Erstes langzeitstabiles Hirnimplantat auf Basis einer entzündungshemmenden Beschichtung entwickelt

07.04.2017 - Deutschland

Um Hirnströme direkt im Schädelinneren auszulesen und zu beeinflussen, sind komplexe neurotechnische Geräte nötig. Während es mittlerweile relativ einfach ist, diese zu implantieren, stellt es Forschende noch vor Herausforderungen, sie in lebenden Organismen für längere Zeit funktionsfähig zu halten. Mit einem Verfahren aus Freiburg könnte sich das ändern: Einem Forschungsteam ist es gelungen, eine Mikrosonde herzustellen, die mithilfe einer medikamentösen Beschichtung entzündungsfrei in Nervengewebe einwächst und nach zwölf Wochen noch volle Signalstärke liefert. Da solche Implantate seltener ersetzt werden müssten, könnten sie bessere Diagnosemöglichkeiten eröffnen und chronisch Betroffenen das Leben erleichtern – etwa Parkinsonpatientinnen und -patienten, die mit Hirnstimulation behandelt werden müssen. Die Studie ist im Journal „Biomaterials" erschienen und basiert auf früheren Forschungsarbeiten der Gruppe zu leit- und speicherfähigen Kunststoffen.

Christian Böhler, Maria Asplund

Im oberen Teil der Abbildung ist eine vergrößerte Aufnahme der in Freiburg hergestellten Mikrosonde zur Stimulation und gleichzeitigen Datengewinnung zu sehen. Unten ein Querschnitt der Beschichtung aus dem Polymer PEDOT, in das ein entzündungshemmendes Medikament eingespeichert ist, dass durch Anlegen von negativer Spannung freigesetzt werden kann.

An der Arbeit waren der Mikrosystemtechniker Christian Böhler aus der Nachwuchsforschungsgruppe von Dr. Maria Asplund im Exzellenzcluster BrainLinks-BrainTools, Prof. Dr. Thomas Stieglitz, Professur für Biomedizinische Mikrotechnik am Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK), und Prof. Dr. Ulrich G. Hofmann, Sektion Neuroelektronische Systeme an der Klinik für Neurochirurgie des Universitätsklinikums Freiburg, beteiligt. „Die meisten bidirektionalen Neuroimplantate, also solche, die zur Messung und gleichzeitigen Stimulation eingesetzt werden, erkennt das Immunsystem nach einer Weile als Fremdkörper. Dadurch wird ihre Funktionsweise so eingeschränkt, dass sie nach einigen Wochen kaum noch Signale verarbeiten", sagt Böhler. Die Nachwuchsforschungsgruppe hat gezeigt, dass flexible Mikrosonden aus so genannten Polyimiden Vorteile gegenüber Implantaten beispielsweise aus Silizium bieten. „Jedoch können auch damit Entzündungsreaktionen auftreten, die die Elektroden unbrauchbar machen oder sogar eine Entfernung des Implantats nach sich ziehen", ergänzt Asplund. In ihrer Studie zeigten die Forschenden nun am Tiermodell, dass diese Begleiterscheinungen durch eine spezielle Beschichtung der Elektroden auf dem Polyimid-Implantat auch nach längerer Zeit ausbleiben.

Die Beschichtung der Elektroden besteht aus dem Polymer PEDOT, das Medikamente speichern und beim Anlegen von negativer Spannung wieder freisetzen kann – in diesem Fall das entzündungshemmende Präparat Dexamethason. „Auf diese Weise können wir das Medikament direkt um das Implantat herum ausschütten, die Dosierung regulieren und den Zeitpunkt seiner Verabreichung bestimmen", erläutert Böhler. Im Vergleich zu einer herkömmlichen Einnahme sind so eine deutlich geringere Dosierung nötig und eine lokal begrenzte Wirkung möglich. Dadurch werden unerwünschte Effekte des Medikaments reduziert. Bereits Anfang 2016 hatte das Team gezeigt, dass PEDOT ideale Eigenschaften als Medikamententräger besitzt.

„Mit unserer Studie können wir die Überlegenheit von flexiblen Mikrosonden gegenüber anderen Bauweisen untermauern", bilanziert Asplund. Das Implantat der Freiburger Mikrosystemtechnik halte zudem länger: „Wir stehen vor dem Anbruch einer neuen Generation von neuronalen Schnittstellen. Endlich können wir durch unsere Beschichtungsmethode langlebigere Mikrosonden bauen", ist sich Böhler sicher. Mit dem System könnten vielversprechende Wege in der Langzeitbehandlung beispielsweise mit tiefer Hirnstimulation eingeschlagen werden. Besonders profitieren würden davon Patienten, deren nervlicher Zustand nicht nur regelmäßiger Stimulation, sondern auch einer engmaschigen Messung und Überwachung bedarf. Das können Parkinson- und Epilepsiepatienten genauso wie Menschen mit Zwangserkrankungen oder schwerer Depression sein.

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