Blick über den Säulenrand
Neue Erkenntnisse zum Aufbau des Gehirns geben Aufschlüsse über seine Arbeitsweise
In der Neurowissenschaft war eine der großen Entdeckungen des 20. Jahrhunderts, dass in der Großhirnrinde übereinander liegende Nervenzellen auf denselben Reiz reagieren. Untersuchungen zur Vernetzung dieser Nervenzellen stärkten die Vorstellung, dass es sich bei den säulenartig angeordneten Einheiten um die Grundbausteine der Großhirnrinde handeln könnte.
Doch diese Sichtweise steht nun auf dem Prüfstand, denn neue Methoden erlauben es jetzt, auch weit entfernte Verbindungen zu untersuchen. Boucsein und seine Kollegen haben an der Universität Freiburg eine Methode entwickelt, durch Laserblitze einzelne Nervenzellen zu aktivieren und so zu analysieren, mit welchen Zellen sie verknüpft sind. Die Experimente brachten ein erstaunliches Ergebnis: Weniger als die Hälfte der Eingänge, die eine Nervenzelle in der Großhirnrinde erhält, stammt von Partnern innerhalb derselben Säule. Weit mehr Verbindungen kommen von Zellen aus der näheren und weiteren seitlichen Umgebung.
Die Experimente zeigten zudem, dass die seitlichen Verknüpfungen zeitlich sehr genau arbeiten. Für die Wissenschaftler ist das ein Hinweis darauf, dass das Gehirn den genauen Zeitpunkt eines elektrischen Impulses zur Kodierung von Informationen nutzt – eine Vermutung, für die immer mehr Hinweise gefunden werden. Durch diese neuen Einsichten in Aufbau und Arbeitsweise des Gehirns wird die Vorstellung einer Säulenstruktur der Großhirnrinde von der eines dicht gewebten Teppichs weitläufig miteinander verknüpfter Zellen abgelöst.
Originalveröffentlichung
Boucsein C, Nawrot MP, Schnepel P und Aertsen A (2011) Beyond the cortical column: abundance and physiology of horizontal connections imply a strong role for inputs from the surround. Front. Neurosci. 5:32.
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