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MadentherapieBei der Madentherapie (auch: Biochirurgie) werden Maden der Goldfliegenart Lucilia sericata dazu eingesetzt, um chronische Wunden von nekrotischem (abgestorbenem) Gewebe und Bakterienbefall zu reinigen.[1] Der medizinische Einsatz wird durch die Besonderheit möglich, dass die Goldfliegenmaden sich ausschließlich von abgestorbenem Gewebe ernähren; intaktes Gewebe wird geschont, und der Maden-Einsatz regt sogar die Heilung an. Die Maden der Goldfliege besitzen eine extrakorporale Verdauung. Sie werden entweder als „Freiläufer“ eingesetzt, das heißt, sie befinden sich frei beweglich in der Wunde, oder in einem Beutel aus Polyvinylschaumstoff oder Gaze, der auf die Wunde aufgelegt wird. Die Abgabe von Verdauungssäften in die Wunde und die Aufnahme des angedauten, verflüssigten nekrotischen Gewebes erfolgt dann durch den Schaumstoff oder durch die Gaze hindurch. Die Akzeptanz bei Patienten und Pflegepersonal ist bei der zweiten Form der Therapie höher. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
Abbau von nekrotischen WundbelägenViele chronische Wunden sind von einem Belag aus abgestorbenen Zellen und Wundsekret bedeckt. Diese Beläge behindern die Wundheilung, da sie zum einen ein mechanisches Hindernis bei der Wundbehandlung darstellen und zum anderen vom Blutkreislauf und somit vom körpereigenen Immunsystem abgeschnitten sind. Diese Wundbeläge stellen ideale Nährböden für Bakterien dar, die ihrerseits die Wundheilung behindern. Durch den Bakterienbefall kann eine Gangrän hervorgerufen werden, und in Extremfällen kann es zu einem Multiorganversagen kommen, wenn aus der Grenzzone zwischen nekrotischem und intaktem Gewebe toxische oder immunsuppressive (Immunreaktionen unterdrückende) Stoffe in den Blutkreislauf gelangen. Da die Goldfliegenmaden sich fast ausschließlich von nekrotischem Material ernähren, stellen die Wundbeläge eine ideale Nahrungsquelle für sie dar. Die Goldfliegenlarven werden auf die zu behandelnde Wunde aufgebracht und scheiden dort Verdauungssäfte aus. Die darin enthaltenen Enzyme dauen nur das abgestorbene Gewebe an und verflüssigen es. Dabei wird lebendes Gewebe nicht angegriffen oder geschädigt. Das sich bildende Gemisch wird von den Goldfliegenmaden aufgesaugt und verdaut. Dabei nehmen die Goldfliegenmaden in wenigen Tagen um das Hundertfache zu. Dann stellen sie die Nahrungsaufnahme ein und müssen gegen neue, frisch geschlüpfte Goldfliegenmaden mit entsprechendem Appetit ersetzt werden. Nach mehreren Anwendungen bleibt eine vom nekrotischen Wundbelag befreite Wunde zurück, die dann besser weiterbehandelt werden kann und schneller abheilt. Antibakterielle WirkungDie Goldfliegenmaden beseitigen Bakterien, indem sie eine eigene Gruppe von antibakteriellen Stoffen (Defensine) produzieren und den pH-Wert in der Wunde durch Ausscheidung von Ammoniak und Ammoniakderivaten auf ein für Bakterien wenig verträgliches Niveau anheben. Danach werden die abgetöteten Bakterien zusammen mit dem angedauten, abgestorbenen Gewebe aufgesaugt und verdaut. Dabei ist unerheblich, ob die Bakterien gegen einzelne Antibiotika resistent sind oder gar Multiresistenzen besitzen. Aus diesem Grund wird die Madentherapie auch bei Wunden angewandt, die mit MRSA-Stämmen oder anderen multiresistenten Bakterien infiziert sind. In kurzer Zeit kann dadurch der Bakterienbefall einer Wunde erheblich vermindert werden. Durch die Anwendung der Madentherapie kann der Einsatz von Antibiotika verringert werden und damit sinkt die Gefahr, dass weitere antibiotika-resistente Bakterien auftreten. Förderung der WundheilungDie Goldfliegenmaden fördern die Wundheilung. Neben der Entfernung von Wundbelägen und Bakterien wird die Wundheilung und das Nachwachsen von frischem Gewebe durch Stoffe, die im Speichel der Goldfliegenmaden enthalten sind, angeregt und gefördert. NebenwirkungenEtwa 20 bis 25 Prozent der Patienten mit oberflächlichen schmerzhaften Wunden empfinden zusätzliche Schmerzen und benötigen Schmerzmittel (Analgetika). Gelegentlich verursachen die Maden kribbelnde und juckende Gefühle.[2] Geschichte der Wundbehandlung mit FliegenmadenSchon seit Jahrtausenden ist dem Ngemba-Stamm der Aborigines die Wundbehandlung mit lebenden Fliegenmaden bekannt. Auch wurde sie von den Maya praktiziert. Die Maya sollen mit Tierblut getränkte Tücher in die Sonne gelegt haben, und nachdem Fliegen ihre Eier darauf gelegt hatten, sollen sie diese Tücher auf Wunden gelegt haben. Im Mittelalter wurde immer wieder beobachtet, dass Wunden von Kriegsverletzten von Maden befallen waren. Eine gezielte Anwendung der Maden zur Wundbehandlung ist für diese Zeit nicht belegbar. Als erster hielt der Franzose und Chirurg Ambroise Paré (1510-1590) Beobachtungen im Zusammenhang mit Fliegenmaden in Wunden verletzter Soldaten schriftlich fest. 1829 beschreibt der französische Chirurg Baron Dominique Jean Larrey seine Beobachtung, dass Maden einer bestimmten Fliege nur totes Gewebe entfernen und eine positive Wirkung auf die Wundheilung haben. Diese Beobachtung machte Larrey auf einem Feldzug gegen Ägypten in Syrien. Der Versuch, diese Maden zur Wundbehandlung einzusetzen, scheiterte daran, dass er seine Soldaten nicht davon überzeugen konnte, die Maden auf ihren Wunden zu belassen. Im amerikanischen Bürgerkrieg wurden Fliegenmaden dann wieder gezielt zur Wundbehandlung eingesetzt. John Forney Zacharias, ein Chirurg auf der Seite der Konföderierten Staaten von Amerika setzte Maden bei gangränösen Wunden ein. Zacharias beschreibt neben einer schnellen und effektiven Wundheilung auch eine hohe Überlebensrate seiner Patienten: „I am sure I saved many lifes by their use, escaped septicemia and had rapid recoveries.“ Der Einsatz von Fliegenmaden durch Zacharias blieb aber die Ausnahme. Wenngleich anderen Militärärzten die Vorteile, die ein Fliegenmadenbefall von Wunden hat, nicht verborgen blieb, konnte sich doch kein weiterer zu einer gezielten Anwendung durchringen. 1929 führte der US-amerikanische Chirurg William S. Baer die Fliegenmaden in der Zivilchirurgie ein. Baer war Professor für orthopädische Chirurgie an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, Maryland. Hier suchte er nach Therapien für seine Osteomyelitis-Patienten, unter denen auch viele Kinder waren. Bei 21 Patienten mit bis dahin therapieresistenter chronischer Osteomyelitis (Knochenmarksentzündung) setzte Baer in die eröffneten Läsionen für vier Tage Maden einer heimischen grünen Schmeißfliege. Dies wiederholte er über sieben Wochen. Nach zwei Monaten konnten alle 21 Patienten als geheilt entlassen werden. Dieser Erfolg bei den zuvor untherapierbaren Fällen sprach sich schnell herum. Die Nachfrage nach der Madentherapie war so groß, dass Baer und sein Schüler Santon K. Livingston eine Madenaufzucht errichteten, wodurch auch die Gefahr der Keimübertragung durch die Fliegenmaden reduziert wurde. Auf die Idee, Fliegenmaden als Behandlungsmethode einzusetzen, kam Baer, weil er im Ersten Weltkrieg Militärarzt war und 1917 zwei Soldaten behandelt hatte, die sieben Tage verwundet auf einem Schlachtfeld in Frankreich gelegen hatten. In deren Wunden befanden sich tausende Fliegenmaden. Nachdem Baer diese entfernt hatte, stellte er fest, dass die Wunden sauber waren und erstaunlich schnell und ohne Komplikationen heilten. Zwischen 1930 und 1940 wurden über 100 medizinisch-wissenschaftliche Publikationen zum Thema Madentherapie veröffentlicht. In über 300 amerikanischen Krankenhäusern wurde die Madentherapie in der Praxis angewandt. Vom Pharmaunternehmen Lederle wurden Maden zur Wundbehandlung kommerziell produziert. Durch die Einführung der Antibiotika Sulfonamid und Penicillin kam der Fortschritt in der Madentherapie zum Erliegen. Zwischen 1940 und 1990 erschienen lediglich vereinzelte Artikel, in denen beschrieben wurde, wie die Madentherapie als letzte exotische Behandlung bei hoffnungslosen Fällen eingesetzt wurde. 1988 wurde die Madentherapie von Wainwright für tot erklärt: ... Glücklicherweise ist die Madentherapie heute ein historisch totes Gewässer, deren Interesse eher in ihrer bizarren Natur als in ihren medizinischen Effekten liegt ... Eine Therapie, deren Ableben niemand nachtrauert ... Diese Einschätzung hatte nicht lange Bestand. Schon in den frühen 1990er Jahre wurde die Madentherapie durch die amerikanischen Ärzte Ronald Sherman und Edward Pechter erneut etabliert. Sie bauten im Veterans Administration Hospital in Long Beach/Kalifornien eine Fliegenzucht auf, in der sie Maden produzierten, die sie dann zur Wundbehandlung einsetzten. Die Erfolge, die sie mit der Madentherapie erzielten und die sie in klinischen Studien dokumentierten, weckten weltweit das Interesse der medizinischen Fachwelt. 1995 wurde durch Steve Thomas eine Produktionsstätte für Fliegenmaden in Großbritannien aufgebaut. Seit 1996 werden Fliegenlarven zur Wundbehandlung von chronischen und infizierten Wunden am Krankenhaus Bietigheim angewendet. Seitdem werden dort etwa 1000 Patienten pro Jahr mit sterilen Fliegenlarven behandelt [3]. In Deutschland haben sich die Firma Neocura und die Firma Biomonde [4] als Hersteller und Vertreiber von Fliegenmaden etabliert. 2002 wendeten über 1000 Kliniken, Krankenhäuser und Arztpraxen die Madentherapie an. Die Wirksamkeit der Madentherapie gegen Wundinfektionen – beispielsweise bei der postoperativen Wundbehandlung – ist 2004 von der Food and Drug Administration (FDA), der amerikanischen Arzneimittelzulassungsbehörde, anerkannt worden [5]. AnwendungsbeispieleNeben der Knochenmarksentzündung (Osteomyelitis) und der diabetischen Gangrän, bei der Gewebe abstirbt, wird die Madentherapie auch bei Unterschenkelgeschwüren (Ulcus cruris) und bei entzündlichen Druckstellen (Dekubitus) angewendet. Die Madentherapie ist verschreibungspflichtig. Kostenübernahme durch gesetzliche KrankenkassenDie von den oben angegebenen Lieferfirmen hergestellten Madenpackungen sind inzwischen als Rezepturarzneimittel anerkannt und können durch individuelle Verschreibung eines Arztes über ein Kassenrezept bezogen werden. [6] Literatur
Quellen
Kategorien: Chirurgie | Therapie | Lesenswert |
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Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Madentherapie aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar. |