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Alfred HocheAlfred Erich Hoche (* 1. August 1865 in Wildenhain; † 16. Mai 1943 in Baden-Baden) war ein deutscher Psychiater. Weiteres empfehlenswertes FachwissenLeben und WirkenAb 1902 hatte er eine Professur in Freiburg im Breisgau und war Direktor der Universitätsnervenklinik ebendort. Hoche war Gegner der Psychoanalyse nach Sigmund Freud. An frisch Enthaupteten erforschte Hoche die Physiologie und Pathologie des Rückenmarks und widmete sich der forensischen Psychiatrie. Die von Karl Binding aufgeworfene Frage, ob Menschen ihren Wert verlieren könnten, bejaht er. „Unheilbarer Blödsinn“ stehe im Vordergrund seines Interesses als Psychiater. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung stand die wirtschaftliche und moralische „Belastung“ der Gesellschaft durch kranke Menschen. Der Schriftsteller Alfred Döblin promovierte bei Alfred Hoche. Alfred Hoche war mit Hedwig Goldschmidt verheiratet. Aufgrund dessen reichte Hoche 1933 seine Entlassung als Professor ein, um einer demütigenden Entlassung aufgrund des neuen Beamtengesetzes wegen „jüdischer Versippung“ zuvorzukommen. Er hat nach 1933 nicht mehr als Psychiater gearbeitet, sondern sich der Literatur zugewendet. Unter dem Pseudonym Alfred Erich veröffentlichte Hoche auch Gedichte. Vordenker der EuthanasieZusammen mit dem Strafrechtler Karl Binding veröffentlichte er 1920 die Broschüre „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form.“ Diese Schrift wurde später von den Nationalsozialisten zur Rechtfertigung des „Euthanasie“-Programms, der Aktion T4, herangezogen. Binding und Hoche vertraten in ihrer Broschüre folgende Auffassungen: Die Broschüre besteht aus zwei Aufsätzen: Der Aufsatz von Alfred Hoche überschreitet die von Binding aufgezeigten Grenzen. Hoche gibt eingangs zu bedenken, dass es keine festgeschriebene ärztliche Sittenlehre gäbe. Neben den allgemein akzeptierten Zielen ärztlichen Handelns wie: das menschliche Leben erhalten, das Leben verlängern helfen, Schmerzen beseitigen und heilen, müsse der Arzt durchaus auch Leben beenden. Zum Beispiel, wenn bei einer Schwangerschaft nur das Leben der Mutter oder das Leben des Kindes gerettet werden kann, entscheide sich der Arzt dafür, das Kind zu töten, um die Mutter zu retten. Auch praktiziere der Arzt z.B. als Chirurg durchaus Körperverletzung. Dabei auftretende Todesfälle müsse man akzeptieren. Der Arzt stünde einer Reihe von Versuchungen gegenüber, von seinem Gebot der Lebensverlängerung abzurücken: Angehörige bitten darum, den Patienten von seinem Leiden zu erlösen; zu oft wäre das Laufenlassen des Sterbensprozesses die einfachste Methode; gerade der forschende Arzt sei der Versuchung ausgesetzt, einen Sterbenden schneller in den Tod zu spritzen, um ein gut erhaltenes Objekt für seine Sektionen zu bekommen. Diesen Versuchungen müsse der Arzt widerstehen, denn es bestünde die Gefahr des „Schätzungsirrtums“. Nichtsdestoweniger wird so manche „Wohltat zur Plage“, argumentiert Hoche. Oft würde man den Sterbenden bei seinem Sterben nur stören, und die lebensverlängernden Maßnahmen würden vom Todgeweihten gar nicht mehr als Hilfe wahrgenommen. Im Grunde geht es Hoche aber nicht um die passive oder aktive Sterbehilfe. In Hoches Aufsatz tritt jetzt ein jäher Bruch ein. Er wechselt unvermittelt vom Ton des einfühlsamen mitleidenden Arztes in den Ton des in reinen Kosten-Nutzen-Kategorien denkenden Volkswirtschaftlers. Hoche spricht jetzt von jenen Patienten, die mit schweren Hirnschäden dauerhaft in Heimen untergebracht sind. Hier sei zu unterscheiden zwischen jenen Patienten, die im Laufe ihres Lebens durch Verletzung oder Erkrankung eine gravierende Beeinträchtigung ihrer Hirnfunktion erlitten haben, und jenen Patienten, die von Geburt an eine Minderfunktion des Gehirnes mitbringen. In medizinischen Begriffen handelt es sich hier um die Endstadien der Altersdemenz (jeglicher Form), der Dementia paralytica, der Dementia praecox und die Idiotie. Hoche argumentiert, dass es angesichts des verarmten deutschen Staates und seiner Bürger nicht mehr zu verantworten sei, solche „Ballastexistenzen“ und „leere(n) Menschenhülsen“ durchzufüttern, anstatt mit den knappen Mitteln hoffnungsvollere Fälle zu fördern. Doch Hoche bleibt nicht lange bei der Kosten-Nutzen-Rechnung. Nun propagiert der Psychiater den unbedingten Vorrang des Gesamtorganismus von Staat und Volk. Wie in einer gefährlichen Nordpolexpexpedition müssten die Interessen des Individuums zurückstehen, damit das Expeditionsteam als Ganzes das Ziel erreicht. Halbe, Viertel- und Achtelportionen müssen auf dem Weg zurückgelassen werden. Leider, so findet Hoche, ist das deutsche Volk noch nicht reif für diese Rosskur. Hinderlich ist „... modernes Bestreben ... möglichst auch die Schwächsten aller Sorten zu erhalten.“ Bislang habe man in Deutschland auch noch nicht versucht, diese „Ballastexistenzen“ von der Fortpflanzung auszuschließen. Den Begriff "Ballastexistenzen" fasst er jedoch weiter als das was er unter "geistig Toten", nämlich geistig schwer Behinderten, versteht. Er meint damit alle als aus seiner Sicht als "minderwertig" einzustufende Existenzen, "die Schwächsten aller Sorten". Es müsse in Deutschland ein Bewusstsein geschaffen werden für die „Bedeutungslosigkeit der Einzelexistenz“. Hoche hofft, dass die „Zeit des überspannten Humanitätsbegriffes“ und einer „Überschätzung des Wertes der Existenz“ bald vorbei sein möge. Es ist leicht einzusehen, dass Alfred Hoche über die Vorgaben seines Ko-Autors Karl Binding weit hinausgegangen ist. Keine Rede ist bei Hoche mehr von Bindings Gebot, der Wille des Patienten sei allein entscheidend für alle vom Arzt ausgeführten Eingriffe. Bindings und Hoches Beiträge sind inhaltlich nicht miteinander vereinbar. Der Wille des Einzelnen ist bei Hoche nur noch bei jenen Menschen zu respektieren, die nach seiner Definition vollwertig sind. Zum ersten Mal rechnet mit Hoche ein deutscher Arzt den volkswirtschaftlichen Nutzen eines Menschen mit seinem Recht zum Leben auf. Mit diesem Tabubruch war Hoche tatsächlich ein „Mörderischer Vordenker“ (Ernst Klee) des Nationalsozialismus.
Binding/Hoche und die Eugenik/Rassenhygiene Die von Alfred Hoche in die öffentliche Diskussion gebrachten radikalen Gedanken über die Tötung „unwerten Lebens“ wurden von zeitgenössischen Wissenschaftlern in Deutschland nicht aufgenommen und weiterentwickelt. Die deutschen Vertreter der Eugenik/Rassenhygiene ignorierten Hoches Vorschläge, oder lehnten sie scharf ab (Stefan Kühl; Die Internationale der Rassisten, 1997, Seite 163; Peter Weingart et al.; Rasse, Blut und Gene, 1992, Seite 524). So sagte der Eugeniker Lothar Loeffler: „Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten Lebens lehnen wir mit Recht ab.“ Aus der ersten Reihe der deutschen Rassenhygieniker gab es allerdings ein zustimmendes Votum von Fritz Lenz, und zwar in dem Standardwerk der deutschen Eugenik: „Für die Rassenhygiene hat die Euthanasie keine große Bedeutung, weil die dafür in Betracht kommenden Individuen ohnehin nicht zur Fortpflanzung gelangen; es handelt sich vielmehr vorzugsweise um eine Frage der Humanität. Selbst die spartanische Aussetzung mißratener Kinder ist noch ungleich humaner als die gegenwärtig im Namen des ‚Mitleids’ geübte Aufzucht auch der unglücklichsten Geschöpfe.“ (Baur/Fischer/Lenz; Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre, 1923,Bd. II. Seite 192) Lenz distanziert sich im selben Buch von Hoches Rentabilitätsargumenten: „Im Grunde ist eine solche ‚Begründung’ eine Ungeheuerlichkeit. Die Wirtschaft hat dem Leben zu dienen, nicht das Leben der Wirtschaft.“ (a.a.O., Seite 246) In der Praxis des ausgefalteten NS-Staates sollten allerdings die Euthanasie-Argumente Hoches und die Eugenik zusammenwirken – mit den schrecklichsten Folgen für Millionen von Menschen. Hoche sollte die Rückwirkungen seiner eigenen Ideen in schmerzhaftester Form erleiden. Einen Schlag versetzte Hoche, dass eine Verwandte Opfer der von ihm geförderten und geistig vorbereiteten „Euthanasie“ wurde, und er geschmackvollerweise die Urne mit den sterblichen Überresten zugeschickt bekam: Im Sommer 1940 trifft der Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen, Viktor Mathes, Hoche zufällig in der Straßenbahn. Hoche berichtete ihm von dem gerade erlebten Urnenvorfall. Mathes: „Professor Hoche hat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass er die Maßnahmen aufs schärfste missbilligte.“ (nach: Müller-Seidel). 1943 beging Alfred Erich Hoche Selbstmord. Literatur
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