weil sie Flashbacks oder Stimmen, die sie in ihrem Inneren hören, erleben. Viele verletzen sich immer wieder selbst, bzw. versuchen, das ganze "System" (die Gruppe von Persönlichkeiten) zu vernichten oder einzelne zu bestrafen. Oft brauchen Betroffene lang, um sich dem Problem zu stellen oder etwas von dem zu offenbaren, was sie quält. Zusätzlich belastend ist für die Betroffenen, dass ihr Krankheitsbild nicht immer ernst genommen wird. Die Therapie ist sehr langwierig und schwierig und sollte generell nur bei ausgebildeten Psychotraumatologen durchgeführt werden. Nicht immer kann den Betroffenen geholfen werden. Täterkontakt zum Beispiel erschwert die Therapie oder macht sie unmöglich. Bei einer Therapie gilt es, möglichst alle einzelnen Persönlichkeiten zu erkennen und entsprechend zu behandeln. Im Gegensatz zu britischen Methoden, die als Behandlungsansatz die Zerstörung der einzelnen Persönlichkeiten haben, haben sich in den USA, den Niederlanden und zunehmend auch in Deutschland Methoden zur Kontrolle und Kooperation der Persönlichkeiten als erfolgreich erwiesen. Im Idealfall ist eine Verschmelzung der Persönlichkeiten anzustreben, dies gelingt jedoch nur selten. Zunächst muss in einer oft jahrelangen Therapie eine genügende Stabilisierung erreicht werden. Dann kann in einer Auseinandersetzung mit dem Trauma eine Traumasynthese angestrebt werden, an die sich in einem letzten Therapieschritt Re-Integration der einzelnen Anteile und Neuorientierung des Betroffenen anschließen können. Die am meisten angewandte Methode bei der Behandlung dissoziativer Patienten ist eine Kombination aus tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie einerseits und Integrativer Traumatherapie, bei der durch Aufarbeitung der Traumata eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen erreicht werden kann. Sehr bewährt haben sich auch Verfahren wie z.B. das katathymen Bilderleben, die EMDR-Technik oder die Bildschirmtechnik bei der Aufarbeitung der nicht mehr erinnerbaren Traumata. Literatur
Einzelnachweise
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Dissoziative_Identitätsstörung aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |