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AutoimmunerkrankungAutoimmunerkrankung ist in der Medizin ein Überbegriff für Krankheiten, deren Ursache eine überschießende Reaktion des Immunsystems gegen körpereigenes Gewebe ist. Irrtümlicherweise erkennt das Immunsystem körpereigenes Gewebe als zu bekämpfenden Fremdkörper. Dadurch kommt es zu schweren Entzündungsreaktionen, die zu Schäden an den betroffenen Organen führen. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
DefinitionT-Zellen sind für die Erkennung von Fremdstoffen verantwortlich. Im Thymus werden sie dafür geschult, nur an MHC-Moleküle anzudocken und körpereigene Strukturen zu tolerieren. Bei Autoimmunkrankheiten verhalten sich diese Zellen entgegen ihrer Natur. Anstatt eindringende Fremdkörper abzuwehren, greifen sie körpereigene Strukturen an. Organe werden als fremd empfunden, die lebensnotwendig für den Organismus und das Immunsystem sind. Das Immunsystem richtet seine ganze Abwehrstärke gegen diese Organe (zelluläre, wie auch humorale Abwehrreaktionen; Autoantikörper werden gebildet), was zur Folge hat, dass diese Organe im Laufe der Zeit ihre Funktion aufgeben müssen. Das Immunsystem wird geschwächt, und der Körper wird anfällig für allerlei Krankheiten. Die Fremdkörpererkennung wird gestört, was zur Folge hat, dass entartete Tumorzellen zu wuchern beginnen und bösartige Ausmaße erlangen (dies sind Symptome einer Immunmangelkrankheit). Im Körper bricht ein erbitterter Kampf aus: Immunzellen zerstören die körpereigenen Strukturen, während das Reparatur-System des Körpers die geschädigten Organteile zu erneuern versucht. Dieser „falsche“ Angriff des Abwehrsystems setzt sich ohne Behandlung in der Regel lebenslang oder bis zur vollständigen Zerstörung des Organs fort. MHC-MoleküleUnser Organismus kann zwischen eigenen und körperfremden Eiweißmolekülen (z.B. von Bakterien, Viren oder Würmern) unterscheiden; der Körper muss daher über Selbsterkennungsproteine verfügen. Für die Unterscheidung entscheidend sind die MHC-Proteine (Major Histocompatibility Complex). Mit Hilfe dieser Membranproteine erkennt das Immunsystem körperfremde Zellen. Es gibt zwei Typen von MHC-Proteinen, Proteine der Klasse I (HLA-Klasse-I-Moleküle) kommen auf fast allen kernhaltigen Zellen des Körpers vor. MHC-Moleküle der Klasse II (HLA-Klasse-II-Moleküle) kommen dagegen ausschließlich auf der Oberfläche von Antigen-präsentierenden Zellen (z.B. Makrophagen) vor. Die Klasse I und II MHC-Moleküle werden von 13 oder 14 Genen codiert, die - mit Ausnahme von B2M - alle im HLA-Locus auf Chromosom 6 liegen. Diese Gene sind polymorph, das heißt, dass auf Populationsebene eine große Anzahl an verschiedenen Allelen existiert. Daher besitzen zwei weitläufig verwandte Menschen nur sehr selten den gleichen Satz von MHC-Proteinen. Da die MHC-Proteine auf der Oberfläche fast aller Zellen (rote Blutkörperchen ausgenommen) anzutreffen sind, sind sie charakteristisch für die Oberflächenstruktur. Im menschlichen Organismus wird die Oberflächenstruktur als Ausweis angesehen (T-Zellen überprüfen die Zelloberflächen von anderen Zellen, um zu erkennen, ob diese Zellen körperfremd sind). Probleme treten auf, wenn die Oberflächen dieser Zellen verändert sind. Bei Organtransplantationen stellt dieser Aspekt ein großes Problem dar, weil in vielen Fällen die transplantierten Organe vom Körper abgestoßen werden. Bei Nieren- und Knochenmarktransplatationen wird daher versucht Spender-Empfänger-Paare zu finden, die mit den Oberflächenstrukturen des Organempfängers weitestgehend zusammenpassen. ImmuntoleranzDer erste Forscher, der den Unterschied zwischen „selbst“ und „nicht selbst“ erkannte war der deutsche Mikrobiologe Paul Ehrlich. Er wollte ursprünglich um 1900 herausfinden, was mit Blut, das nach inneren Blutungen zurückbleibt, geschieht. Daher startete er einen Versuch, indem er Ziegen Schafsblut injizierte. Das Erstaunliche war, dass das Immunsystem die fremden Blutzellen (Erythrozyten) sogleich vernichtete. Als Ehrlich später den Versuch mit artgleichen Tieren durchführte, geschah dasselbe. Das Immunsystem wehrte sich gegen die fremden Blutzellen. Erst als er eine Ziege mit ihrem eigenen Blut behandelte, erkannte Ehrlich, dass der Körper verstand, was körperfremd und körpereigen ist. Die Ziege zerstörte bei diesem Versuch die injizierten Blutzellen nicht (obwohl Ehrlich das Blut eine gewisse Zeit aufbewahrte). Obwohl dieser Versuch mit seinem Anfangsgedanken nun wenig in Verbindung stand, zog Ehrlich seine Schlüsse und stellte das biologische Prinzip der Horror autotoxicus (Furcht vor Selbstzerstörung) auf. Obwohl dieses Prinzip äußerst simpel klingt, ist es dennoch lebensnotwendig für alle Lebewesen. Würde die Ziege ihr eigenes Blut abbauen, würde sie schon bei geringsten Verletzungen sterben (wenn ihr Immunsystem ihr eigenes Blut angreifen würde). Doch dieser Selbstschutz ist nicht immer von Vorteil. Körpereigene Krebszellen werden daher vor ihrer Zerstörung bewahrt. Denn der Körper greift sich im Normalfall nicht selbst an. Doch in der heutigen Medizin ist seit Neuestem bekannt, dass Krebszellen ebenso wie Antigene vom Immunsystem angegriffen werden, wenn sie sich nur deutlich genug von Nicht-Krebszellen (gesunden Zellen) unterscheiden. Wie kommt es dennoch dazu, dass der eigene Körper im Falle einer Autoimmunkrankheit seine Organe als fremd ansieht und angreift? Mit genau diesem Problem sind die heutigen Forscher und Mediziner konfrontiert. EntstehungDie genaue Ursache von Autoimmunerkrankungen ist trotz intensiver Forschung weiterhin unklar. Anerkannte Hypothesen gehen davon aus, dass Autoimmunkrankheiten durch die Kombination von angeborener "Empfänglichkeit" (Genetische Disposition z.B. durch das Vorhandensein bestimmter MHC-Molekül-Varianten). Gibt es im Körper des Betroffenen solche genetisch bedingte Faktoren und es kommen darüber hinaus ungünstige Umweltfaktoren wie starker Stress, Infektionen („molekulare Mimikry“s.u.), Schwangerschaft hinzu, kann es zum Ausbruch von Autoimmunerkrankungen kommen. ("Bad luck and bad genes": ungefähr: "Pech und falsche Gene") Die Zielstrukturen der Autoimmunreaktion kann sich auf ein bestimmtes Organ (von der Haarwurzel bis zur Leber) beschränken oder den ganzen Körper (mehrere Organe und Gefäßsystem) befallen. Mischformen mit mehreren Autoimmunerkrankungen sind nicht selten. AutoantikörperTreffen auf einen Menschen die oben genannten Faktoren (erbliche Empfänglichkeit sowie ungünstige Umwelteinflüsse z.B. eine virale Infektion) zu, dann entsteht eine Autoimmunerkrankung. Autoantigene, wie z.B. Reste von Zellwänden, DNA-Fragmente oder körpereigene Proteine schwimmen im Blutstrom durch den Körper. T-Lymphozyten und andere Immunzellen erkennen nun diese Antigene fälschlicherweise als fremd. Wie bei einer natürlichen Abwehrreaktion schaltet sich nach der Erkennung der „Fremdkörper“ die Immunantwort ein. Entzündungsfördernde Stoffe (bestimmte Zytokine) werden ausgeschüttet und somit die Zell-Zell-Kommunikation gefördert. Immer mehr Immunzellen werden angelockt, und die falschen Informationen werden weitergeleitet. B-Lymphozyten differenzieren sich zu Plasmazellen und beginnen mit der Produktion von Autoantikörpern (Autosensibilisierung), die ins Blut abgegeben werden. Mit dem Blut gelangen sie in den gesamten Körper und binden sich an ihre spezifischen Antigene (z.B. Zellwände). Dort lagern sich die Antikörper an die Zielstrukturen der Autoimmunreaktion an und markieren diese Zellen für Freßzellen und CD8 T-Zellen als zu beseitigende. Das führt zur Schädigung des betroffenen Organs. Auf dieselbe Weise können diese Antikörper an Nervenzellen andocken und wie z.B. bei Multiple Sklerose zu - für die Hirnregion spezifischen - Störungen führen. Neben dem Faktor des Verlustes der Immuntoleranz könnte auch ein Erreger den Ausbruch einer Autoimmunkrankheit verursachen. Dieser Erreger müsste eine sehr hohe Ähnlichkeit mit der Struktur eines körpereigenen Gewebes haben (viele Erreger versuchen den Körper durch ihre Oberfläche zu täuschen, damit sie ungehindert in den Körper gelangen können; dieser Täuschungsversuch wird als „molekulare Mimikry“ bezeichnet). Nach dem Erkennen des Erregers wird die Immunabwehr diesen bekämpfen (Autoantikörper werden gebildet und Immunzellen greifen dabei auch eigene Gewebsstrukturen an). Nach der initialen Immunreaktion verbleiben Gedächtniszellen permanent im Körper, die nach diesem Erreger "suchen", was zur Autoimmunkrankheit führen könnte (Gedächtniszellen stoßen auf das spezifische Gewebe und verursachen Abwehrreaktionen). Ein bekanntes Beispiel ist das so genannte “rheumatische Fieber“, ein Infekt durch Streptokokken (genauer β-hämolysierenden Streptokokken). Die Antikörper, die gegen diesen Erreger gebildet werden können, wenn man genetisch anfällig für Autoimmunkrankheiten ist, das Gewebe des Herzmuskels angreifen. TherapieAutoimmunerkrankungen werden je nach betroffenem Organ von den jeweiligen Fachärzten, z.B. Internisten, Dermatologen, Neurologen , Endokrinologen oder Nuklearmedizinern behandelt. Grundprinzip der kausalen Therapie ist hierbei, die Aktivität des Immunsystems durch Gabe von Immunsuppressiva , z.B. Cortison, zu dämpfen. Aufgrund der mannigfaltigen systemischen Neben- und Wechselwirkungen dieser Substanzen wurde versucht, neue Medikamente zu entwickeln, die spezifisch die am Krankheitsgeschehen beteiligten Mechanismen beeinflussen. Beispiele hierfür sind Natalizumab und Infliximab, die zur Therapie der Multiplen Sklerose bzw. der Rheumatoiden Arthritis eingesetzt werden. Obwohl diese neueren Substanzen sehr spezifisch wirken und von den meisten Patienten sehr gut vertragen werden kann es in seltenen Fällen zu schweren Nebenwirkungen kommen (z.B. Progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) unter Natalizumab). Klassifikation von AutoimmunerkrankungenHeutzutage sind ca. 60 Autoimmunkrankheiten bekannt, und das Spektrum der erkrankten Organe ist sehr groß. Man kann diese Krankheiten in drei Gruppen aufteilen: 1. Organspezifische Krankheiten: Zu ihnen zählen Krankheiten, bei denen spezifische Organe (Gewebsstrukturen) vom Immunsystem angegriffen werden. 2. Systemische Krankheiten bzw. nicht-organspezifische Krankheiten: Systemisch-entzündliche rheumatische Erkrankungen wie Kollagenosen, die 5−10 Prozent der Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises ausmachen, gehören in diese Gruppe. Typische Autoantikörper sind hier die Antinukleären Antikörper (ANA), die gegen Strukturen des Zellkerns, teilweise aber auch des Zytoplasmas gerichtet sind. 3. Intermediäre Krankheiten: Sie sind Mischformen oder Übergangsformen. Eine breite Immunantwort wird bei diesem Krankheitstyp ausgelöst.
Literatur
Siehe auch
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