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Akute lymphatische Leukämie
Die akute lymphatische Leukämie (syn. akute lymphoblastische Leukämie, kurz ALL) ist eine akute Leukämie, die von bösartig entarteten Vorläuferzellen der Lymphozyten ausgeht. Verschiedene Symptome wie allgemeine Schwäche mit Blutarmut, Blutgerinnungsstörungen, Fieber mit schwer verlaufenden Infekten, Knochenschmerzen u. a. m. können auftreten. Die Behandlung erfolgt mittels Chemotherapie. Führte die ALL noch vor 30 Jahren bei der ganz überwiegenden Zahl der Patienten innerhalb von wenigen Wochen zum Tode, so ist sie heute bei 40–50 % der Erwachsenen und bei ca. 80 % aller Kinder mit intensiver Chemotherapie heilbar. Weiteres empfehlenswertes Fachwissen
Häufigkeit Die ALL ist eine seltene Erkrankung mit einer Inzidenz bezogen auf alle Altersgruppen von etwa 1.5 Neuerkrankungen/100.000 im Jahr. Es besteht ein Übergewicht von männlichen Erkrankten (1.4 zu 1). Für Deutschland schätzt man etwa 500 Neuerkrankungen bei Erwachsenen und ebenfalls ca. 500 Neuerkrankungen bei Kindern pro Jahr. Genaue Zahlen existieren für Erwachsene wegen des Fehlens eines zentralen Krebsregisters nicht, die Zahlen für Kinder unter 15 Jahren beruhen auf den Daten des Deutschen Kinderkrebsregisters, in dem schätzungsweise 90 % aller Fälle erfasst sind[2]. In der Schweiz und in Österreich kann man jeweils etwa 40-50 Neuerkrankungen bei Erwachsenen und Kindern pro Jahr annehmen[3]. Ursachen und EntstehungUrsache der Erkrankung sind genetische Veränderungen in einer lymphatischen Zelle, die zur malignen (bösartigen) Transformation dieser Zelle führen. Diese genetischen Veränderungen sind (von seltenen Spezialfällen abgesehen) im Laufe des Lebens erworben und weder vererbt noch vererbbar, da die Keimbahnzellen (Eizellen, Spermien) nicht betroffen sind. Die genaue Kausalkette, die zum Auftreten der Erkrankung führt, ist bisher nicht bekannt. Es gibt Risikofaktoren für das Entstehen von Leukämien (ionisierende Strahlung, chemische Mutagene etc.), aber bei den allermeisten Patienten kann man trotz sorgfältiger Suche keine spezifische Ursache finden. Auch gibt es bisher keinen Beweis für eine mögliche infektiöse Ursache, z. B. durch Viren. Die einzige Ausnahme bildet die adulte T-Zell-Leukämie in Japan, die durch das Retrovirus HTLV-I verursacht wird, das aber in Europa so gut wie gar nicht vorkommt. Die maligne transformierte Zelle und ihre durch Zellteilung entstandenen Tochterzellen vermehren sich unkontrolliert und ungebremst und verdrängen die normale Blutbildung (Hämatopoese) im Knochenmark. Die ALL ist also eine klonale Erkrankung, d. h. alle ALL-Zellen sind nahezu identische genetische Kopien voneinander. Die malignen Zellen sammeln sich vorwiegend in den lymphatischen Organen (v. a. Lymphknoten, Milz, Thymus), jedoch auch anderen Organen wie z. B. dem Zentralnervensystem (ZNS), an. Es kommt zu einer zunehmenden Störung der Blutbildung (Knochenmarkinsuffizienz) mit Blutarmut (Anämie) und Thrombozytopenie (Fehlen von Thrombozyten) und einer damit verbundenen Blutungsneigung, sowie zu einer Immunschwäche. Unbehandelt verläuft die Erkrankung schnell tödlich. SymptomeDie Symptome bei der ALL ähneln denen der akuten myeloischen Leukämie. Es treten auf:
Zum Diagnosezeitpunkt zeigen Kinder mit einer ALL folgende relative Häufigkeiten klinischer Zeichen, Symptome und typischer Laborbefunde. Letztere spiegeln dabei das Ausmaß der Störung der Blutbildung durch die ALL wieder, da die normale Blutbildung im Knochenmark durch die ALL verdrängt wird (sogenannte „Verdrängungsmyelopathie“).
Diagnostik und KlassifikationFür die Diagnosestellung ist eine Untersuchung des Knochenmarks essentiell, da es durchaus vorkommen kann, dass bei Diagnosestellung noch keine feststellbare Ausschwemmung von Leukämiezellen aus dem Knochenmark in das Blut vorliegt. Man spricht dann von einer aleukämischen Verlaufsform (vgl. Tabellen 2 und 3). Wenn Leukämiezellen im Blut nachweisbar sind, aber die Zahl der Leukozyten insgesamt nicht erhöht ist, spricht man von einem subleukämischen Verlauf. Wenn die Gesamtzahl der Leukozyten durch Leukämiezellen erhöht ist, nennt man dies einen leukämischen Verlauf. Eine normale oder sogar erniedrigte Leukozytenzahl im Blut schließt also eine Leukämie nicht aus, entscheidend ist die Knochenmarkdiagnostik. Die Diagnose einer ALL kann gestellt werden durch:
ZytomorphologieDurch mikroskopische Untersuchung des Knochenmarks oder des Blutausstrichs bei leukämischem Verlauf kann die Diagnose einer akuten Leukämie gestellt werden. Für die weitere Subklassifikation der ALL spielt die Beurteilung der Zellmorphologie im Gegensatz zur AML nur eine untergeordnete Rolle. In der sogenannten FAB-Klassifikation („French-American-British“) wird zwischen drei verschiedenen Morphologien unterschieden (L1, L2, L3). Von Bedeutung ist das nur für den seltenen L3-Subtyp, der mit der „reifzelligen B-ALL“ assoziiert ist. Die reifzellige B-ALL ist eine Sonderform der ALL und kann als die leukämische Manifestation des Burkitt-Lymphoms betrachtet werden (d. h. ein Burkitt-Lymphom mit >20 % oder >25 % Knochenmarkbefall) und wird wie dieses behandelt. Die Unterscheidung zwischen L1 und L2-Morphologie ist dagegen schwierig und selbst sehr erfahrene Hämatologen oder Hämatopathologen kommen hier zu unterschiedlichen Einschätzungen. Klinisch hat die Unterscheidung von L1 und L2 keine Bedeutung.
ImmunphänotypisierungEntscheidend ist die Immunphänotypisierung der aus dem Blut oder mittels Knochenmarkpunktion gewonnenen Leukämiezellen, die heute meist mit dem FACS (Fluorescence Activated Cell Sorter) erfolgt. Mittels Immunphänotypisierung wird untersucht, ob und in welchem Ausmaß sich bestimmte Proteine an der Oberfläche oder im Zytoplasma der Zellen befinden. Das Expressionsmuster verschiedener lymphatischer, myeloischer und Vorläuferzell-Antigene ermöglicht die Zuordnung zu B- oder T-Zellreihe und die Festlegung des Differenzierungsstadiums. Man kann die ALL dementsprechend als B-Linien-ALL (mit B-lymphozytärer Differenzierung, weiter unterteilbar in „B-Vorläufer-ALL“ und „reif(zellig)e B-ALL“) oder T-Linien-ALL (mit T-lymphozytärer Differenzierung, weiter unterteilbar in „T-Vorläufer-ALL“ und „reife T-ALL“) einordnen. Tabelle 5 zeigt die Einteilung der akuten lymphatischen Leukämie aufgrund des Oberflächen-Antigenmusters nach der sogenannten EGIL-Klassifikation (EGIL = European Group for the Immunological Characterization of Leukemias)[9]. Die ALL-Zellen werden dabei nach ihrem „Reifungsgrad“ eingeteilt, d.h. eine pro-B-ALL ist eine ganz unreife Form, dann kommt die common ALL, gefolgt von der prä-B-ALL. Die reife B-ALL zeigt in ihrem Antigenmuster schon viele Merkmale reifer B-Lymphozyten. Analog ist es bei der T-Reihe: pro-T → prä T → thymische (corticale) T → reife T. Etwa 75 % der ALLs im Erwachsenenalter lassen sich der B-lymphozytären Reihe zuordnen und etwa 25 % der T-lymphozytären Reihe. Bei ALL im Kindes- und Jugendalter beträgt das Verhältnis etwa 85 % : 15 %.
Zytogenetik und MolekulargenetikDie Zytogenetik und Molekulargenetik der akuten Leukämien ist Gegenstand intensiver Forschungen. In den letzten zwei Jahrzehnten sind sehr viele Arbeiten erschienen, die sich mit verschiedenen Aspekten der Genetik dieser Erkrankungen beschäftigen. Die Genetik bildet gewissermaßen die Grundlage für das vertiefte Verständnis der Erkrankung. Grundsätzlich ist zu sagen, dass sich die ALL des Kindes- oder Säuglingsalters, was die genetischen Grundlagen angeht, zum Teil erheblich von der ALL des Erwachsenenalters unterscheidet. Deswegen sollen die drei Altersklassen hier getrennt betrachtet werden: ALL im Kleinkind-/Säuglingsalter (Alter unter einem Jahr)Kennzeichnend für die ALL des Kleinkindes (engl.: infant leukemia) sind Veränderungen des MLL-Gens auf dem langen Arm von Chromosom 11, Bande 23 („11q23-Aberrationen“)[10].Diese Veränderungen sind mit einer ungünstigen Prognose assoziiert. Das MLL-Gen ist dabei in der Regel durch Chromosomentranslokationen mit anderen Genen fusioniert. Bis heute sind über 50 Fusionspartner bekannt. Die bei weitem häufigste Aberration ist die Fusion mit dem AF4-Gen auf Chromosom 4 (seltener auch ENL-Gen auf Chromosom 19, AF9-Gen auf Chromosom 9). Dabei entsteht ein sogenanntes Fusionsprotein („chimäres“ Protein), so dass die eigentlichen Funktionen der beteiligten Gene entweder verloren gehen oder so stark verändert werden, dass sie krankheitsauslösend oder -fördernd wirken. ALL im Kindesalter (1 bis 15 Jahre)Bei der ALL des Kindesalters sind eine Vielzahl von genetischen Veränderungen gefunden worden [11]. Vereinfacht unterscheidet man genetisch zur Zeit die folgenden Gruppen:
Die häufigste Veränderung ist dabei die t(12;21), die in etwa 25 % der Fälle zu finden ist. ALL im Erwachsenenalter (ab 16 Jahre)Bei Erwachsenen findet man im Prinzip dieselben genetischen Veränderungen wie bei Kindern, nur mit zum Teil erheblich unterschiedlicher Häufigkeit. Die häufigste Veränderung ist dabei die t(9;22), die in ca. 25 % der Fälle zu finden ist. Die t(12;21) ist dagegen selten (ca. 1 %). Die prognostische Wertigkeit der o. g. Veränderungen ist bei Erwachsenen z. T. noch nicht eindeutig geklärt (t(12;21), t(1;19)). Die T-ALL hat eine bessere Prognose als bei Kindern. BehandlungPrognostische FaktorenDie ALL ist kein einheitliches Krankheitbild sondern kann bei verschiedenen Patienten einen sehr unterschiedlichen Verlauf nehmen. Manche Patienten zeigen z. B. ein gutes Therapieansprechen während andere nur verzögert auf die Therapie ansprechen oder schnell rezidivieren. In den letzten Jahrzehnten konnten verschiedene Risikofaktoren identifiziert werden. Als „Risikofaktoren“ bezeichnet man in diesem Kontext Faktoren, die dazu führen, dass der betroffene Patient ein erhöhtes Risiko aufweist, schlecht auf die Behandlung anzusprechen oder ein Rezidiv zu erleiden. Die ALL wird weltweit nicht einheitlich behandelt. Es gibt in verschiedenen Ländern verschiedene große sogenannte Studiengruppen, die ihre Patienten nach bestimmten Therapieschemata behandeln. Mittlerweile gibt es aber Bestrebungen, die Therapien aneinander anzugleichen oder länderübergreifende Therapiestudien auf den Weg zu bringen (z. B. im Rahmen des European LeukemiaNet). Beispiele für solche Studiengruppen sind: Studiengruppen für erwachsene Patienten
Studiengruppen für Kinder und Jugendliche
Etablierte RisikofaktorenFast alle Studiengruppen haben die folgenden Risikofaktoren herausarbeiten können - obwohl die jeweilige Therapie unterschiedlich ist:
Andere Risikofaktoren sind umstritten und nicht allgemein akzeptiert. Es muss auch betont werden, dass die oben genannten Faktoren statistische Risikofaktoren sind, d. h. im Einzelfall kann der klinische Verlauf auch anders aussehen, als erwartet. Die Identifizierung von Riskofaktoren ist deswegen bedeutsam, weil es sich bei den betroffenen Patienten um Hochrisko-Patienten handelt, die sehr gefährdet sind, ein Rezidiv zu erleiden. Deswegen sehen die bisherigen Therapiekonzepte für diese Patienten primär eine intensivere Behandlung vor. In der Regel wird bei Erwachsenen die allogene Knochenmark- oder Stammzelltransplantation angestrebt. Minimale ResterkrankungEinen besonderen Risikofaktor, der hier gesondert abgehandelt werden soll, stellt die sogenannte „minimale Resterkrankung“ (MRD = minimal residual disease) dar. Als MRD bezeichnet man den Anteil von Leukämiezellen nach einer Therapie. Man spricht dann z. B. von einer MRD von 0,001 % oder 10-5, was dann eine Leukämiezelle unter 100.000 gesunden Blutzellen bezeichnet. Man weiß mittlerweile, dass die MRD den wichtigsten Risikofaktor bei der Leukämiebehandlung überhaupt darstellt. Im Rahmen moderner Leukämie-Therapiekonzepte wird angestrebt, die MRD deswegen auch regelmäßig zu bestimmen, um den Grad des Therapieansprechens zu ermitteln. Meist wird die MRD mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) ermittelt. Dazu sind hochspezialisierte und in dieser speziellen Diagnostik erfahrene Labore erforderlich. Gelingt es durch die Therapie nicht, die MRD unter ein gewisses Niveau zu bringen (mindestens 10-4), ist ein Rezidiv der Erkrankung praktisch vorprogrammiert [18] [19] [20] [21]. In neueren Therapiestudien ist die Behandlung wesentlich MRD-basiert „stratifiziert“, d. h. bei den behandelten Patienten wird regelmäßig die MRD gemessen und je nach der „Kinetik“, d. h. dem MRD-Verlauf werden diese Patienten unterschiedlichen weiteren Behandlungsformen zugeführt werden. ChemotherapieZur Behandlung der ALL können verschiedene Chemotherapie-Verfahren eingesetzt werden. Vor Beginn der Behandlung muss eine ausführliche Diagnostik erfolgen, um die ALL genetisch und immunzytolologisch zu charakterisieren (s. o.). Dazu gehört auch eine Untersuchung des Liquor cerebrospinalis durch Lumbalpunktion und evtl. Bildgebung des Zentralnervensystems (beispielsweise durch Magnetresonanztomographie). Unmittelbar anschließend an die Diagnostik wird die Behandlung begonnen. Diese erfolgt mittels Chemotherapie, d. h. durch Gabe von Zytostatika. Es werden Kombinationen von verschiedenen Zytostatika gegeben, da dadurch die antileukämische Wirkung vielfach verstärkt ist. Die Behandlung dauert insgesamt mindestens 12 bis 24 Monate.
Induktionstherapie (u. U. als „Doppel-Induktion“) → Konsolidierungstherapie → Re-Induktionstherapie → Erhaltungstherapie Induktionsphase (1-2 Monate)Am Anfang steht die „Induktionstherapie“, die sehr intensiv und nebenwirkungsreich ist. Die wichtigsten Zytostatika sind in dieser Phase
An genau festgelegten Tagen des Behandlungsablaufes werden dem Patienten definierte Zytostatika in vorbestimmten Dosierungen und Kombinationen verabreicht. Die Induktionsphase dauert 4 bis 6 Wochen (bei unkompliziertem Verlauf). Sie hat das Ziel, die ALL so zurückzudrängen, dass sie am Ende der Induktionsphase (ca. 1 Monat nach Behandlungsbeginn) in der Knochenmarkpunktion nicht mehr nachweisbar ist. Die Behandlung ist deswegen so intensiv, weil man den Blasten keine Zeit geben möchte Resistenzen gegen Zytostatika zu entwickeln und deswegen eine möglichst rasche Reduktion der Tumorlast erzielen will. Gelegentlich wird nach der ersten Induktionstherapie noch eine zweite Induktionstherapie angeschlossen („Doppelinduktion“), die etwas andere Medikamentenkombinationen beinhaltet und auch etwa einen Monat dauert. Konsolidierung (mehrere Monate)Obwohl die ALL im Idealfall einen Monat nach Therapiebeginn nicht mehr nachweisbar sein kann, wird die Behandlung fortgesetzt. Eine Beendung der Behandlung zu diesem Zeitpunkt würde ansonsten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Rückfall führen: die ALL ist zwar mit den zur Verfügung stehenden diagnostischen Methoden kaum oder nicht mehr nachweisbar, aber noch nicht beseitigt. An die Induktionsphase schließt sich die „Konsolidierungsphase“ an. Auch in dieser Phase werden Zytostatika in festgelegten Dosen und Zeitabständen verabreicht. Die wichtigsten Zytostatika in der Konsolidierungsphase sind:
Insbesondere die Zytostatika Methotrexat und Cytarabin werden dabei in mittelhohen bis hohen Dosierungen eingesetzt. Zusätzlich erfolgt die zwischenzeitliche Gabe von Tioguanin und 6-Mercaptopurin. ReinduktionAn die Konsolidierungsphase schließt sich die „Re-Induktionsphase“ an. In dieser wird analog zur Induktionsphase die Behandlung erneut intensiviert. Die dabei eingesetzten Zytostatika entsprechen denen der Induktionsphase. Induktionsphase, Konsolidierungsphase und Re-Induktionsphase werden auch als Intensivphase der Behandlung bezeichnet. Die Gesamtdauer der Behandlung ist abhängig von den Risikofaktoren und dem Behandlungsverlauf der betroffenen Patienten. Die Dauer schwankt zwischen 6 und 12 Monaten. Ein stationärer Krankenhausaufenthalt ist in der Intensivphase zumeist bei der Verabreichung der Zytostatika und bei Auftreten von Komplikationen wie beispielsweise Infektionen in Knochenmarkaplasie („Zelltief“) erforderlich. Zwischen den einzelnen Zytostatika-Zyklen verweilt der Patient mit problemlosem Verlauf zu Hause; lediglich ambulante Kontrollen des Blutbildes sind erforderlich und sinnvoll. ErhaltungstherapieIn der sich erneut unmittelbar an die Intensivphase anschließenden „Erhaltungsphase“ erhalten die Patienten eine Chemotherapie mit Methotrexat und 6-Mercaptopurin [22]. Im Gegensatz zu den vorhergehenden Behandlungsphasen wird die Chemotherapie in dieser Phase teilweise oder auch vollständig als orale Chemotherapie (in Form von Tabletten) durchgeführt: 6-Mercaptopurin wird einmal täglich, Methotrexat einmal wöchentlich eingenommen. Ein Krankenhausaufenthalt ist im Gegensatz zur Intensivphase nicht erforderlich. Die Dauer der Erhaltungsphase ist in Abhängigkeit vom verwendeten Therapieprotokoll unterschiedlich und beläuft sich auf 6-18 Monate. Im Kindes- und Jugendalter wird die Erhaltungstherapie mit 6-Mercaptopurin und Methotrexat typischerweise bis zum Zeitpunkt 2 Jahre nach Diagnosestellung bzw. Behandlungsbeginn durchgeführt. ZNS-Prophylaxe, ZNS-BestrahlungEin Problem der meisten Zytostatika ist der Umstand, dass sie gar nicht oder nur schlecht die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Dringen Leukämiezellen in das ZNS ein, sind sie dort vor Zytostatika geschützt und können von dort aus zu einem Rezidiv der Erkrankung führen. Um solche ZNS-Rezidive zu verhindern wird daher bei allen Patienten eine sogenannte ZNS-Prophylaxe durchgeführt. Diese kann in zwei Formen erfolgen. Zum einen als mehrfach wiederholte direkte Gabe von Zytostatika (i. d. R. Methotrexat) in den Liquorraum („Nervenwasser“) mittels Lumbalpunktion (= intrathekale Gabe), zum andern als Bestrahlung des Zentralnervensystems. Die ZNS-Bestrahlung war insbesondere zu Beginn der ALL-Behandlung Standard. Im Kindes- und Jugendalter ist die ZNS-Bestrahlung aufgrund der beobachteten Spätschäden für die meisten Patienten zusehends durch die intrathekale Gabe von Methotrexat ersetzt worden [23]. Bei einem gesicherten Befall des Zentralnervensystems zu Anfang der Behandlung oder bei Erfüllung bestimmter Risikofaktoren wie beispielsweise einer anfänglichen Leukozytenzahl von mehr als 100.000 pro Mikroliter im peripheren Blut wird eine Bestrahlung des Zentralnervensystems jedoch auch bei Kindern immer noch durchgeführt.[24] [25] MediastinalbestrahlungWenn eine starkte Thymusschwellung durch Leukämiezellen als sogenannter Mediastinaltumor vorliegt, wird diese bei Erwachsenen lokal bestrahlt (bei Kindern und Jugendlichen nur im absoluten Ausnahmefall, da der Thymus bei Kindern im Gegensatz zu Erwachsenen noch wesentliche Funktionen im Immunsytem erfüllt.). Kontrolle des TherapieerfolgesIn regelmäßigen Abständen wird eine erneute Knochenmarkpunktion durchgeführt um den Erfolg der Therapie zu überprüfen. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei - wie bereits erwähnt - die Knochenmarkpunktion nach Abschluss der Induktionsphase (nach 4 bis 6 Wochen oder Tag 33 nach Behandlungsbeginn). Auch regelmäßige Überprüfungen des Nervenwassers (Liquor) auf das Vorhandensein von ALL-Zellen sind unabdingbar. Die Behandlung kann nicht beliebig intensiv und hochdosiert sein, da die Zytostatika erhebliche Nebenwirkungen haben, die dosislimitierend sind. Die wichtigste Nebenwirkung ist die Knochenmarkdepression, d.h. die Schädigung auch der verbliebenen, beim Leukämiekranken ohnehin schon stark geschwächten gesunden Blutbildung. Als Folge der chemotherapeutischen Behandlung kommt es zu einer länger dauernden „Aplasie“, d. h. einem fast vollständigen Ausfall der normalen Blutbildung. In dieser Phase, die bis zu einem Monat und länger dauern kann, müssen fehlende Blutbestandteile durch Transfusionen ersetzt werden und der Patient ist aufgrund der fehlenden Immunabwehr extrem infektgefährdet. Nicht wenige Patienten versterben aufgrund schwerer in Aplasie erworbener Infektionen während der Behandlung. In der Regel wird durch die Induktionstherapie, die sich meist über etwa 2-3 Monate hinzieht (die Aplasie-Zeiten mitgerechnet) die „Leukämie-Tumorlast“ um mindestens einen Faktor 1000 (bis 10.000 oder mehr) reduziert. In der nach Ende der Induktionsphase in der Regel nochmal durchgeführten Knochenmarkpunktion sollte keine Restleukämie mehr sichtbar sein (zum Begriff der Minimalen Resterkrankung siehe oben). Insgesamt ist die Behandlung sehr nebenwirkungsreich und ist trotz aller ärztlichen Maßnahmen mit erheblichen Gefahren, insbesondere durch Infektionen aufgrund der geschwächten Immunabwehr verbunden. Eine große Hoffnung für die Zukunft bieten „targeted drugs“, d. h. Medikamente, die wesentlich spezifischer auf Leukämiezellen wirken als herkömmliche Zytostatika, und damit ein weniger schwerwiegendes Nebenwirkungsprofil haben. Das Paradebeispiel für eine solche Substanz ist der Wirkstoff Imatinib (Glivec®), der bei BCR-ABL-positiver ALL eingesetzt wird. Aber auch monoklonale Antikörper wie Rituximab oder Alemtuzumab werden die Therapie in Zukunft wesentlich verändern. BehandlungsergebnisseBevor wirksame Zytostatika zur Verfügung standen, bedeutete die Diagnose „akute lymphatische Leukämie“ praktisch das Todesurteil für die betroffenen Patienten. Je nach Stadium der Erkrankung verstarben die Betroffenen innerhalb von Tagen bis Wochen nach Diagnosestellung. Haupttodesursachen waren schwere Infektionen aufgrund der schweren Immunschwäche, Spontanblutungen aufgrund der Thrombozytopenie, oder andere Komplikationen (z. B. bei Befall des ZNS). Besonders tragisch und schwerwiegend war der Umstand, das häufig auch kleine Kinder von der Erkrankung betroffen waren (die ALL ist die häufigste bösartige Erkrankung des Kindesalters). Noch Ende der 70er Jahre, als schon einige wirksame Zytostatika zur Verfügung standen, lag das mittlere 5-Jahres-Überleben bei erwachsenen ALL-Patienten in Deutschland bei unter 15 %. Bei Kindern waren die Ergebnisse besser. Seit mehreren Jahrzehnten sind intensive Anstrengungen gemacht worden, die Therapieergebnisse für ALL-Patienten zu verbessern. Dies geschah durch umfangreiche nacheinander abfolgende klinische Studien, in denen die Patienten behandelt wurden. Die Ergebnisse und Erfahrungen aus einer Studie dienten dann dazu, eine neue darauf folgende verbesserte Therapiestudie zu planen. Insgesamt liegt das Gesamtüberleben bei ALL-Patienten zur Zeit bei ca. 80 % bei Kindern und ca. 40-45 % bei Erwachsenen. Diese Zahlen variieren, da sie vom jeweiligen Subtyp und der Therapie abhängen. Weitere Verbesserungen sind in der Zukunft zu erwarten. Es muss aber betont werden, dass diese Zahlen Mittelwerte darstellen. Im Einzelfall kann die Prognose deutlich davon abweichen. So kann z. B. ein 20-jähriger Patient ohne Risikofaktoren (s. o.) deutlich bessere Heilungschancen erwarten, als z. B. ein 65-jähriger Patient mit Risikofaktoren. GeschichtlichesDer Begriff „Leukämie“ stammt von Rudolf Virchow 1845, der damals das Krankheitsbild einer chronischen myeloischen Leukämie beschrieb. Die Entwicklung von Färbeverfahren für Blutausstriche im Jahre 1891 durch Paul Ehrlich führte zu neuen Erkenntnissen über die Morphologie der akuten Leukämien und ermöglichte in der Folge die Abgrenzung der lymphatischen von der myeloischen Leukämie (Naegeli 1900). LiteraturÜbersichtsarbeiten
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