Neuartige Werkbank für das Virendesign

Bakteriophagen gezielt verändern: Phagen-Therapien gegen gefährliche Erreger in Reichweite

06.02.2018 - Schweiz

ETH-Forscher haben eine Technologieplattform entwickelt, mit der sie Bakteriophagen gezielt verändern und massschneidern können. Dank dieser Technik rücken Phagen-Therapien gegen gefährliche Erreger in Griffweite.

ETH Zürich / Gruppe M. Loessner

Zellwandlose Listerien dienen als Brutkasten für synthetische Bakteriophagen.

Bakteriophagen (kurz: Phagen) sind Viren, die spezifisch Bakterien befallen und abtöten können. Sie kommen sehr zahlreich in der Natur vor. Gerade weil sie auf nur eine Bakterienart spezialisiert sind, hoffen Forscherinnen und Ärzte, mithilfe von Phagen gewisse bakterielle Krankheiten gezielt therapieren zu können. Schon heute setzt beispielsweise die Lebensmittelindustrie diese Viren ein, um auf natürliche Weise Krankheitserreger in Nahrungsmitteln zu vernichten.

Die Viren genetisch zu optimieren und sie dadurch für bestimmte Einsatzzwecke masszuschneidern, ist aber nach wie vor herausfordernd und zeitaufwändig. Besonders schwierig ist es, Phagen für die Bekämpfung sogenannter Gram-positiver Bakterien wie Staphylococcus zu verändern.

Phagen gezielt verändern

Nun könnte jedoch eine neue Ära bei der Nutzung von Bakteriophagen anbrechen, denn ein Team von Forschern um Martin Loessner, Professor für Lebensmittelmikrobiologie der ETH Zürich, hat in der Fachzeitschrift PNAS eine neuartige Technologieplattform präsentiert. Damit können die Wissenschaftler Phagen gezielt genetisch verändern, mit beliebigen Zusatzfunktionen ausstatten und schliesslich in einer bakteriellen «Leihmutter» – einer zellwandlosen Listerien-Zelle – zum Leben erwecken.

Mit der neuen Phagen-Werkbank lassen sich solche Viren sehr schnell erschaffen, und die «Werkzeugkiste» ist hochgradig modular: Die Wissenschaftler können damit beinahe beliebige Bakteriophagen für unterschiedliche Zwecke und mit einer Vielzahl verschiedener Funktionen erzeugen.

«Früher war es fast unmöglich, das Genom eines Bakteriophagen zu verändern», sagt Loessner. Zudem waren die Methoden extrem ineffizient. So wurde beispielsweise ein Gen nur in einem Bruchteil der Phagen in das bestehende Genom integriert. Die Isolation des veränderten Phagen wurde daher oftmals zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

«Wir mussten früher aus Millionen von Phagen diejenigen heraussuchen, die die gewünschten Eigenschaften trugen. Nun können wir von Anfang an lauter gleichartige Viren erzeugen, sie innert nützlicher Frist testen und allenfalls wieder verändern», betont Loessner.

Viren am Computer planen

Den Weg zum Durchbruch geebnet hat Loessners Mitarbeiter Samuel Kilcher. Der Spezialist für molekulare Virologie benutzte Methoden aus der synthetischen Biologie, um das Genom eines Bakteriophagen auf dem Reissbrett zu planen und im Reagenzglas aus DNA-Bruchstücken zusammenzusetzen. Dabei wurden auch neue und zusätzliche Funktionalitäten, wie Enzyme zur Auflösung der bakteriellen Zellhülle, in das Phagengenom eingebaut. Zudem kann Kilcher Gene entfernen, die einem Phagen unerwünschte Eigenschaften verleihen, etwa die Integration in das Bakteriengenom oder die Produktion von Zellgiften.

Um aus der künstlichen DNA die Phagen-Partikel wieder zum Leben zu erwecken, wurde das Genom in kugelige, zellwandfreie aber lebensfähige Formen des Bakteriums Listeria (L-Form-Listerien) eingebracht. Diese Bakterienzellen produzieren dann anhand des genetischen Bauplans alle Bestandteile des gewünschten Phagen und sorgen für die korrekte Montage der Viren.

Die Forscher haben auch festgestellt, dass kugelige Listerien nicht nur ihre eigenen spezifischen Phagen erzeugen, sondern auch solche, die andere Bakterien befallen können. Für gewöhnlich bringt ein Wirt nur seine spezifischen Viren hervor. L-Form-Listerien eignen sich deshalb als fast universeller Bakteriophagen-Brutkasten.

Werden die Listerien dann zum Platzen gebracht, kommen die Bakteriophagen frei und können für ihren Einsatz in Therapie oder Diagnostik isoliert und vermehrt werden.

Nur virulente Phagen sind geeignet

«Eine zentrale Voraussetzung für die Anwendung von wirkungsvollen synthetischen Bakteriophagen ist, dass sich ihr Genom nicht in dasjenige des Wirtes integrieren kann», betont Kilcher. Geschehe das, sei das Virus für das Bakterium keine Gefahr mehr. Mithilfe der neuen Methode konnten die Forscher solche integrativen Phagen aber einfach umprogrammieren, sodass sie die Fähigkeit zur Integration verlieren und damit für antibakterielle Anwendungen wieder interessant werden.

Vor allfälligen Resistenzen bei Phagen sorgen sich die beiden Forscher kaum. Und selbst wenn es solche geben würde, wie zum Beispiel dadurch, dass ein Bakterium seine Oberflächenstrukturen ändert, um das Andocken des Virus zu verhindern, liesse sich durch die neue Technologie rasch ein geeigneter Phage entwickeln, gegen das ein Bakterium noch keine Resistenzen entwickelt hat.

Auch die Gefahr von ungewollten Freisetzungen halten die Forscher für gering. Gerade weil die Bakteriophagen, natürliche wie synthetische, höchst wirtsspezifisch sind, können sie ohne ihren Wirt nicht lange überleben. Diese hohe Spezifität verhindert auch, dass Bakteriophagen auf ein neues Wirtsbakterium ausweichen können. «Sich an die Oberflächenstruktur eines anderen Wirts anzupassen, würde in der Natur sehr viel Zeit kosten», sagt Loessner.

Praxisanwendung rückt näher

Mit ihrer Technologie hat Loessners Team einen grossen Schritt hin zur Nutzung von synthetischen Bakteriophagen für Therapie, Diagnostik oder in der Lebensmittelindustrie gemacht. Damit überwinden die Forscher auch Einschränkungen, die mit der Verwendung von natürlichen Phagen verknüpft sind. «Unsere Werkzeugkiste könnte helfen, das Potenzial von Phagen auszuschöpfen», sagt Loessner. Die Forscher haben ihre Technologie zum Patent angemeldet. Sie hoffen nun, dafür Lizenznehmer zu finden, die Phagen für Therapien und Diagnostik produzieren.

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