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Auguste Forel



Auguste-Henri Forel (* 1. September 1848 auf dem Landsitz La Gracieuse in Morges (Kanton Waadt); † 27. Juli 1931 in Yvorne bei Aigle) war Psychiater, Entomologe und Sozialreformer. Er gilt als Vater der Schweizer Psychiatrie und als einer der wichtigsten Vertreter der Abstinenzbewegung in der Schweiz.

 

Inhaltsverzeichnis

Leben

Von 1862 bis 1866 absolvierte er das Gymnasium in Lausanne. Anschliessend studierte er von 1866 bis 1871 Medizin an der Universität Zürich. Dort erlebte er, wie die ersten mutigen Frauen das Medizinstudium ergriffen. Seine Mitstudentinnen kamen vorwiegend aus Russland, aber auch aus England, den USA und der Schweiz. Im Jahre 1871 war Forel freiwilliger ärztlicher Helfer im Deutsch-Französischen Krieg.

1871 und 1872 arbeitete er an seiner Doktorarbeit über Neuroanatomie bei Theodor Meynert in Wien. 1872 schloss er das Staatsexamen in Lausanne und die Promotion in Zürich ab.

Von 1873 bis 1878 war er Assistenzarzt bei Bernhard von Gudden, dem damals führenden Hirnforscher Europas, in München. 1877 erlangte er die venia legendi an der Ludwig-Maximilians-Universität in München mit der Habilitationsschrift über seine Untersuchungen der Haubenregion im Gehirn des Menschen.

Von 1879 bis 1898 war er Professor für Psychiatrie an der Universität Zürich und Direktor der Psychiatrischen Heilanstalt Burghölzli. 1883 heiratete er Emma Steinheil, die Tochter seines Ameisenforscher-Freundes Eduard Steinheil. Seine Bemühungen zur Heilung des Alkoholismus mittels Abstinenz und Arbeitstherapie führten 1889 zur Eröffnung der Trinkerheilstätte Ellikon an der Thur (seit 1984 Forel-Klinik).

Zoologische Forschungsreisen führten ihn 1893 nach Algerien sowie 1896 und 1899 nach Südamerika.

Bereits mit fünfzig Jahren trat er als Direktor des Burghölzli zurück und beendete seine Professorenlaufbahn. Ab 1898 widmete er sich seinen privaten Studien in Chigny bei Morges und ab 1907 auf dem Landsitz Fourmilière in Yvorne. Er unterzeichnete den Gründungsaufruf für den Monistenbund. Ernst Haeckel fragte Forel in einem Brief vom 10. Mai 1906, ob er stellvertretender Präsident, eventuell auch Präsident des Monistenbundes werden wolle.

Forel gründete 1909 den Internationalen Verein für medizinische Psychologie und Psychotherapie. 1916 wurde er als Mitglied der Sozialdemokratischen Partei aktiver Sozialist und 1920 Bahai. Forel war zudem Internationalist, Pazifist und Verfechter der Weltbrückensprache Esperanto. Er lehnte den Nationalismus und Chauvinismus ab, sondern trat statt dessen für einen internationalen Friedensbund ein.

Nach dem Tod Forels wurde er in einem Memorandum des Deutschen Monistenbundes vom September/Oktober 1931 "als unermüdlicher, temperamentvoller Kämpfer, Gelehrter, Freidenker, Sozialist, Pazifist, Gegner des Massenmörders Alkohol (und) Sozialreformer" gewürdigt.

Wirken

Hirnforscher

Unter Guddens Leitung half er bei der Verbesserung der Konstruktion des Mikrotoms, das Forel 1874 die erste vollständige Serie von 2000 mikroskopischen Schnittpräparaten des menschlichen Gehirns ermöglichte. Damit schuf er die Grundlage für die neue Diskontinuitätstheorie und den Neuronen-Begriff.

Durch Vergleich der Resultate der Untersuchungsmethoden Guddens und Camillo Golgis entdeckte Forel das Neuron und begründete damit die Neuronenlehre. Das Buch Neuronentheorie, 1887 erschienen, bildete den Höhepunkt in seinem Wirken als Hirnanatom.

Arzt und Psychiater

  Als Hirnforscher und Psychiater überprüfte Forel seine biologischen Forschungsresultate auf ihre Zusammenhänge für Gehirn und Seele des Menschen und die Gesellschaft. Wie sein Lehrer Meynert betonte er stets die Einheit von Gehirn und Seele, womit er Angriffe durch die Kirche auf sich zog. Als einer der ersten erkannte er die Bedeutung der neuen Entwicklungen der Psychologie für die Heilung von Geisteskranken. Schon 1887 reiste er zum Studium des Hypnotismus zu Hippolyte Bernheim nach Nancy. Gegen den Widerstand der traditionellen Ärzteschaft verhalf er der Suggestionstherapie (Hypnotismus) zum Durchbruch in der Schulmedizin. Die Psychiatrie wurde zum Pflichtfach für das Medizinstudium.

Als Direktor des Burghölzli beschäftigte Forel das Wohl der Geisteskranken, die Verhütung der Geisteskrankheiten und der Schutz der Gesellschaft. Er entwickelte moderne Arbeitstherapien für Geisteskranke und führte den Begriff der „verminderten Zurechnungsfähigkeit“ ein, damit geisteskranke Verbrecher einer Heilanstalt statt einer Strafanstalt zugeführt werden konnten.

Auch als Privatgelehrter blieb er aktiv und half bei der Verbreitung der Psychotherapie. Seine bekanntesten Schüler waren Eugen Bleuler (sein Nachfolger als Direktor des Burghölzli), Anton Delbrück und Adolf Meyer (führender Psychiater an der Ostküste der USA) und der Zürcher Arzt Fritz Brupbacher.

Sozialreformer

Im Burghölzli machten Forel die vielen Alkoholiker zu schaffen. Durch die Begegnung mit seinem Schuhmacher, einem Mitglied des Blauen Kreuzes, wurde er von der Vorbildwirkung und Bedeutung der Abstinenz für den Heilungsprozess überzeugt – Forel trank selbst keinen Alkohol mehr, obwohl er schon als Gymnasiast in Lausanne an täglichen Alkoholkonsum gewöhnt war. Zur Behandlung von Alkoholkranken gründete er die erste Trinkerheilanstalt. Als Arzt war er jedoch nicht nur an der Heilung, sondern auch an der Prävention interessiert. Dazu gründete er 1892 den Schweizerischen Guttemplerorden und förderte alkoholfreie Wirtshäuser.

1905 veröffentlichte Forel das aufsehenerregende Standardwerk Die sexuelle Frage, in dem er die menschliche Sexualität aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen als Arzt erstmals ganzheitlich naturwissenschaftlich, psychologisch und soziologisch behandelte. Er trat für die Enttabuisierung des Sexuallebens und die Gleichberechtigung der Frau ein, weil er überzeugt war, dass das Wohlergehen und Glück der Menschheit zum grossen Teil von der Lösung der sexuellen Frage abhinge.

Im Mai 1914 setzte sich Forel in einer Hamburger Zeitschrift mit dem Aufsatz Die vereinigten Staaten der Erde für den Frieden ein. Er glaubte, dass vor allem durch geeignete Erziehung, begleitet von Eugenik und anderen Massnahmen, die Raubtiernatur des Menschen gemildert werden könnte.

Ameisenforscher

Forels Ameisenforschung begleitete ihn das ganze Leben und fand ihren Niederschlag in 273 Werken über Ameisen und andere Insekten.

Bereits im Alter von sieben Jahren begann Forel systematisch Ameisen zu beobachten. 25jährig veröffentlichte Forel das preisgekrönte Werk Die Ameisen der Schweiz. Charles Darwin sprach ihm in mehreren Briefen seine Bewunderung für das Werk aus.

Das letzte grosse Werk des 72jährigen Forel Le monde social des fourmis stellt die soziale Welt der Ameisen der ganzen Erde dar.

Eugeniker

Forel vertrat „eugenische“ Ideen, wie auch mehrere Nachfolger an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (Burghölzli), z. B. Eugen Bleuler, Hans Wolfgang Maier und Eugen Bleulers Sohn Manfred Bleuler).

Kritik

Die Historikerin Regina Wecker, Professorin für Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Universität Basel stellte fest: „Die 'Einordnung' von Forel fällt schwer: Anders als die meisten Eugeniker ist er dem linken Lager zuzuordnen und verbindet in seiner Gesellschaftsanalyse explizit rassistische Vorstellungen und Theorien mit sozialen Anschauungen. In seinem Hauptwerk, Die sexuelle Frage (1904), plädiert er für die Trennung von Sexualität und Reproduktion. Er setzte sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter und für die soziale Besserstellung und gesellschaftliche Anerkennung nicht verheirateter Mütter ein."[1]

Mit folgender Aussage beschäftigt sich Forel mit der Geschichte der Eugenik:

„Früher, in der guten alten Zeit, machte man mit unfähigen, ungenügenden Menschen kürzeren Prozess als heute. Eine ungeheure Zahl pathologischer Hirne, die (...) die Gesellschaft schädigten, wurde kurz und bündig hingerichtet, gehängt oder geköpft; der Prozess war insofern erfolgreich, als die Leute sich nicht weiter vermehren und die Gesellschaft mit ihren entarteten Keimen nicht weiter verpesten konnten“[2]

In seinem Hauptwerk „Die sexuelle Frage“ (Ausgabe 1907) finden sich folgende Aussagen:

„Allerdings hat die Homogenität einer Rasse den Vorteil, ihre Eigentümlichkeiten bleibender und charakteristischer zu gestalten, aber diese Vorteile stehen wieder viele Nachteile gegenüber.“[3]
„Bei Mischlingen gehört fast immer der Vater der höheren Rasse an, nicht umgekehrt. Sehr selten tritt ein weisses Weib mit einem Neger in Ehe.“[4]

Forel rühmte sich ausserdem, an Burghölzli-Patienten und -Patientinnen die ersten Kastrationenen und Sterilisationen aus „sozialen“ Motiven in Europa veranlasst zu haben (nach diesbezüglichen Vorläufern in den USA). Da er Kastrationen als gefährlicher ansah, setzte sich Forel 1905 für die harmlosere Sterilisation ein. Die modernen Formen der Empfängnisverhütung waren damals noch nicht bekannt und die Abtreibung war verboten. Forel war der Ansicht, dass Sterilisation das kleinere Übel wäre als eine dauernde Einsperrung. Unter dem Druck der Drohung dauernder Einsperrung wurde von den Opfern der „eugenisch“ motivierten Zwangssterilisationen oft, aber nicht immer, eine formelle Einwilligung abverlangt; der Zwangscharakter liegt in eben dieser Alternative: dauernde Einschliessung oder Unfruchtbarmachung, vor die sie gestellt wurden. Ab den 1920er Jahren war die Eugenik aus Angst vor der Degenerierung des Volkes im rechten und linken politischen Spektrum weit verbreitet. Forels Schüler Alfred Ploetz wurde einer der Begründer der Rassenhygiene in Deutschland. Ein weiterer Schüler, Ernst Rüdin, ein Schweizer aus St. Gallen, wurde unter Hitler zu einem der leitenden Rassenhygieniker. Unter dem Einfluss der Ideen Forels (und anderer schweizerischer Rassenhygieniker) steht auch das Waadtländer Zwangssterilisationsgesetz von 1929, das erst 1985 aufgehoben wurde. Moderne Formen der „Eugenik“ sind die durch die Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik geförderte Abtreibung aus eugenischen Gründen.

Werk

Sein wissenschaftliches Werk umfasst 591 Bücher und wissenschaftliche Aufsätze und 564 Zeitungsartikel.

Auszeichnungen

1872 erhielt er den Schläfli-Preis der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft für sein umfassendes Buch „Die Ameisen der Schweiz“.

1896 wurde er Ehrendoktor der Universität Zürich.

Vom 4. April 1978 - 1. April 1998 war Auguste Forel auf der Schweizer 1000er-Bank-Note zu sehen. Auf der Rückseite dieser Banknote waren drei Ameisen und ein Vertikalschnitt durch einen Ameisenhaufen zu sehen.


Die Auguste-Forel-Medaille ist die höchste Auszeichnung der Abstinenzorganisation IOGT Schweiz, die jährlich für herausragende Leistungen an eines ihrer Mitglieder vergeben wird. Preisträger 2005 ist Heinrich Polt, dem der Preis anlässlich der IOGT-Jahrestagung vom 24.-26. Juni 2005auf dem Bienenbergin Liestal vergeben wurde.

Quellen

  1. Regina Wecker, Psychiatrie – Eugenik - Geschlecht, in Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie, Bd. 154/ Mai 2003, S.226, Fußnote 5
  2. Auguste Forel, Hygiene der Nerven und des Geistes, in Bücherei der Gesundheitspflege, Bd. 9, Verlag von Ernst Heinrich Moritz, Stuttgart 1903, S.86f
  3. Auguste Forel, Die sexuelle Frage, E. Reinhardt, 1907, S.45
  4. Auguste Forel, Die sexuelle Frage, E. Reinhardt, 1907, S.175

Literatur

Primärliteratur

  • Die sexuelle Frage. Eine naturwissenschaftliche, psychologische, hygienische und soziologische Studie für Gebildete. 1. Aufl., 587 S., E. Reinhardt, München 1905
  • Abstinenz oder Mäßigkeit. 21 S., J. F. Bergmann, Wiesbaden 1910
  • Der Weg zur Kultur. 163 S., Anzengruber, Leipzig, Wien 1924
  • Briefe – Correspondance 1864-1927. Hrsg. von Hans H. Walser, 558 S., Verlag Hans Huber, Bern, Stuttgart 1968
  • Rückblick auf mein Leben, Europa-Verlag, Zürich 1935
  • Der Hypnotismus oder die Suggestion und die Psychotherapie, 1. Auflage 1889, 11. Auflage Stuttgart 1921, Verlag F. Enke, S.377

Sekundärliteratur

  • August Forel 1848-1931 – Arzt, Naturforscher, Sozialreformer, Ausstellungskatalog der Universität Zürich, Herbst 1986
  • Art. Auguste Forel in Alcohol and Temperance in History, hg. v. Jack S. Blocker u.a., ABC-Clio, Santa Barbara 2003 (Verf. H. Spode).

Kritische Literatur

  • Annemarie Wettley: August Forel. Ein Arztleben im Zwiespalt seiner Zeit. Otto Müller Verlag, Salzburg 1953
  • Willi Wottreng: Hirnriss: Wie die Irrenärzte Auguste Forel und Eugen Bleuler das Menschengeschlecht retten wollten. Weltwoche-Verlag Zürich, 1999. ISBN 3-85504-177-6
  • Thomas Huonker: Diagnose 'moralisch defekt'. Kastration, Sterilisation und Rassenhygiene im Dienst der Schweizer Sozialpolitik und Psychiatrie 1890–1970. Verlag Orell Füssli, Zürich 2003. ISBN 3-280-06003-6
  • Auguste Forel – Eugenik und Erinnerungskultur, Hg. Anton Leist, vdf Hochschulverlag, Zürich 2006. ISBN 3728130478

Siehe auch

Eugenik, Zwangssterilisation

 
Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Auguste_Forel aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation. In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar.
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