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Theoretische Biologie



Die Theoretische Biologie/Biomathematik ist die Wissenschaft, die sich mit den möglichst allgemeinen und abstrakten Gesetzen der Biologie beschäftigt. Sie spielt in der Biologie und verwandten Wissenschaftszweigen eine Rolle, die derjenigen der theoretischen Physik in den unbelebten Naturwissenschaften entspricht. Es werden formal mathematische Modelle und Theorien erarbeitet um die Struktur und Dynamik lebender Systeme zu beschreiben. Die Theoretische Biologie stellt keine isoliert zu verstehende Disziplin innerhalb der Biologie dar, sondern trägt mit ihren Methoden und Ergebnissen zur Fortentwicklung fast aller Teilgebiete der Biologie bei. Von einem methodologisch orientierten Standpunkt betrachtet ist die Theoretische Biologie verstehbar als eine instrumentelle Ergänzung der historisch vor allem auf experimentellem Wege nach Erkenntnis strebenden Biologie.

Inhaltsverzeichnis

Bereiche

Weite Teilgebiete der Theoretischen Biologie bedienen sich mathematischer Methoden zur Modellierung biologischer Zusammenhänge. Eine gewisse Verwandtschaft besteht in Teilen der Theoretischen Biologie mit Themengebieten der theoretischen Informatik, Bioinformatik und praktischen Informatik. Daneben existiert ein philosophisch geprägter Teilbereich der Theoretischen Biologie. In jüngster Zeit beginnt sich zudem als Zweig der Theoretischen Biologie die Bezeichnung Mathematische Biologie zu etablieren.

Unter den vornehmlich mathematisch geprägten Bereichen der Theoretischen Biologie befinden sich unter anderem:

Theoretische Ökologie

Hier wird unter anderem versucht, Aussagen über die Dynamik von Populationen und Biozönosen zu machen. Als grundlegend erweisen sich die in fast jeder ökologischen Interaktionstruktur gegenwärtigen Räuber-Beute-Beziehungen. Bei der mathematischen Formulierung von Räuber-Beute-Modellen, die erstmals in den 20er Jahren des letzten Jahrhundert von Lotka und Volterra unternommen wurde, kommen klassischer Weise vor allem gewöhnliche Differentialgleichungen (z.B. die Lotka-Volterra-Gleichungen) und Differenzengleichungen zur Anwendung. Eine Schwierigkeit besteht in der Tatsache, dass viele biologische Zusammenhänge in natürlicher Weise auf nichtlineare Gleichungen führen, die nur über numerische, indirekte oder qualitative Methoden untersucht werden können. Ein stärker anwendungsbezogener Unterbereich der theoretischen Ökologie macht sich die Möglichkeiten expliziter Computersimulation zunutze und geht von einfachen multiagentbasierten Simulationen bis zur computergestützten Darstellung ganzer Ökosysteme.Hier besteht ein fließenden Übergang zwischen theoretischer Ökologie und praktischem Ökosystemmanagement.

Mathematische Epidemiologie

Fragen nach der Ausbreitungsform und Ausbreitungsgeschwindigkeit sowie zur Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen versucht die mathematische Epidemiologie exakt zu fassen und auf Grundlage der Theorie dynamischer Systeme zu beantworten. Die verwendeten Gleichungen sind oft den Gleichungen der theoretischen Ökologie nah verwandt. Ein Beispiel ist das SI-Modell.

Theoretische Neurobiologie

Gearbeitet wird, wie auch in der experimentellen Neurobiologie, auf verschiedenen Integrationsebenen. Die Aufgaben der theoretischen Neurobiologie erstrecken sich damit beispielsweise von der Modellierung eines oder einiger weniger Ionenkanäle bis hin zur Analyse und Simulation großer neuronaler Verbände. Ein Beispiel ist die Modellierung von bestimmten Hirnfunktionen, zum Beispiel die Generierung des Tag-Nacht-Zyklus (Circadiane Rhythmik). Es bestehen teils enge Verbindungen zur Neuroinformatik.

Weitere mathematisch orientierte Felder der Theoretischen Biologie

  • Theoretische Entwicklungsbiologie
  • Theoretische Immunologie
  • Evolutionäre Spieltheorie
  • Artificial life

Philosophisch geprägte Felder der Theoretischen Biologie

Zu den Hauptvertretern der philosophisch geprägten Theoretischen Biologie gehören Humberto Maturana und Francisco Varela.

Entwicklung

In jüngerer Zeit ist die Entwicklung der im anglo-amerikanischen Kulturraum seit längerem stark expandierenden Theoretischen Biologie auch in Deutschland im Aufstieg begriffen. Davon zeugt die Einrichtung mehrerer Lehrstühle für Theoretische Biologie; es kann eine Diversifikation der Forschungsthemen beobachtet werden. Ein Zentrum der Theoretischen Biologie in Deutschland stellt das Institut für Theoretische Biologie an der Humboldt-Universität zu Berlin dar.

Studium

Als Hauptfach im Studium der Biologie kann Theoretische Biologie derzeit unter anderem an der Humboldt-Universität in Berlin und der Universität Bonn studiert werden.

Daneben existiert an mehreren Universitäten die Möglichkeit, Theoretische Biologie im Rahmen eines Mathematikstudiums mit Schwerpunkt in der Angewandten Mathematik zu studieren. Als bisher einzige Universität in Deutschland bietet Greifswald den grundständigen Studiengang "Biomathematik-Diplom" an.

Literatur

  • Bonner, J. T. 1988. The Evolution of Complexity by Means of Natural Selection. Princeton: Princeton University Press.
  • Nicholas F. Britton: Essential Mathematical Biology. Springer
  • Hertel, H. 1963. Structure, Form, Movement. New York: Reinhold Publishing Corp.
  • Mangel, M. 1990. Special Issue, Classics of Theoretical Biology (part 1). Bull. Math. Biol. 52(1/2): 1-318.
  • Murray, J. Mathematical Biology. Springer
  • Prusinkiewicz, P. & Lindenmeyer, A. 1990. The Algorithmic Beauty of Plants. Berlin: Springer-Verlag.
  • Thompson, D.W. 1942. On Growth and Form. 2nd ed. Cambridge: Cambridge University Press: 2. vols.
  • Vogel, S. 1988. Life's Devices: The Physical World of Animals and Plants. Princeton: Princeton University Press.
  • Signs of Life: How Complexity Pervades Biology, mit Ricard V. Sole, Basic Books, 2001, ISBN 0465019277
  • How the Leopard Changed its Spots: The Evolution of Complexity, Scribner, 1994, ISBN 0025447106
    (deutsch: Der Leopard, der seine Flecken verliert, Piper, München 1997, ISBN 3492038735)
  • Form and Transformation: Generative and Relational Principles in Biology, Cambridge Univ Press, 1996.
  • Mechanical Engineering of the Cytoskeleton in Developmental Biology (International Review of Cytology), mit Kwang W. Jeon und Richard J. Gordon, Academic Press, London 1994, ISBN 0123645530
  • Theoretical Biology: Epigenetic and Evolutionary Order for Complex Systems mit Peter Saunders, Edinburgh University Press, 1989, ISBN 0852246005
  • Lotka, A. J. (1925): Elements of Physical Biology. Williams and Wilkins, Baltimore. ISBN 0486603466
  • Lotka, A. J.: Analytical Theory of Biological Populations (The Plenum Series on Demographic Methods and Population Analysis). New York: Springer US (Plenum Press), 1998. ISBN 0306459272

Fachjournale

  • Journal of Theoretical Biology
  • Journal of Mathematical Biology
  • Acta Biotheoretica

Forschungseinrichtungen

  • Institut für theoretische Biologie
  • Theoretische Biologie an der Uni-Bonn
  • Zentrum für mathematische Biologie an der Uni-Oxford

Fachgesellschaften

  • American Mathematical Society
  • British Society of Developmental Biology
  • European Mathematical Society
  • ESMTB: European Society for Mathematical and Theoretical Biology
  • The International Biometric Society
  • International Society for Ecological Modelling
  • London Mathematical Society
  • Société Francophone de Biologie Théorique
  • Society for Industrial and Applied Mathematics
  • Society for Mathematical Biology
 
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Theoretische_Biologie aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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