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Biogenetische GrundregelDie Biogenetische Grundregel (älter auch Biogenetisches Grundgesetz, im englischen Sprachraum bekannt als Rekapitulationstheorie) ist eine 1866 von Ernst Haeckel aufgestellte These in der Biologie, die einen möglichen Zusammenhang zwischen Ontogenese und Phylogenese ausdrücken soll:
Der Ausdruck 'Grundregel' ist im deutschsprachigen Raum üblich, ansonsten wird der Ausdruck 'Rekapitulationstheorie' verwendet, da die Theorie als veraltet angesehen wird. Sie gilt heute als weitgehend widerlegt, zumindest in dem Anspruch, ein biologisches "Gesetz" darzustellen. Ihre heuristische Bedeutung hat sie dennoch bis heute nicht verloren. So wird sie immer wieder von Disziplinen aufgegriffen, an die Haeckel gar nicht dachte, wie der Evolutionspsychologie oder der Molekulargenetik. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
GeschichteIn nahezu allen Schriften Haeckels, die seinem Werk Generelle Morphologie nachfolgen und sich mit Evolution befassen, fasste Haeckel die Thesen von dem Kausal-Nexus der biontischen und der phylogenetischen Entwicklung, also der 'biogenetischen Grundregel', kurz so zusammen:
beziehungsweise
Diese Hypothese galt lange Zeit als wesentlicher Bestandteil der Phylogenetik und hatte hervorragende heuristische Bedeutung für die Erforschung der tatsächlichen Beziehungen zwischen Ontogenese und Phylogenese. Historisch gesehen konkretisierte Haeckel mit seiner These das sogenannte "Gesetz der korrespondierenden Stufen" des deutschen Embryologen Karl Ernst von Baer, die Baersche Regel. Eine strikte Umsetzung der postulierten Rekapitulation ist aufgrund vielfacher Anpassungen von Larven und anderen Entwicklungsstadien an die jeweilige Umwelt sowie an die Anforderungen der Zell- und Organdifferenzierung jedoch nicht gegeben. Daher spricht man – wenn überhaupt – auch nicht mehr vom 'Biogenetischen Grundgesetz', sondern von der 'Biogenetischen Grundregel', im nicht-deutschen Sprachraum nur von der 'Rekapitulations-Theorie'. Sie gilt nicht für den Genotypus, das heißt die genetische Bestimmtheit eines Lebewesens, sondern – falls man sie überhaupt akzeptiert – nur für den Phänotypus, das heißt für das äußere Erscheinungsbild. Bei den Gegnern der Evolutionstheorie stand die Biogenetische Grundregel als Beweis für das Evolutionsgeschehen schon immer rigoros unter Beschuss. Aber auch Haeckel selbst war bei seiner Argumentation nicht immer frei von Polemik. BeispieleBeispiele für den Zusammenhang zwischen Ontogenese und Phylogenese finden sich bei den meisten vielzelligen Tieren sowie – eingeschränkt – auch bei Pflanzen:
Interpretationen und ErklärungsansätzeNeben der klassischen Rekapitulationstheorie, wie Haeckel sie vertreten hat, gibt es eine schwächere Version, die Baersche Regel. Diese Regel von 1828, auch "Gesetz der korrespondierenden Stufen" genannt, ging der Rekapitulationstheorie zeitlich voraus. Es besagt im wesentlichen:
So schrieb von Baer damals über Wirbeltier-Embryos: "Ich kann absolut nicht sagen, zu welcher Klasse sie gehören. Es können Eidechsen, kleine Vögel oder sehr junge Säugetiere sein, so vollständig ist die Gleichheit in der Form des Aufbaus von Kopf und Rumpf bei diesen Tieren." Der Biologe Gregory Bateson griff diese Idee in seinem Buch "Geist und Natur" wieder auf. Zwar gäbe es augenfällige Abweichungen von dieser Regel (Insektenlarven beispielsweise), dennoch liefere sie einen wichtigen Schlüssel zum Evolutionsprozess. Er verallgemeinerte die Aussage zur Formulierung, dass "Ähnlichkeiten den Unterschieden zeitlich vorausgehen". Er lieferte auch einen Erklärungsansatz, warum das so sein sollte: Die evolutionäre Selektion nach einer genetischen Mutation ist konservativ. Eine Mutation, die das Embryonalstadium beeinflusst, wird tendenziell schneller ausgemerzt, als eine Mutation, die erst später im Erwachsenen-Stadium greift. "Die Veränderung, die früher im Leben des Embryos Einfluss nimmt, muss eine längere und entsprechend komplexere Kette von späteren Ereignissen stören." [1] In jüngerer Zeit wird die Rekapitulationstheorie im Zusammenhang mit den in den 1970er Jahren entdeckten Hox-Genen neu diskutiert. Bei diesen Genen handelt es sich um sehr alte und komplexe Gene, die sehr allgemeine Körperstrukturen festlegen und die sich in gleicher Form bei Tieren unterschiedlichster Gattungen zeigen. Diese Gene greifen relativ früh in die Embryonalentwicklung ein. So schreibt der Berliner Evolutionsbiologe Carsten Niemitz: "Es ist beeindruckend zu erleben, wie jene unvorstellbar alten Gene ihre Information in lebende Gestalt umsetzen, als wären wir Menschen so etwas wie Lanzettfischchen, die noch gar keinen Kopf besitzen oder sogar noch einfachere winzige Meerestiere." [2] KritikKritik an der Biogenetischen Grundregel kam zunächst vor allem von den Gegnern der Evolutionstheorie bzw. den Kreationisten, heute aber allgemein auch von Anhängern der Evolutionstheorie. Kreationisten und Biogenetisches GrundgesetzIn nahezu jeder kreationistischen Schrift spielt das biogenetische Grundgesetz eine bedeutende Rolle und findet dort mehr Aufmerksamkeit als in der wissenschaftlichen Biologie. Die religiös motivierte Kampagne gegen Ernst Haeckel (er war ein bekennender und wortgewaltiger Freigeist) und „sein“ Biogenetisches Grundgesetz bzw. die Evolutionstheorie wurde erstmalig 1909 im Anschluss an einen Festvortrag Haeckels zur fünfzigsten Wiederkehr der Ersterscheinung von Charles Darwins Werk Die Entstehung der Arten laut. Eine Keplerbund genannte christliche Organisation warf Haeckel vor, einige seiner Embryonenbilder „gefälscht“ zu haben. In der Tagespresse tobte daraufhin ein heftiger Kampf um „Haeckels Embryonenbilder“. Haeckel räumte ein, er habe manche Bilder schematisiert, was in der Wissenschaft üblich sei ("... will ich nur gleich mit dem reumütigen Geständnis beginnen, daß ein kleiner Teil meiner zahlreichen Embryonenbilder (vielleicht 6 oder 8 von Hundert) wirklich (im Sinne von Dr. Braß) ‘gefälscht’ sind - alle jene nämlich, bei denen das vorliegende Beobachtungsmaterial so unvollständig oder ungenügend ist, daß man bei Herstellung einer zusammenhängenden Entwicklungskette gezwungen wird, die Lücken durch Hypothesen auszufüllen, ..."[3]). Ihren Abschluss fand diese Kampagne in einer Erklärung, die zahlreiche deutsche Biologen und Anatomen unterzeichneten. In ihr wird zwar Haeckel die Schematisierung als Fehlverhalten vorgeworfen, seine Deutung allerdings als richtig anerkannt. Dabei beriefen sich die Forscher auf neuere embryologische Studien, die weit genauer seien als das von Haeckel verwendete Material. Sowohl der Keplerbund als auch der Monistenbund (eine freigeistige Vereinigung, die auf Haeckel zurückging) publizierten Dokumentationen über die Kampagne. Die heutige Dominanz kreationistischer Schriften aus den USA ließ diese historische Auseinandersetzung in Vergessenheit geraten. Wissenschaftliche KritikInhaltliche KritikBereits der Botaniker Carl Wilhelm von Nägeli (1817–1891) warf Haeckel vor, den Begriff Ontogenese mit der Embryonalentwicklung bzw. der aufsteigenden Phase der Individualentwicklung gleichzusetzen und zugleich einschlägige Erscheinungen wie den Generationswechsel bei Pflanzen auszuklammern. Auch sei die Vorstellung falsch, in der Individualentwicklung würden jeweils neue Stadien auf die zusammengedrängte und mehr oder weniger gestörte Rekapitulation der Phylogenese aufgestockt werden. Vielmehr können in jedem Stadium der Ontogenese tiefgreifend umgestaltende Veränderungen von evolutionärer Bedeutung auftreten. Auch Stephen Jay Goulds Buch Ontogeny and Phylogeny steht der Theorie kritisch gegenüber und versucht, den Geist Haeckels auszutreiben, so dass evolutionäre Entwicklungsbiologie diskutiert werden kann, ohne sich mit dem „biogenetischen Gesetz“ befassen zu müssen [4]. Weiter kritisiert er Haeckels Bezugnahme auf Lamarck und dessen Theorien. Haeckel sah dagegen keinen unauflösbaren Widerspruch in den Theorien von Goethe, Darwin und Lamarck (siehe dazu Haeckels Schöpfungsgeschichte und Generelle Morphologie). FälschungsvorwürfeMichael Richardson von der St. George's Hospital Medical School in London verwies 1997 auf gravierende Unterschiede bei Embryonen von Beuteltieren, Laubfröschen, Schlangen und Alligatoren, so dass er sich kaum vorstellen könne, dass Haeckels Zeichnungen echt wären. Er meint, sie seien Betrug. Die Genetikerin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard sagte hierzu:
Wissenschaftshistoriker verweisen allerdings darauf, dass die in der Diskussion zumeist dargestellten Zeichnungen Haeckels zum großen Teil auf Skizzen seiner Vorgänger beruhen (z.B. von Baers 1828), ohne dass diesen die Fälschung vorgeworfen wurde (selbst Details und die Haltung einzelner Gliedmaßen sind oft identisch). Haeckels Beschreibungen repräsentierten demnach die Wahrnehmung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Auch stellten Haeckel & Co. die Embryonen präpariert dar, ohne Dottersack und Anhängsel – beschrieben meist im Klappentext zu den Tafeln, teilweise auch im Text – während die zum Vergleich verwendeten Fotos diese oft zeigen. Die wahrscheinlich in den Angriffen anfangs des 20. Jahrhunderts gemeinten „schematisierten“ Abbildungen finden sich in Haeckel's Schöpfungsgeschichte (Berlin 1879, zwischen Seite 272 und 273). Rekapitulation in der Evolutions- und EntwicklungspsychologieEs wurde versucht, die Rekapitulationstheorie auch auf die Entwicklungspsychologie und die kulturelle Entwicklung des Menschen zu übertragen. Demnach durchlaufen Kinder im Laufe ihrer Sozialisation Stadien der kulturellen Entwicklung des Menschen. Diese Ansätze galten lange als verfehlt, zumal sie ideologisch instrumentalisiert wurden, um etwa zu belegen, dass sich manche Kulturen in einem weiter entwickelten, andere dagegen in einem „primitiven“ Stadium befinden. Jüngere Forschungen aus dem Bereich der Evolutionspsychologie und der kognitiven Archäologie weisen jedoch zumindest auf Parallelen zwischen der kognitiven Evolution des Homo Sapiens und der kognitiven Entwicklung von Kindern hin. [5] [6]Dies betrifft unter anderem kognitive Leistungen und Merkmale wie Sprache, Musik, symbolisches Denken sowie generell das Zusammenwirken der kognitiven Module. LiteraturPrimärquellen
Sekundärliteratur
Quellen
Siehe auch
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Biogenetische_Grundregel aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |