48 Experimente gleichzeitig: Entwicklungszeiten drastisch verkürzen und Kosten senken
„Lab of the future“ automatisiert Prozesse zur Entwicklung eines innovativen Bioprodukts vollständig
© TU Berlin/PR/Felix Noak
© TU Berlin/PR/Felix Noak
Die Entwicklung von neuen Prozessen zur Herstellung von Antibiotika oder Krebsmedikamenten ist langwierig und teuer. „Zehn bis 15 Jahre vergehen heute, bis ein neues Produkt auf dem Markt ist, und Investitionen in Milliardenhöhe sind keine Seltenheit“, sagt Prof. Dr. Peter Neubauer, Leiter des Fachgebietes Bioverfahrenstechnik. Er hat deshalb ein Labor entwickelt, in dem er die Entwicklungszeiten drastisch verkürzen und damit die Kosten extrem senken möchte. Der Weg zu diesem Ziel: die Prozesse zur Entwicklung eines innovativen Bioprodukts werden vollständig automatisiert. Manuell durchgeführte Laborarbeiten, selbst die manuelle Planung und Auswertung der Experimente sollen der Vergangenheit angehören. Das „Lab of the future“ befindet sich auf dem TU-Campus in der Ackerstraße in Berlin-Wedding.
Herzstück des Labs sind derzeit zwei Roboter: Einer ist für die gesamte Analytik zuständig, der andere kümmert sich um die Kultivierung der Zellen. Dieser Roboter enthält ein Minibioreaktorsytem mit 48 Kulturgefäßen, für die die Kultivierungsbedingungen jeweils einzeln festgelegt werden können. Damit sind 48 voneinander unabhängige Experimente gleichzeitig möglich. Kultivierung und Analytik sind im „Lab oft the Future“ nicht mehr zeitlich voneinander getrennt.
Was im „Lab of the future“ geschieht, revolutioniert die Bioprozesstechnologie. Zwar werden Roboter bereits heute in Laboren eingesetzt, aber diese „beherrschen“ meist nur einen Prozessschritt. Entweder können sie Zellen kultivieren oder Zellen zerstören, um an Inhaltsstoffe heranzukommen, oder sie können Proben analysieren. Der Ansatz von Peter Neubauers Team ist es, all diese Schritte in einem Roboter zu integrieren und diesen durch intelligente Computersysteme zu steuern.
So entwickeln Dr.-Ing. M. Nicolas Cruz Bournazou, Gruppenleiter Computergestützte Bioprozessentwicklung, und Dipl.-Ing. Florian Glauche, Leiter des Zukunftslabors, seit 2012 Werkzeuge, die das Potenzial der Automatisierungstechnik besser ausschöpfen sollen. Es geht ihnen dabei in erster Linie darum, sich von der klassischen Arbeitsweise Versuchsplanung, Durchführung und Auswertung wegzubewegen und die Möglichkeiten des Zusammenspiels von Computer und Roboter besser auszunutzen. Die Anzucht und Analyse von Zellkulturen mittels Robotertechnik gehört in der Industrie zur Routine, jedoch beinhalten diese Experimente lediglich Endpunktmessungen.
M. Nicolas Cruz Bournazou und Florian Glauche möchten mehr Informationen aus den einzelnen Experimenten erhalten, um das Wachstum der Zellen und die Synthese des gewünschten Produktes mathematisch beschreiben zu können. Dafür messen sie während eines Experiments kontinuierlich das Zellwachstum, die Sauerstoffkonzentration und den pH-Wert der Kultur. Zur Steuerung und Auswertung des Experiments haben sie ein Netzwerk aus Programmen entwickelt, dass während der Versuchslaufzeit die vorhandenen Daten auswertet, ein mathematisches Modell daran anpasst und Instruktionen an die Roboter für das nächste Zeitfenster weitergibt. Ein Experiment kann so während der Laufzeit einen völlig anderen Verlauf nehmen, als zu Beginn geplant. Dies macht es möglich, die maximale Menge an Informationen zu gewinnen und damit eine möglichst genaue mathematische Beschreibung des Produktionsprozesses zu erhalten. Dr. Anke Wagner, ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Bioverfahrenstechnik, nutzt das Zukunftslabor für die Produktion von Proteinen, die anschließend für die Herstellung bioaktiver Substanzen verwendet werden. Bioaktive Substanzen sind in diesem Fall zum Beispiel antivirale Wirkstoffe oder Krebsmedikamente. „Die biologische Synthese neuartiger Wirkstoffe benötigt neuartige Biokatalysatoren. Im Zukunftslabor kann die Produktion einer großen Zahl an Biokatalysatoren in sehr kurzer Zeit erfolgen. Zahlreiche Parameter des Prozesses können überwacht und ständig optimiert werden“, so Anke Wagner. Außerdem ermöglich das Zukunftslabor die Identifikation neuer Enzymaktivitäten aus hunderten von neuartigen Proteinen, deren Funktion derzeit noch nicht genau bekannt ist.
„Mit dem Forschungsprojekt ‚AutoBio‘ begannen wir 2012 unsere Forschungen am Aufbau des ‚Lab of the future‘. Es gab damals keine Anlagen, Ansätze oder Arbeiten, die eine Integration und Automatisierung aller Schritte bei der Entwicklung von Bioprozessen zur Herstellung von innovativen Bioprodukten wie etwa Enzyme, die zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden, ermöglichte. Unser Ansatz ist neu und weltweit einmalig. Nach vier Jahren Forschung haben wir jetzt in den EU-Projekten ‚LeanProt‘ und ‚BioRapid‘ mit unserem ‚Lab of the Future‘ einen ersten Beweis erbracht, dass eine vollständige Digitalisierung und Automatisierung in der Bioverfahrenstechnik möglich ist“, sagt Prof. Dr. Peter Neubauer.