Der richtige Riecher: Forscher entschlüsseln Interaktion von Duftstoffen und Riechrezeptoren
Dreidimensionale Struktur und Wasserstoffbrückenmuster aufgeklärt
© Lian Gelis und Steffen Wolf
Computermodell und lebende Zellen
Die menschliche Nase besitzt ungefähr 350 verschiedene Arten von Riechrezeptoren, die jeweils auf einen Duft oder wenige Düfte spezialisiert sind. „Der Rezeptor ist wie ein Türschloss, das nur durch den passenden Schlüssel geöffnet werden kann“, sagt Dr. Lian Gelis vom Lehrstuhl für Zellphysiologie. Wie genau das Schloss aufgebaut ist, war bislang unbekannt. Um das Rätsel zu lösen, erstellten Dr. Steffen Wolf und Prof. Dr. Klaus Gerwert (Lehrstuhl für Biophysik) zunächst ein Computermodell des menschlichen Riechrezeptors für Aprikosenduft. Im Modell mutierten sie verschiedene Bausteine (Aminosäuren) in der Bindetasche des Proteins und sagten vorher, ob diese Rezeptorvarianten Aprikosenduft binden oder nicht. Diese Vorhersagen überprüften Gelis und Hatt mittels „Ca2+-Imaging“ dann an den Rezeptoren im physiologischen System.
Tango der Moleküle
Auf diese Weise zeigten die Forscher, wie die Bindetasche strukturell beschaffen sein muss, damit der Aprikosenduftstoff den Rezeptor aktiviert. Mit molekulardynamischen Simulationen analysierten sie die beiden Bindungspartner dann genauer. Dabei stellten sie fest, dass sich im Verlauf der Interaktion zwischen Rezeptor und Duftmolekül bestimmte chemische Bindungen, Wasserstoffbrücken genannt, bilden und wieder trennen. „Es ist wie beim Tango, wenn die Tänzerin sich immer wieder von ihrem Partner löst und an anderer Stelle mit ihm trifft“, erklärt Gerwert. „Der Rezeptor nutzt das dynamische Wasserstoffbrückenmuster, um aktivierende von nicht aktivierenden Düften zu unterscheiden.“
Vorhersagen für andere Riechrezeptoren
Die Wissenschaftler bestimmten, wie viele molekulare Kontakte die Interaktionspartner bilden müssen, damit ein Duft einen Riechrezeptor aktiviert. Es gelang ihnen auch, ein Rezeptorprotein im Modell und im Experiment gezielt so zu manipulieren, dass es statt Aprikosenduft nun Papayaduft erkannte. „Die Erkenntnisse können helfen, gezielt ‚Super-Riechsensoren‘ für einen definierten Duft zu erzeugen“, so Hatt. „Da Riechrezeptoren nicht nur in der Nase, sondern auch in vielen anderen Geweben im menschlichen Körper vorkommen, zum Beispiel in der Prostata, in Spermien oder dem Darm, können die Ergebnisse dazu beitragen, neue therapeutische Ansätze zu entwickeln.“ Die Arbeiten wurden im Rahmen des SFB 642 durchgeführt. Die Stiftung Mercator unterstütze Prof. Gerwert mit einem Stipendium.