Ein Wecker für schlafende Hirnstammzellen
Jahrzehntelang waren Forscher davon überzeugt, dass es sie gar nicht gibt: neuronale Stammzellen, die für die Regeneration im Gehirn sorgen. Inzwischen wurden diese Zellen bei allen Säugetieren nachgewiesen. Sie kommen vorwiegend in zwei definierten Bereichen des Gehirns vor: Im Hippocampus, wo sie bei der Gedächtnisbildung eine zentrale Rolle spielen, sowie in der subventrikulären Zone, dem größten Reservoir neuronaler Stammzellen beim erwachsenen Tier.
Die Stammzellen der subventrikulären Zone gelten als die Quelle der Gehirn-Regeneration. Sie sind keine einheitliche Zellpopulation. Wissenschaftler haben Hinweise darauf, dass sie bereits mit einer „Bestimmung“ versehen sind, unterschiedliche Entwicklungswege zu nehmen und zu verschiedenartigen Typen von Nervenzellen ausdifferenzieren können.
Die Wissenschaftler entdeckten dabei, dass sich die neuronalen Stammzellen in verschiedenen Aktivierungsstadien befanden: Neben schlafenden und teilungsaktiven Stammzellen fanden sie auch Übergangsformen, die bereits aus dem Schlaf „geweckt“ waren, aber noch keine Teilungsaktivität aufgenommen hatten.
Das charakteristische Merkmal der schlafenden neuronalen Stammzellen ist ihre extrem reduzierte Proteinsynthese. Je aktiver die Zellen sind, desto mehr Proteine synthetisieren sie und desto mehr drosseln sie ihren Zuckerstoffwechsel. Parallel dazu steigern diese Zellen die Produktion an Transkriptionsfaktoren, die entscheidend sind für die Differenzierung zu bestimmten Zelltypen.
Um herauszufinden, wie die neuronalen Stammzellen auf Hirnverletzungen reagieren, lösten die Forscher bei Mäusen experimentell eine Mangeldurchblutung im Gehirn aus, bevor sie die Stammzellen isolierten. Die Analyse einzelner Zellen ergab, dass nicht alle neuronalen Stammzellen auf die Sauerstoff-Unterversorgung reagieren. Nur eine bestimmte Subpopulation der schlafenden Stammzellen ging in einen „aufgeweckten Ruhezustand“ über.
Nun suchten die Forscher nach dem Botenstoff, der den Stammzellen das Sauerstoffmangel-bedingte Aktivierungssignal übermittelt. Es stellte sich heraus, dass Interferon gamma den Notfall signalisiert.
Interessanterweise konnte Marieke Essers bereits vor einigen Jahren zeigen, dass auch schlafende Blutstammzellen durch Interferon alpha, einen verwandten Immunbotenstoff, geweckt werden. Essers forscht im Stammzell-Institut HI-STEM.
„Nach Verletzungen oder bei vielen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson geht es darum, geschädigtes Hirngewebe durch neue, funktionsfähige Nervenzellen zu ersetzen“, sagt Ana Martin-Villalba. Auch im gesunden Gehirn entstehen ständig neue Nervenzellen - allerdings nur ein sehr eingeschränktes Spektrum an Neuronen, die hauptsächlich für das Riechen zuständig sind oder neue Verbindungen im Hippokampus schaffen. Interferon gamma dagegen regt eine bestimmte Gruppe von Stammzellen dazu an, sich zu einer Vielzahl an Nervenzellen auszudifferenzieren, die unterschiedliche Aufgaben übernehmen können. „Mit dem Wecker Interferon gamma lassen sich möglicherweise gezielt Regenerationsprozesse im Gehirn anregen, die die Leistungsfähigkeit der Betroffenen wiederherstellen könnten“, spekuliert die Neuroforscherin Martin-Villalba. „Unsere Arbeitsgruppe untersucht nun, wie das gelingen kann.“